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Beim Mindestlohn ist der Gesetzgeber in der Pflicht

Interview der Woche von Diana Golze,

Diana Golze, Mitglied des Vorstandes und Leiterin des Arbeitskreises Arbeit und soziale Sicherung der Fraktion DIE LINKE. Bundestages, über ein Fortschreiten der sozialen Spaltung in Europa, die Situation von Minijobberinnen und Minijobbern in der Bundesrepublik und die aktuelle Mindestlohndebatte

Eine Billion für den Europäischen Rettungsschirm, keinen Euro mehr für die Minijobber – so könnte man die Parlamentsdebatte der vergangenen Woche bündeln. Minijobber, das sind vor allem Frauen. Mit welchen Folgen für ihren Lebensalltag?

Diana Golze: Die traurige Realität von Minijobberinnen und Minijobbern in diesem Land sind Niedriglöhne, unsichere Beschäftigung und Benachteiligungen im Arbeitsalltag.
Frauen sind hauptsächlich hiervon betroffen. Tag für tag müssen sie sich den Fragen stellen, auf die ihnen die Regierung keine Antwort gibt: Wie können die Folgen gerade für den Lebensalltag größer sein, wenn man von seiner Arbeit nicht leben kann? Wie können sie größer sein, wenn es häufig keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder keinen bezahlten Urlaub gibt, oder wenn die Beschäftigten keine nennenswerten Rentenansprüche erwerben und Altersarmut somit vorprogrammiert ist? Vor allem Frauen, die mehrheitlich in geringfügiger Beschäftigung sind, werden so auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt und ihre Chancen beschnitten.

Minijobs müssen sozialversicherungspflichtiger Arbeit gleichgestellt werden, fordert DIE LINKE. Die Gründe dafür?

Es ist nicht hinnehmbar, dass reguläre Arbeit von Jobs verdrängt wird oder in zunehmendem Maße gar nicht mehr entsteht, die in nichts anderem endet, als in massiver Benachteiligung, Armut und in  schlechter sozialer Absicherung. Wer politisch auf die Verfestigung der Minijobs setzt, nimmt Altersarmut in Kauf, weil die Betroffenen kaum nennenswerte Rentenansprüche erwerben. Es wird ein Kreislauf geschaffen, in dem nur eine Gruppe verliert: die der Beschäftigten. Und das dauerhaft.  

Warum ist es nicht nur für den Einzelnen, sondern für die soziale Balance der Gesellschaft insgesamt brisant, Minijobs in eine fair bezahlte Arbeit umzuwandeln?

Minijobs unterliegen nicht der vollen Sozialversicherungspflicht, das heißt, sie schaffen eine kaum bezifferbare soziale Absicherung. Das ist schlecht für den Beschäftigten und die Allgemeinheit, denn so entsteht der eben beschriebene Kreislauf, der in Altersarmut führt. Gleichzeitig aber gehen der Allgemeinheit Beitragszahlungen in Milliardenhöhe verloren. Aus unserer Sicht ist das ein Zustand mit fatalen Folgen für die Sozialkassen und damit für unser gesamtes Sozialsystem.

Wäre der gesetzliche Mindestlohn auch ein wirksames Mittel, um den mittlerweile riesigen Arbeitssektor Minijob, auszuhebeln?

DIE LINKE streitet seit langem für einen gesetzlichen Mindestlohn. Ein solcher Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde, der allerdings lediglich eine untere Grenze für die Entlohnung darstellen kann, würde den Lohn von 70 Prozent der geringfügig Beschäftigten erhöhen. Zu dieser Forderung gehört aber auch, dass abhängige Beschäftigung ab dem ersten Euro Entgelt der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Das Gebot, welches für uns über allem steht, ist und bleibt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Es ist gut, dass die Bundesregierung sich nun endlich an einer Debatte um den Mindestlohn beteiligt. Die Verantwortlichkeit hier aber auf die Tarifgemeinschaft, also auf Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften abzuwälzen, hat mit der Realität in der Bundesrepublik nichts zu tun. Es geht bei der Schaffung des gesetzlichen Mindestlohnes ja genau um diejenigen, die nicht von der Sicherheit einer Tarifgemeinschaft profitieren können. Nein. Hier ist die Bundesregierung, der Bundestag, hier ist der Gesetzgeber in der Pflicht.

Den EFSF-Hebel hat DIE LINKE als einzige Fraktion in der vergangenen Woche geschlossen abgelehnt. Was war ausschlaggebend für das Nein?

DIE LINKE will eine soziale und solidarische europäische Gemeinschaft. Doch diesem Ziel wird der erweiterte Rettungsschirm nicht gerecht. Der Rettungsschirm lässt insbesondere die Bürgerinnen und Bürger der EU im Regen stehen, denn sie sollen für die Krise zahlen, nicht deren Verursacher und Profiteure. Damit vertieft der erweiterte EFSF die soziale und wirtschaftliche Spaltung in der europäischen Gemeinschaft, statt sie sozial, ökologisch und wirtschaftlich zu einen. Was wir brauchen, ist ein europäisches Konjunkturprogramm und eine koordinierte Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb der EU. Der erweiterte Euro-Rettungsschirm zielt in die entgegengesetzte Richtung und gefährdet so das Projekt Europa.

linksfraktion.de, 31. Oktober 2011