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Foto: Rico Prauss

Bundesregierung greift Versicherten schamlos in die Taschen

Nachricht von Susanna Karawanskij,

Die Bundesregierung plant, im Schatten der Fußball-Weltmeisterschaft eine Reform der Lebensversicherung im Schweinsgalopp durchzuboxen. Dabei kommt sie vor allem dem Klagen der Versicherungsbranche in Zeiten eines anhaltenden Niedrigzinsumfeldes und neuer Eigenkapitalregeln nach. Sie strebt zwar in ihren Verlautbarungen einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Versicherten und der Versicherungswirtschaft an, wird diesem Anspruch aber nicht gerecht. Das geht aus einer Kleinen Anfrage von Susanna Karawanskij hervor.

"Die Bundesregierung will die Lebensversicherungen in Windeseile noch vor der parlamentarischen Sommerpause so Pi-mal-Daumen reformieren. Das ist töricht, denn die Zahlen- und Datenbasis ist löchrig wie ein Schweizer Käse", kritisiert Susanna Karawanskij, für DIE LINKE Mitglied im Finanzausschuss des Bundestags, das Vorgehen. Ohne solides Zahlenmaterial stochere die Bundesregierung im Nebel und das gehe am Ende zulasten der Versicherten mit ihren gut 88 Millionen Lebensversicherungspolicen.

Reform der Lebensversicherungen – das Pendel schlägt aus

Durchaus sinnvollen Ansätzen im Gesetzentwurf wie einem Ausschüttungsstopp von Dividenden stehen Regelungen entgegen, die tief in die Tasche der Versicherungskunden greifen. Unternehmen müssen laut ÖKO-TEST auf gut drei Milliarden Euro Dividendenausschüttungen pro Jahr verzichten, wohingegen die Versicherten auf rund 40 Milliarden Euro an Überschüssen, die ihnen vertragsgemäß und rechtliche zustehen, verzichten müssen. Betrachtet man die Gewinne und Erträge der allermeisten Versicherer, ist der Großteil der Branche wahrlich nicht in Not.

Beispielsweise ist die durchschnittliche Nettoverzinsung der zehn größten Lebensversicherer, sprich die Rendite aus Kapitalanlagen nach Abzug der Kosten, im Jahr 2012 sogar von 3,9 auf 4,3 Prozent gestiegen. Stattdessen bekommen Versicherungskunden immer weniger Geld raus. Erst üben sie über die so genannte Zinszusatzreserve Zinsverzicht (über 13 Milliarden Euro), dann werden Teile der aus Kundengeldern erwirtschafteten Überschüsse flugs in Eigenmittel für die Versicherungsunternehmen umdeklariert. Dies ist eine Zweckentfremdung, die publik gemacht werden muss! Insgesamt zeigt sich beim Lebensversicherungsreformgesetz, dass das Pendel letztlich zuungunsten der Versicherten ausschlägt, auch weil sie durch das parlamentarische Windhund-Verfahren kaum mehr Zeit haben, ihre Verträge prüfen zu lassen und gegebenenfalls fristgerecht kündigen zu können.

Wie schlecht geht es der Versicherungswirtschaft, auf welcher Datenbasis geschieht die Reform?

Bei so vielen Regelungen zu Lasten der Versicherten stellte sich die Frage, ob es der Versicherungswirtschaft wirklich so schlecht geht, dass zum Beispiel manche Garantien bald nicht mehr bedient werden können oder ob es ein Jammern auf höchstem Niveau ist. Um dies einschätzen und seriöse Gesetzentwürfe einbringen zu können, benötigt man eine gute Zahlen- und Datenbasis. Erst recht, wenn die Versicherten über Gebühr zur Kasse gebeten werden sollen. Doch von welchen konkreten Zahlen und Daten geht die Bundesregierung aus? Zudem sind Lebensversicherungen in der Regel eine Black Box: Es ist für die Versicherten nicht nachvollziehbar, wie die Lebensversicherungsunternehmen tatsächlich rechnen, dass heißt, wie sie die Erträge, einschließlich der Beteiligung der Kunden an den Überschüssen und Bewertungsreserven, ermitteln und ausweisen – und wie hoch diese Erträge und Überschüsse sind.

Die Bundesregierung sei wieder einmal "Erfüllungsgehilfin der starken Versicherungslobby", stellt Susanna Karawanskij fest. "Die Versicherten werden letztlich über den Tisch gezogen. DIE LINKE wird sich zusammen mit Verbraucherschutzorganisationen entschieden dagegen wehren“, sagte sie.

 

linksfraktion.de, 23. Juni 2014

                                                    

 

Die Auswertung im Einzelnen:

 

Fragen, zu denen der Bundesregierung kein, aggregiertes oder veraltetes Zahlenmaterial vorliegt:

 

Frage 3 – Anzahl und Art unterschiedlicher Lebensversicherungspolicen? – keine Informationen vorhanden!

Frage 4 – Zahl der Lebensversicherungsverträge: Daten von 2012.

Frage 5 – Steuerliche Förderung von Lebensversicherungsverträgen: Nur für Riester-Verträge, für kapitalbildende Lebensversicherungen liegen gar keine Zahlen vor!

Frage 6 – vorzeitige Kündigung und Laufzeit: Aufschlüsselung nicht möglich. Keine Datenbasis!

Frage 7 – Erträge und Gewinne der nach Marktanteil zehn größten Versicherungsunternehmen (Lebens- und Rentenversicherer) in den vergangenen zehn Jahren – kein Zahlenmaterial!

