Zum Hauptinhalt springen
Arbeiter reparieren Stromanlagen nach einem russischen Raketenangriffen in der Nordukraine © picture alliance/EPA|STANISLAV KOZLIUKFoto: picture alliance/EPA|STANISLAV KOZLIUK

Blackrock und der Wiederaufbau in der Ukraine

Nachricht von Cornelia Möhring,

In London beraten Regierungen und Unternehmen über die Zukunft der Ukraine nach dem Krieg. Kritiker warnen vor einem Ausverkauf des zweitgrößten Landes in Europa.

Während der russische Angriffskrieg in der Ukraine weiter für Tod, Leid und Zerstörung sorgt, machen sich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Gedanken über die Zukunft und den Wiederaufbau des Landes in Friedenszeiten. Auf einer zweitägigen Konferenz in London stellten nun mehrere Verbündete eine Aufstockung ihrer Finanzhilfen in Aussicht. Außenministerin Annalena Baerbock sagte der Ukraine für 2023 weitere humanitäre Hilfe Deutschlands in Höhe von 381 Millionen Euro zu, berichtet die Nachrichtenagentur AFP. Washington kündigte zusätzliche 1,3 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau und die Modernisierung der ukrainischen Infrastruktur an. London versprach für die kommenden drei Jahre Kreditgarantien in Höhe von drei Milliarden US-Dollar. Vor allem den öffentlichen Dienst wolle man unterstützen, so AFP. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab grünes Licht, für die nächsten vier Jahre werde ein Hilfspaket in Höhe von 50 Milliarden Euro geschnürt. Die Konferenz für den Wiederaufbau der Ukraine ist bereits die zweite ihrer Art. Letztes Jahr hatten Vertreterinnen und Vertreter aus 40 Ländern und 14 internationalen Organisationen in Lugano in der Schweiz über eine Art Marshall-Plan für die Ukraine beraten. Nächstes Jahr soll die Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine schließlich in Deutschland stattfinden.

Während die Regierungen Kiew mit Steuergeldern unter die Arme greifen wollen, bringt sich im Hintergrund die Privatwirtschaft in Stellung. In einer bemerkenswerten Titelstory schrieb zuletzt die Wirtschaftswoche über „Operation Wiederaufbau: Der Billionenplan für die Ukraine“.  Während der Krieg tobe, würde sich „hinter den Kulissen eine ungewöhnliche Allianz“ auf den Wiederaufbau vorbereiten. Ganz vorn dabei seien BlackRock, JP Morgan und deutsche Manager. In der Ukraine wittern sie nicht nur ein Milliardengeschäft. Sondern auch einen ideologischen Geländegewinn. „Wir werden eine neue Ukraine schaffen“, zitiert das Magazin Blackrock-Chef Larry Fink. Für den einstigen Arbeitgeber von CDU-Chef Friedrich Merz und weltweit mächtigsten Investment-Fonds sei die Ukraine „ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Kraft des Kapitalismus“. Die Ukraine werde „mit Kapital geflutet“. Die Rendite „fair und angemessen“ sein, man handele schließlich nicht aus Eigennutz. Der Wiederaufbau durch die Privatwirtschaft werde „der Welt zeigen, dass Kapitalismus der stärkste wirtschaftliche Motor der Welt ist.“

Auch wenn Hilfe für die Ukraine dringend nötig ist, so machen sich in der Ukraine zunehmend Sorgen über einen drohenden Ausverkauf durch ausländische Kapitalisten, diesmal aus dem Westen, breit. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer befürchteten, dass eine Öffnung des Bodenmarktes zu einer Übernahme ukrainischen Landes durch große Agrarkonzerne und ausländische Investoren führen könnte. Aus diesem Grund wurde ein Moratorium auf den Landverkauf an Ausländer verhängt. Laut des Analysten Frederic Mousseau verhindere geltendes Bodenrecht in der Ukraine zwar derzeit, dass ausländische Investoren in den direkten Besitz ukrainischen Ackerlandes kommen. Ausländische Agrarunternehmen, Investmentfonds oder Banken hätten jedoch „großes Interesse, ihren Einfluss auf den ukrainischen Agrarsektor zu stärken“, so der Experte gegenüber AFP.

Statt Flächen zu kaufen, würden sie bereits heute in Anteile an ukrainischen Unternehmen investieren, die ihrerseits Land kaufen oder pachten, erklärt Mousseau. "Unter den Top drei der größten Landpächter in der Ukraine findet sich NCH Capital, ein US-Investmentfonds, der über 330.000 Hektar Land durch Pachtverträge kontrolliert." NCH Capital ist auf dem ukrainischen Agrarmarkt über sein ukrainisches Tochterunternehmen Agroprosperis tätig. Zu den Investoren einiger der größten ukrainischen Agrarunternehmen gehören Investmentfonds wie BlackRock, Vanguard sowie US-amerikanische und europäische Pensionsfonds, Banken und Stiftungen. 2014 etwa übernahm der US-Agrarkonzern Cargill fünf Prozent des größten Agrarunternehmens der Ukraine, Ukrlandfarming, das rund 570.000 Hektar landwirtschaftlicher Flächen in einem der wichtigsten Agrarländer der Welt besitzt. Dass die Macht großer Konzerne und Fonds über den wichtigsten Wirtschaftsfaktor des Landes ein Problem ist, das ist auch den Ukrainerinnen und Ukrainern klar. In einem Referendum soll darum über die Landfrage abgestimmt werden.

