Zum Hauptinhalt springen
Foto: Rico Prauss

»Beide eher rational veranlagt«

Interview der Woche von Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht,

 

Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sollen im Herbst Gregor Gysi als Vorsitzende der Bundestagsfraktion nachfolgen. Dessen Bielefelder Rede hat beide sehr berührt. “Als stärkste Oppositionsfraktion ist es unsere Aufgabe, die Regierung unter Druck zu setzen. Daran wird sich selbstverständlich nichts ändern”, kündigt Sahra Wagenknecht an. Im gemeinsamen Interview mit ihr empfiehlt Dietmar Bartsch, das Profil der LINKEN “weiter zu schärfen und unsere politischen Angebote so zu präsentieren, dass die Bürgerinnen und Bürger darin für sich und ihren Alltag Sinn und Nutzen erkennen”.

Sie saßen bei der Rede von Gregor Gysi in Bielefeld nebeneinander in der ersten Reihe. Was ging Ihnen durch den Kopf, als er ankündigte, im Herbst nicht erneut als Fraktionsvorsitzender anzutreten?

Sahra Wagenknecht: Gregor hat eine sehr bewegende Rede gehalten, die jeden berührt hat, der die Entwicklung der LINKEN miterlebt hat. Gregor Gysi hat mit seiner Persönlichkeit, seiner Ausstrahlung und seinem Humor erheblich dazu beigetragen, eine andere Akzeptanz für linke Politik zu erreichen.

Dietmar Bartsch: Mich hat Gregor Gysis Rede sehr berührt, ja aufgewühlt. Besonders nahe gingen mir seine Erinnerungen an Lothar Bisky und Michael Schumann und natürlich seine sehr persönlichen Worte. Als er sprach, standen mir viele Bilder aus rund 25 Jahren gemeinsamer Arbeit vor Augen. Wir sind zusammen durch dick und dünn gegangen, haben gekämpft und gelitten, gemeinsam gewonnen, verloren, gelacht, gestritten. Ich erinnerte mich an die unglaubliche Wahlfete zur Bundestagswahl 1994 in der Berliner Kongresshalle. Viele Parteitage kamen mir in den Sinn – die oft chaotischen der ersten Jahre im Haus am Köllnischen Park, der dramatische Kongress von Münster, der Gründungsparteitag der LINKEN 2007. Ich habe Gregors Bielefelder Rede mit größter Hochachtung vor dem Mann verfolgt, der nicht nur der Kopf von PDS und LINKER war und ist, sondern der wieder und wieder auch den Kopf für diese Partei, für uns alle hingehalten hat.

Irgendwie ist DIE LINKE aber auch eine Spaßbremse. Beim Spiegel und bei Springer waren doch sicher LINKE-Personalquerelen fest für das Sommerloch eingeplant? Und dann gibt es eine Woche nach Gysis Rede schon zwei Nominierungen, die auf breiteste Zustimmung innerhalb von Fraktion und Partei treffen.

Sahra Wagenknecht: Ist doch ganz schön, wenn wir die Erwartungen der Presse in dieser Frage widerlegen.

Wird es mit der Doppelspitze zu einer Verschiebung inhaltlicher Schwerpunkte in der parlamentarischen Arbeit kommen?

Sahra Wagenknecht: Inhaltlich ist DIE LINKE gut aufgestellt. Sie steht für soziale Gerechtigkeit und Frieden. Wir kritisieren die katastrophale Eurokrisenpolitik der Regierung, die Europa spaltet und die Schere zwischen Reich und Arm immer stärker öffnet. Wir finden die Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte und des Streikrechts, wie sie von der SPD mit vorangetrieben wird, unerträglich. Wir wollen die Bundeswehr aus den Auslandseinsätzen zurückholen. Als stärkste Oppositionsfraktion ist es unsere Aufgabe, die Regierung  unter Druck zu setzen. Daran wird sich selbstverständlich nichts ändern.

