Zum Hauptinhalt springen

Brexit: Schluss mit der Erpressungspolitik

Im Wortlaut von Alexander Ulrich,

Theresa May ist als britische Premierministerin am Brexit gescheitert. Nun könnte die Stunde der Hardliner kommen. Etwa die eines Boris Johnson, der ordentlich auf Krawall gebürstet ist und einen harten Bruch mit der EU nicht fürchtet. In Brüssel kursieren derweil Papiere, denen zufolge man mit einem Austritt ohne Abkommen rechnet. Mit einem neuen Premier auf der Insel würde womöglich überhaupt nicht mehr verhandelt werden. Frankreichs Präsident Macron stänkert mächtig gegen weitere Fristverlängerungen und scheint sich längst mit dem „no deal“ abgefunden zu haben.

Höchste Zeit für beide Seiten, ein wenig Besonnenheit walten zu lassen. Denn Brexit hin und Zollunion her, enge Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU27 und Großbritannien liegen auch künftig im gegenseitigen Interesse. Die EU ist für britische Exporteure der wichtigste Absatzmarkt. Ein harter Bruch würde aber nicht nur sehr viele Arbeitsplätze gefährden, sondern etwa auch die Bürgerrechte britischer Staatsangehöriger im EU-Ausland. Umgekehrt ist der in Brüssel beliebte Hinweis, dass der „no deal“ die Insel viel härter träfe als den Kontinent, letztlich in Bluff. Gerade die deutsche Regierung sollte sich einen so lässigen Umgang mit dem britischen Austrittsersuchen nicht leisten, ist das Vereinigte Königreich für die hiesige Exportindustrie doch ein ganz zentraler Markt, der seit Jahren rapide an Bedeutung gewinnt.

Es hilft da nicht weiter, sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben. Sollen enge Wirtschaftsbeziehungen auch künftig bestehen, gibt es genau zwei Möglichkeiten: Erstens, der Brexit wird abgeblasen. Etwa durch ein neues Referendum. Zweitens, man einigt sich auf ein Austrittsabkommen, mit dem beide Seiten gut leben können und auf dessen Grundlage sich vertrauensvolle künftige Wirtschaftsbeziehungen aufbauen lassen.

In diesem Sinne wären auf der Insel wohl Neuwahlen erstrebenswert. Ein Hardliner wie Boris Johnson, der noch dazu auf die Stimmen der nordirischen Unionisten angewiesen ist, wäre sicherlich nicht hilfreich auf dem Weg zu einer konstruktiven Lösung. Eine Labour-Regierung unter einem Premierminister Jeremy Corbyn, die sich offen zu einer Zollunion mit der EU bekennt und auch ein zweites Referendum nicht ausschließt, wäre das hingegen schon.

Doch auch Brüssel muss sich bewegen. Das Verhandlungsteam um Michel Barnier agiert erpresserisch. Offenbar will man Großbritannien den Austritt so schwer wie möglich machen und die Kosten für London so weit wie möglich in die Höhe treiben, um ein Exempel zu statuieren. So könnte etwa die verhandlungsentscheidende nordirische Grenzfrage technisch gelöst werden, würde Brüssel mitspielen. Durch Zollanmeldung an verschiedenen Hotspots im Hinterland und stichprobenartige Kontrollen in der Grenzgegend könnte eine harte Grenze auf der irischen Insel selbst dann vermieden werden, wenn Großbritannien samt Nordirland die Zollunion verließe. Doch die EU spielt nicht mit und bringt sich dadurch vermeintlich in eine starke Verhandlungsposition.

Denn ohne eine Lösungsmöglichkeit für das Grenzproblem drängt man London in eine „Friss-oder-Stirb“-Situation: Entweder ihr akzeptiert unseren Deal, oder ihr bekommt in Nordirland eine toxische Situation, die bis zum Bürgerkrieg eskalieren kann. So kann man den Briten den Brexit versauen und vermeintliche Nachahmer abschrecken. Zu guten und engen künftigen Beziehungen kommt man so aber sicherlich nicht. Und diese sollten im Zentrum des Interesses stehen, gerade in jenen Mitgliedsländern, deren Volkswirtschaften bereits heute eng mit der britischen verflochten sind. Im eigenen deutschen Interesse sollte die Bundesregierung sich daher in Brüssel für ein Ende der Erpressungspolitik und einen konstruktiveren Kurs gegenüber London einsetzen.