Frage 11 – Laufende Erträge aus Kapitalanlagen in den vergangenen zehn Jahren der nach Marktanteil größten zehn Lebensversicherungsunternehmen in Deutschland – kein Zahlenmaterial! Dadurch kann man die Anlagepolitik der Versicherungsunternehmen leider nicht genau betrachten und erkennen, ob und wie stark das jeweilige Unternehmen seine Kapitalerträge im Jahr 2012 durch die Hebung stiller Reserven aufgebessert hätte.

Frage 13 – Bilanzanalyse der Versicherungsunternehmen in Deutschland von Bundesregierung durchgeführt oder in Auftrag gegeben – Fehlanzeige! Nur Bezug zu Bundesbank und BaFin („Erkenntnisse“), ohne eine konkrete Studie ausweisen zu können.

Frage 17 – Summe der seit 2008 an die Versicherten halbanteilig ausgeschütteten Bewertungsreserven (bitte jeweils einzeln für die Jahre bis einschließlich des Jahres 2013 und für den gleichen Zeitraum für die nach Marktanteil zehn größten Versicherungsunternehmen angeben) – Es liegen nur aggregierte Daten vor. Kein Zahlenmaterial für Einzelunternehmen!

Das Gleiche gilt für die Fragen 18/19 – Wie hoch sind aktuell die Bewertungsreserven der zehn größten Lebens- und Rentenversicherer in Deutschland, und wie haben sich diese über einen Zeitraum von fünf, zehn und 20 Jahren entwickelt? Und wie hoch sind die Bewertungsreservequoten? – 
Kein Zahlenmaterial für Einzelunternehmen! Die Bundesregierung plant, die Bewertungsreserven zulasten der Versicherten zu kürzen, ohne ein Bild davon zu haben, um welche Summen es in den Einzelunternehmen überhaupt geht.

Frage 29 – Höhe Zinszusatzreserve – Keine Zahlen für Einzelunternehmen! Zahlen für gesamte Branche sind allerdings aufschlussreich in puncto Entwicklung seit 2011, Werte 2013 sind vorläufig, aber fast Verdoppelung der Zinszusatzreserve!
Unternehmen müssen diese seit 2011 als „Vorsorgemaßnahme“ vor dem Hintergrund der niedrigen Zinsen bilden. Jetzt soll im Gesetzentwurf auf die Auskehr von Bewertungsreserven verzichtet werden, ohne dass sich gleichzeitig bei der Zinszusatzreserve etwas ändert.

Frage 37 – Auf welche Summe beziffert die Bundesregierung jenen Anteil der Gewinnausschüttung, den die Versicherungsnehmer bisher zur Finanzierung der Zinszusatzreserve pro Jahr (an Ertragsrendite) eingebüßt haben? – Kein Zahlenmaterial vorhanden!

 

Bemerkenswerte, kritikwürdige Antworten:

 

Frage 10 – Entwicklung der Nettoverzinsung / Reinverzinsung aus Kapitalanlagen – Die Reinverzinsung der Kapitalanlagen gibt an, wie hoch die erzielte Rendite aus Kapitalanlagen ist, die die Versicherungsgesellschaften nach Abzug der Kosten erzielen konnten. Die Tabelle zeigt, dass die Reinverzinsung 2012 im Branchendurchschnitt mit 4,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr sogar gestiegen ist und es um die Anlagemöglichkeiten der zehn größten Lebensversicherer gar nicht so schlecht bestellt ist. Entgegen dem Jammern der Branche lassen sich trotz Niedrigzinsphase also durchaus Gewinne erzielen.

Fragen 25/26 – Umschreibung von Teilen des Schlussüberschussanteilsfonds in eine so genannte Sockelbeteiligung, aus der die Kunden dann an den Bewertungsreserven beteiligt werden sollen / Einbußen für Versicherte – Seit 2008 müssen Kunden an Bewertungsreserven beteiligt werden. Teile des Schlussüberschussanteilsfonds werden dabei in eine so genannte Sockelbeteiligung umgewidmet. Diese soll die Beteiligung an den Bewertungsreserven darstellen. Es erfolgt hier aber KEINE Auskehr zusätzlicher Überschüsse. Durch einen „Hütchenspielertrick“ werden lediglich Teile der bisherigen Schlussüberschüsse umbenannt! Schon dies ist Vertragsbruch zuungunsten der Versicherten!

Ebenso entspricht die Antwort auf Frage 28 nicht den Tatsachen, weil Versicherungen gerade in den freien RfB Überschüsse bunkern (z.B. zur Eigenkapitalbildung) und eben nicht umfänglich an die Versicherten auskehren.

Fragen 30 bis 36 – Rechentricks/Unternehmensspielräume bei Zinszusatzreserve (Abzweigung von Zinsgewinnen für Zinszusatzreserve vor Ermittlung des Rohgewinns zulasten der Versicherten – vgl. ÖKO-TEST 2/2014, S. 113). Bundesregierung bestreitet Rechentricks und Verschiebepraxis bei der Gewinnermittlung zu Lasten der Versicherten in Zusammenhang mit der Zinszusatzreserve und widerspricht damit ÖKO-TEST, laut denen dies gängige Praxis von Versicherungsunternehmen ist. Bundesregierung nimmt in ihrer scheinbaren Unkenntnis die Problematik auf die leichte Schulter!