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»Bündnis mit der SPD auch 2009 unvorstellbar«

Im Wortlaut von Inge Höger,

Warum sie gegen ihren Parteifreund Klaus Ernst kandidiert hat, die Koalition im Land Berlin so nicht fortgesetzt werden sollte und wie die Chancen im Westen genutzt werden können. Ein Gespräch mit Inge Höger-Neuling

Inge Höger-Neuling (55) wurde am vergangenen Sonnabend zur stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion im deutschen Bundestag gewählt. Die gestandene Gewerkschafterin gehört zu den Gründungsmitgliedern der Wahlalternative WASG in Nordrhein-Westfalen, trat Ende Juni 2005 auch der Linkspartei bei und wird sich im Parlament vor allem um Gesundheitspolitik kümmern

Nach Ihrer Wahl in die vierköpfige Spitze der Linksfraktion im Bundestag spricht jeder über Sie, aber keiner kennt Sie.

Ich lebe in Herford in Ostwestfalen, meine Eltern waren CDU-Wähler. Als Christin war meine Mutter auch sozial eingestellt, und das hat sie mir weitergegeben. 1968 hat mich geprägt, dann in den siebziger Jahren vor allem die Bewegung gegen den Abtreibungsparagraphen 218. In den Achtzigern näherte ich mich den Grünen, die damals aus linker Sicht zu Hoffnung Anlaß boten, etwa wenn man eine integre Person wie Annelie Buntenbach nimmt. Ich wurde jedoch nie Mitglied.

Wann verloren Sie die Hoffnung in die Grünen?

Das kann ich nicht mehr genau sagen oder an einem Ereignis fest machen. Es war allerdings schon Mitte der neunziger Jahre, das heißt vor dem Krieg gegen Jugoslawien 1999.

Wenn Sie sich in eine definierende Schublade stecken müßten, welche würden Sie bevorzugen?

Ich bin Sozialistin.

Welche Bücher haben Sie politisch geprägt?

Die blauen Bände habe ich auch gelesen.

Für unsere jungen Leser: Das sind die Werke von Marx und Engels. Und wo lag Ihr politischer Schwerpunkt in den letzten Jahren?

Ich engagierte mich in der Gewerkschaft, wurde Personalrätin bei der AOK, war in der Tarifkommission von ver.di und arbeitete im Fachbereich Sozialpolitik von ver.di an sozialpolitischen Themen. In allen Funktionen bemühte ich mich um den Kontakt zu den sozialen Bewegungen.

Bei der Wahl für den stellvertretenden Vorsitz in der Linksfraktion sind Sie gegen den IG-Metall-Bezirkssekretär Klaus Ernst angetreten, der wie Sie aus der WASG kommt. Warum?

Weil ich es wichtig fand, daß es im Geschäftsführenden Vorstand neben Oskar Lafontaine, Gregor Gysi, Bodo Ramelow, Ulrich Maurer und Dagmar Enkelmann eine weitere Frau gibt. Mit der Wahl von Frauen sendet die Linkspartei ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit.

Den Frauen haben Sie damit genutzt, der WASG geschadet.

Warum? Jetzt gibt es im Geschäftsführenden Vorstand vier Vertreter der WASG. Hätte Ernst gegen mich gewonnen, wäre das nicht anders gewesen.

Aber Ernst war nun mal »der« Kandidat der WASG. Die Abgeordneten der WASG hatten sich vor der gemeinsamen Fraktionssitzung eigens noch einmal getroffen und mit eindeutiger Mehrheit seine Kandidatur unterstützt.

Das ist schon richtig, aber meine Kandidatur wurde vom Landesvorstand Nordrhein-Westfalen, immerhin der mitgliederstärksten Landesgliederung der WASG, und Teilen des Bundesvorstands unterstützt. Für mich war dieses Votum basisnäher als jenes der WASG-Bundestagsabgeordneten.

Ernst ist auch einer der vier geschäftsführenden Vorsitzenden der Bundespartei WASG.

Auch das stimmt. Aber er ist Teil eines Kollektivs und nicht »der« Vorsitzende, zu dem ihn die Medien hochgeschrieben haben. Und wie ich schon sagte, hatte er das Mandat des Bundesvorstandes zur Kandidatur als Fraktionsvize nicht.

Warum spricht es gegen Ernst, daß er bei den Medien beliebt ist? Warum muß ein Medienstar bei den Linken immer gedrückt werden?

Er kann doch Medienstar bleiben, er soll es. Und die Medien werden sich auch nicht dran stören, ob er eine formelle Funktion hat oder nicht beziehungsweise welche.

Mit anderen Worten: Ihre Kandidatur gegen Ernst resultierte nicht aus politischen Differenzen?

Es ging mir darum, die Repräsentanz der Frauen und des Landesverbandes NRW zu stärken. Das ist alles.

Würden Sie sich eher auf dem linken oder dem Realo-Flügel der Linksfraktion einordnen?

Einordnen will ich mich am liebsten gar nicht. Das Schubladendenken befördert praktische Politik meist nicht.

Wie stehen Sie zur Regierungsbeteiligung der PDS in den Ländern Berlin und Mecklenburg-Vorpommern?

