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Bekämpfung von Fluchtursachen? Fehlanzeige!

Kolumne von Niema Movassat,

 

Von Niema Movassat, Sprecher der Fraktion für Welternährung und Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

 

Als letztes Jahr immer mehr Menschen vor Krieg und Armut nach Europa flüchteten, lag darin für kurze Zeit auch ein Hoffnungsschimmer: Vielleicht würde sich endlich die Erkenntnis durchsetzen, dass der globale Norden nicht länger auf Kosten der südlichen Weltkugel leben kann; vielleicht hätte eine direkte Konfrontation mit den betroffenen Menschen eine heilsame Wirkung? Die breite „Willkommenskultur“ des vergangenen Sommers schien die Chance bereitzuhalten, dass die Bundesregierung den eigenen Anteil an den Fluchtursachen selbstkritisch hinterfragt. Die Koalition hätte demzufolge Waffenexporte stoppen, Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Freihandelsabkommen aussetzen sowie soziale, ökologische und menschenrechtliche Mindeststandards für deutsche Unternehmen im Ausland sofort einführen müssen. Doch an einer tatsächlichen Analyse und Bekämpfung der Fluchtursachen bestand seitens der Bundesregierung und der EU nie Interesse. Heute geht es ganz offen nur noch darum, die Festung Europa auszubauen und die Migrationsbewegungen zu bekämpfen. Ob Frauen und Kinder dabei umkommen – es ist der Bundesregierung egal.

Die Maske ist endgültig gefallen. Das sieht man an dem menschenverachtenden Türkei-Deal, in Idomeni und auf dem Mittelmeer, wo weiter Menschen zu Tausenden ertrinken. Das Geschwätz der Bundesregierung und der EU über universale Menschenrechte taugt nur für Sonntagsreden. Die Orbans in Europa haben sich durchgesetzt.

Heute arbeiten Merkel und die EU bei der Migrationsbekämpfung in einem bisher nicht gekannten Ausmaß sogar mit Regimen zusammen, die Menschenrechte mit Füßen treten. Basis dafür ist der so genannte Khartum-Prozess, mit dem die EU u.a. mit den afrikanischen Ländern Ägypten, Äthiopien, Eritrea, Sudan und Südsudan Migration Richtung Europa eindämmen sowie die sogenannte Rückführung in diese Länder verstärken will. In Ägypten wurden unter Präsident Sisi an nur einem einzigen Tage 529 Menschen zum Tode verurteilt. Vizekanzler und SPD-Chef Gabriel nannte ihn kürzlich einen „beeindruckenden Präsidenten“. Im Krieg zwischen Sudan- und Südsudan kommen mittlerweile wie in Syrien Fassbomben gegen die Zivilbevölkerung zum Einsatz. Die UN-Menschenrechtskommission hat gerade erst festgestellt, dass die eritreische Regierung  "umfassende grausame Menschenrechtsverletzungen" begeht, außergerichtliche Hinrichtungen und Folter seien weit verbreitet. Führende Mitglieder der eritreischen Armee und Regierung sind aktiv am Menschenhandel beteiligt. Nun wollen Bundesregierung und EU dieses Regime mit einem 40 Millionen Euro teuren Projekt namens „Better Migration Initiative“ dabei unterstützen, einen besseren Grenzschutz aufzubauen. Die Bundesregierung hilft so der eritreischen Regierung, seine Bürger an der Flucht vor ihrem Folterstaat zu hindern.

Die Bundesregierung bekämpft so keine Fluchtursachen, sondern die Flüchtlinge. Sie verschärft die Menschenrechtssituation in den Ländern am Horn von Afrika. Außerdem schafft sie langfristig neue Fluchtbewegungen. Denn die Menschen werden früher oder später vor den diktatorischen Regimen, die die EU aufgerüstet hat, fliehen.

Wollte man wirklich Fluchtursachen bekämpften, bräuchte es eine völlig andere Politik, wie sie DIE LINKE seit Jahren fordert. Statt seit Jahren viel zu wenig Geld für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, müsste es einen starken Aufwuchs geben, um endlich das 0,7 % Ziel zu erreichen. Auch kommt es darauf an, das Geld wirklich in Projekte zu geben, die den Menschen vor Ort zu Gute kommen. Das heißt konkret: Gesundheitssysteme müssen aufgebaut, Schulen mit qualifizierten Lehrern geschaffen und Kleinbauern unterstützt werden. Auch muss Schluss damit sein, dass man mit neoliberalen Freihandelsabkommen wie aktuell den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA’s) mit Afrika, die dortigen Märkte zerstört und eine wirtschaftliche Entwicklung unmöglich macht. Es geht grundsätzlich um eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, in der Schluss ist mit der Ausbeutung des Südens durch den Norden. Dafür braucht es auch weltweite Umverteilung. Immerhin besitzt 1 % der Menschheit so viel wie die 99 % anderen zusammen. Kein Mensch müsste fliehen, niemand an Hunger oder behandelbaren Krankheiten sterben, wenn es eine gerechte Vermögensverteilung auf der Welt geben würde.

 

linksfraktion.de, 10. Mai 2016