Wie ist die Fraktion für die zweite Hälfte der Wahlperiode aufgestellt?

Dietmar Bartsch: Wir reden heute stark mit dem Blick auf die Geschichte, auf einen Zeitraum von der großen Niederlage der Linken 1989/90 über den puren Existenzkampf der Partei des Demokratischen Sozialismus bis hin zu unserer Oppositionsführerschaft im Deutschen Bundestag. Heute sind wir in einer gefestigten Situation, die ich mir lange, lange so nicht vorstellen konnte. Ein Meilenstein war der Zusammenschluss mit der WASG, ohne den es die erfolgreiche LINKE nicht gäbe. Die Fraktion hat sich Schwerpunkte bis 2017 gesetzt. Auf sehr vielen Politikgebieten haben wir solide Positionen und Konzepte anzubieten. Ein großes Pfund sind unsere engagierten und kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir sind also gut aufgestellt, müssen danach streben, durch Konzentration unser Profil weiter zu schärfen und unsere politischen Angebote so zu präsentieren, dass die Bürgerinnen und Bürger darin für sich und ihren Alltag Sinn und Nutzen erkennen.

Rot-Rot-Grün geht auch ohne Gregor Gysi, waren Stimmen von SPD und Grünen unmittelbar nach Bielefeld. Sie sagen: Unser Auftrag jetzt ist Opposition. Das gilt bis 2017?

Dietmar Bartsch: Im Bundestag sind wir die stärkste Oppositionskraft, und ich gehe davon aus, dass das bis 2017 so bleibt. Dass ich immer dafür eingetreten bin, wenn es möglich ist, auch Regierungsverantwortung zu übernehmen, ist vermutlich bekannt. Bodo Ramelow macht in Thüringen einen tollen Job als Ministerpräsident. Wir werden Wulf Gallert, der dieses Amt in Sachsen-Anhalt anstrebt, nach Kräften unterstützen. Auf Bundesebene gibt es aktuell kaum Anzeichen für eine Koalition ohne die Union ab 2017. Natürlich möchte ich das ändern. Dazu gehören zuerst gute Oppositionsarbeit, worunter ich das Attackieren der Großen Koalition ebenso verstehe wie das Entwickeln alternativer Positionen, und auch Gesprächsbereitschaft. Ansonsten gilt: Regieren muss man erstens wollen, zweitens können und drittens müssen die Bedingungen dafür stimmen.

Haben Sie sich bereits Gedanken darüber gemacht, wie sie die Arbeit als Ko-Vorsitzende untereinander aufteilen?

Sahra Wagenknecht: Wir werden keine Arbeitsteilung dergestalt machen, dass der eine für das eine, der andere für das andere Thema verantwortlich ist, sondern wir werden uns austauschen und in möglicherweise strittigen Punkten verständigen, auf der Basis unseres Partei- und des Bundestagswahlprogramms. Wir haben bislang kooperativ und gut zusammen gearbeitet, diese Arbeit werden wir fortsetzen. Entscheidend ist, dass wir uns gut absprechen. 

Dietmar Bartsch: Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende haben wir eine gut funktionierende Arbeitsteilung. Sahra kümmert sich um die Kontaktstelle soziale Bewegungen, um die Regionalbüros und die europapolitische Koordination. Mir obliegen die Abstimmung mit den Landtagsfraktionen, die Mitarbeit in der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der LINKEN und die Kontakte zur Rosa-Luxemburg-Stiftung. In die unterschiedlichen operativen Aufgaben bei der Vertretung des Fraktionsvorsitzenden teilen wir uns, für die Öffentlichkeitsarbeit sind wir gemeinsam zuständig. Wir beide haben also Erfahrungen in Kooperation und Arbeitsteilung. Darauf werden wir aufbauen.

Sie arbeiten beide seit vielen Jahren in unterschiedlichen Positionen in Vorständen von Partei und Fraktion zusammen. Was schätzen Sie aneinander?