Manchmal ist die PDS vielleicht zu pragmatisch drangegangen. Obwohl mir bewußt ist, daß man auf Landesebene nicht Gesetze ändern kann, die im Bund gemacht wurden. Aber als Gewerkschafterin ist mir der Austritt des SPD/PDS-Senats aus der Tarifgemeinschaft schon ganz gehörig gegen den Strich gegangen. Und was »Hartz IV« angeht: Ich kenne das Argument, daß es darauf ankommt und auch möglich ist, die Auswirkungen des Gesetzes auf Landesebene zu mildern. Wenn ich mir aber die Situation in Berlin anschaue, habe ich den Eindruck, daß der Gesetzestext mehr Spielräume geboten hätte. Aber offensichtlich hat der SPD/PDS-Senat nach Kassenlage entschieden.

An welchem Punkt hätte die PDS zur SPD sagen sollen: Bis hierher und nicht weiter - sonst sind wir raus?

Das ist aus der Ferne schwer zu beurteilen.

In Berlin stehen nächstes Jahr Wahlen zum Abgeordnetenhaus an. Soll die Koalition mit der SPD fortgesetzt werden?

Dieser Punkt ist zwischen der Linkspartei und der WASG in Berlin umstritten. Mir wäre es ganz wichtig, daß sich die beiden vor der Wahl zusammenraufen. Aber dazu braucht es natürlich ein gemeinsames Wahlprogramm. Ehrlich gesagt: Ich kann mir nicht vorstellen, daß darin die Fortsetzung der Koalition festgeschrieben wird. Was ich mir vorstellen kann: Daß anhand des Wahlprogrammes Forderungen an die SPD entwickelt werden, die Voraussetzung einer weiteren gemeinsamen Regierung wären.

Die WASG in Berlin hat sich überhaupt erst aus Protest gegen den neoliberalen Kurs der PDS im Senat konstituiert. Können die beiden vor diesem Hintergrund überhaupt wieder zusammengehen?

Das kann nur programmatisch gelöst werden. Selbstverständlich müßte in einem gemeinsamen Wahlprogramm die Forderung stehen, daß das Land Berlin wieder der Tarifgemeinschaft im Öffentlichen Dienst beitritt, und auch, daß die Privatisierung kommunalen Eigentums gestoppt wird. Das sind auch die Grundpositionen meiner Gewerkschaft.

Auf Bundesebene wurde die Latte niedriger gehängt: Die Fraktion forderte auf ihrer Klausur letztes Wochenende nicht mehr »Weg mit Hartz IV«, sondern nur noch Anhebung des Arbeitslosengeldes II. Damit könnte die SPD leben.

Das ist nur gedacht im Sinne eines Sofortprogrammes, das den Betroffenen ganz schnell Hilfe bringen soll. Bei der Formulierung haben wir uns an dem orientiert, was die Wohlfahrtsverbände fordern. Unsere prinzipielle Position ist und bleibt natürlich die komplette Rücknahme der Hartz-Gesetze.

Lafontaine und Gysi haben mehrfach davon gesprochen, daß die Linkspartei 2009 mit einer erneuerten SPD wieder das Bündnis suchen könnte.

Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich sehe keinen Wandel bei der SPD. Da müßte viel passieren.

Linkspartei und WASG sind nach wie vor zwei getrennte Organisationen. Nun werden zwei Modelle erörtert: eine Fusion der beiden Partner oder ein Beitritt der WASG zur Linkspartei.

Für mich ist nur die Vereinigung ein annehmbares Modell. Ganz wichtig ist dabei die gleiche Augenhöhe. Die entsprechende Diskussion darf nicht nur auf Führungsebene stattfinden, sondern muß ganz breit auch in die Mitgliedschaft hineingetragen werden.

Für das Modell Beitritt sollen angeblich vermögensrechtliche Argumente sprechen - Immobilien und Firmen sind auf die Linkspartei bzw. ihren Rechtsvorläufer PDS eingetragen.

Das kann ich noch nicht beurteilen, das müßte juristisch geprüft werden. Die Diskussion der richtigen juristischen Vorgehensweise würde den Rahmen dieses Interviews vermutlich sprengen.

Wie ist der Diskussionsstand in Nordrhein-Westfalen?

Sehr erfreulich. Sowohl WASG wie PDS debattieren sehr intensiv über die Vereinigung. Es gibt auf allen Ebenen schon gemeinsame Treffen und Foren.

Es gab aber auch Widerstand in der WASG, bereits gegen das Vorgehen bei der Bundestagswahl.

Es gab den sogenannten Leverkusener Kreis, der sich aus Protest gegen die Zusammenarbeit mit der PDS, für ihn eine Nachfolgepartei der SED, gegründet hat. Es gibt den Kreis immer noch, aber Ausstrahlungskraft in die WASG hinein hat er nicht mehr. Einige davon wollen jetzt eine neue Partei aufmachen, aber daraus wird nicht viel werden.

Im nächsten Jahr stehen Landtagswahlen im Westen an. Chance oder Gefahr für die WASG?

Nach dem großen Erfolg bei den Bundestagswahlen haben wir reelle Chancen, vor allem in Rheinland-Pfalz, daneben auch in Baden-Württemberg. Natürlich geht die Welt nicht unter, sollten wir es trotz allem nicht schaffen. Aber für die Entwicklung einer Partei ist es wichtig, daß sie einen Unterbau in Landesparlamenten und dann auch in Stadt- bzw. Gemeinderäten hat.

Interview: Jürgen Elsässer/Rüdiger Göbel/Arnold Schölzel

Junge Welt, 7. Oktober 2005