Auch die Sorge vor einer neuen Fremdbestimmung geht in der jungen Nation um. Für die Zeit nach dem Krieg wird der Einfluss ausländischer Institutionen (IFW, Weltbank), Regierungsorganisationen (EZ, Entwicklungsbanken) und Unternehmen sowie ihrer Verbände (Aussenhandelskammern) in der Ukraine zweifelsohne zunehmen. Exemplarisch für diesen Kurs können die Pläne der US-Entwicklungsorganisation USAID herangezogen werden, die angesichts der Zerstörung von Wohnungen/Häusern (40 Prozent), Energieanlagen (30 Prozent), Infrastruktur (33 Prozent) inklusive 305 Brücken, 19 Flughäfen, 57 Bahnstationen und rund 24.000 Straßenkilometern (Stand: September 2023) feststellen, dass „der Krieg Investitionsmöglichkeiten für den Wiederaufbau der öffentlichen Infrastruktur der Ukraine geschaffen hat“.

Für USAID ist klar, dass öffentliche Investitionen „der alte Weg Dinge zu tun“ sind, Private-Public-Partnerships und Privatinvestmenst „der neue Weg Dinge zu tun“, so eine Broschüre zum Wiederaufbau. Diese neoliberale Strategie gilt nicht nur für den Wiederaufbau, sie ist eine Agenda für den Umbau der Ukraine in eine Marktwirtschaft nach US-Modell. So fordert die einflussreiche Entwicklungsagentur in dem Papier die „Macht der Gewerkschaften zu deregulieren“ und die „Verbesserung des Systems der Arbeitsaufsichts- und Kontrollorgane“. Sprich: weniger Arbeiter*innenrechte, weniger Löhne, Mitbestimmung, Urlaub, mehr Druck, mehr Kontrolle, mehr Stress. Neben dem marktliberalen Standardprogramm der Privatisierung von strategischen Bereichen wie Energiesektor, Deregulierung, Abbau von Kapitalzugangshindernissen, „Modernisierung von Arbeitsrecht“ und einer unternehmerfreundlichen Steuerreform versteht sich USAID als Türöffner. Ohne Umschweife und offen vorbei am Willen der ukrainischen Bevölkerung wird die „Aufhebung des Moratoriums für ausländisches Eigentum an landwirtschaftlichen Flächen“ gefordert. Auch eine „Landreform“ soll angekurbelt werden. Im Erneuerbaren-Energien-Bereich wird die Ukraine für die Produktion von Wasserstoff und Biokraftstoffe ausgemacht statt Wertschöpfung vor Ort zu fördern. Die Debatte „Tank-oder-Teller“ und die wichtige Versorgerrolle der Ukraine für afrikanische Länder mit Unterernährung und Hunger werden angesichts höherer Profite im Energiebereich schlicht ausgeblendet. Dass Friedrich Merz seinem alten Arbeitgeber treu geblieben zu sein scheint zeigt ein jüngster Antrag der Union im Bundestag. Vergangene Woche debattierte das Hohe Haus den Vorschlag, den Gewährleistungsrahmen des Bundes für die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) „möglichst zügig für Investitionen in der Ukraine insbesondere im Agrarsektor“ zu öffnen. Ginge es nach der Union soll für diese Unternehmensförderung bis zu 200 Millionen Euro aus dem Haushalt fließen.

Was nicht passieren darf, ist, dass Weltbank und IWF, multinationale Konzerne, dass private Unternehmen, dass das helfende Ausland den Wiederaufbau in der Ukraine bestimmen. Bereits heute ist die Schuldenlast der Ukraine enorm. Mit als „Hilfe“ verpackter Privatisierung, die auf Kosten der breiten Bevölkerung geht, wurde schon viel zu oft zu viel Unheil angerichtet. Privatisierung von Schlüsselsektoren durch Auslandsinvestoren und Verschuldung des Staates, beides darf in der Nachkriegsukraine nicht zu einem Verlust demokratischer Entscheidungsmacht führen. Für uns als Linke gilt darum: Die Ukraine braucht Hilfe. Die Hilfe muss solidarisch sein. Und sie darf nicht als verkapptes Konjunkturprogramm für gewinnorientierte Unternehmen daherkommen.

Cornelia Möhring ist Sprecherin für Entwicklungspolitik der Fraktion DIE LINKE. Im Bundestag