Sahra Wagenknecht: Ich kenne Dietmar als jemanden, mit dem man verlässlich zusammenarbeiten kann. Es ist kein Geheimnis, dass wir nicht immer einer Meinung sind. Umso wichtiger ist es, verbindliche Absprachen zu treffen. Dies klappt zwischen Dietmar und mir sehr gut. Es ist hilfreich, dass wir beide eher rational veranlagt sind. Wir legen beide keinen Wert auf Firlefanz, sondern klären sachlich die Probleme, die anstehen. Es nötigt mir darüber hinaus großen Respekt ab, mit welchem Geschick Dietmar in der Fraktion agiert. 

Dietmar Bartsch: Die Stringenz, mit der Sahra Schwerpunkte setzt, nötigt mir Respekt ab. Gleiches trifft auf die Schärfe ihres Verstandes und die Fähigkeit zu, Argumentationen verständlich zu formulieren und auf den Punkt zu bringen. Sahras feinen Humor habe ich erst in jüngster Zeit kennengelernt. Wir verstehen uns gut, ohne immer einer Meinung zu sein. Mit Letzterem können wir vernünftig umgehen, nämlich offen und geradezu. Beide legen wir keinen großen Wert auf Förmlichkeiten – wenn wir etwas entscheiden müssen, wenn etwas zu fragen ist oder uns aufregt, greifen wir zum Telefon.

Die Erwartungen Ihrer Fraktionskolleginnen und -kollegen an das neue Führungsduo dürften nicht gering sein. Was wünschen Sie sich von der Fraktion?

Sahra Wagenknecht: Der Führungswechsel in der Fraktion ist jetzt eingeleitet worden und muss nun erfolgreich zu Ende gebracht werden. Noch sind wir nicht gewählt. Von der Fraktion wünsche ich mir sehr, dass wir offen und kontrovers diskutieren und dann möglichst geschlossen in die Auseinandersetzungen gehen – und das heißt in Auseinandersetzungen mit der Regierung, denn diese ist unser Gegner. Wir sind in den Bundestag gewählt worden, um uns für eine andere Politik stark zu machen – auf der Grundlage unseres Partei- und unseres Bundestagwahlprogramms. Dies bildet unsere gemeinsame Basis. Nur wenn wir gemeinsam agieren und unser eigenes Profil schärfen, können wir die Schlagkraft entwickeln, die es braucht, um andere Mehrheiten zu schaffen und einen wirklichen Politikwechsel in diesem Lande herbeizuführen.

Dietmar Bartsch: Ich habe in Bielefeld davon gesprochen, dass die Erfolge der Partei – und das trifft auch auf die Fraktion zu – die Erfolge aller Flügel sind. Das ist meine langjährige Erfahrung, nicht zuletzt aus meiner Zeit als Bundesgeschäftsführer. Das heißt nicht, Konflikte zu deckeln. Ich gelte nicht als extrem harmoniesüchtig. Aber ohne gegenseitigen Respekt geht es nicht. Der von mir hoch geschätzte Lothar Bisky hat sich stets gegen denunziatorische Kommunikation gewandt. Dazu zählte für ihn die Unart, Argumente nicht auf ihren Sachgehalt zu prüfen, sondern danach zu sortieren, wer sie vorgebracht hat. Ich wünsche mir also die Bereitschaft und die Fähigkeit, kontroverse Vorstellungen ohne Scheuklappen und Schaum vor dem Mund zu diskutieren, wie das beispielsweise auf dem Parteitag zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen geschehen ist. Selbstverständlich muss eine Fraktion in der Lage sein, geschlossen aufzutreten, was einschließt, dass der oder die einzelne Abgeordnete auch mal die eigene Befindlichkeit zurückstellt. Selbst im Deutschen Bundestag geht es nicht bei jedem Tagesordnungspunkt um Leben und Tod.