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Bei Max Weber nachgeschaut

Im Wortlaut von Herbert Schui,

Soll Die Linke auf die SPD zugehen?

Von Herbert Schui

Wer sich auf Politik als Beruf verlegt, tut gut daran, es mit dem Soziologen Max Weber (1864-1920) zu halten: Seinen Beruf versteht nicht, wer als Politiker nach der Macht strebt zur »persönlichen Selbstberauschung«, statt die Macht in den Dienst der Sache zu stellen. Wer also von Annäherung zwischen der Linken und der SPD redet, der darf von »der Sache«, den konkreten Zielen, nicht schweigen. Wer nicht »bei der Sache« bleibt, der »erstrebt den glänzenden Schein der Macht, statt die wirkliche Macht selbst«.

Wer sich mit diesem Schein der Macht zufriedengeben will, der »bloße Machtpolitiker« also, »mag stark wirken, aber er wirkt in der Tat ins Leere und Sinnlose. (…) An dem plötzlichen inneren Zusammenbruch typischer Träger dieser Gesinnung haben wir erleben können, welche innere Schwäche und Ohnmacht sich hinter dieser protzigen, aber gänzlich leeren Geste verbirgt.« Wer nach einem Beispiel sucht, wird es schnell finden: der lächerliche Auftritt Schröders in der Wahlnacht 2005, als er das Ergebnis nicht wahrhaben wollte, und sein Abgang beim Großen Zapfenstreich mit Tränen in den Augen (I did it my way)! Da wurde seine Regierungszeit auf den Begriff gebracht, nämlich als »das parvenümäßige Bramarbasieren mit Macht und die eitle Selbstbespiegelung in dem Gefühl der Macht«. Und sicherlich ist Schröder nicht der einzige, der alle Anlagen dazu hat.

Die Sache - das ist für Die Linke: »Hartz IV abwählen, Mindestlohn gerade jetzt, Gegen die Rente ab 67«. Diese Parolen, zur Bundestagswahl schlagwortartig zusammengefaßt, sind nicht einfach Protest: Sie fordern das Anrecht auf einen leistungsfähigen Sozialstaat ein; sie verlangen, daß der Absurdität zunehmender Armut der Arbeitenden bei steigender Produktivität der Arbeit ein Ende gesetzt wird - wobei es kein Tabu und keine Konvention geben darf, die für dieses Ziel nicht in Frage zu stellen wären. Das ist die Sache der Linken. Die Zeit hat das nicht begriffen, wenn sie in ihrer vorigen Ausgabe schreibt, Die Linke müsse jetzt neu definieren, warum und wofür sie gebraucht werde.

Wer Politik als Beruf betreibt und dazu fähig ist, der wird den Prozeß, der zum Ziel führt, auflösen in seine logischen Abschnitte, seine systematischen Bestandteile. Er wird in Koalitionen bald das erste, dann ein weiteres Element verwirklichen. Damit ist die Frage nach Regierungsbeteiligungen im Grunde beantwortet: Beim endgültigen Ziel gibt es keinen Kompromiß. Der Kompromiß kann nur darin bestehen, dann nicht alles auf einmal zu wollen, wenn ein klares Etappenziel erreicht werden kann - aber auch nur dann.

Heißt das nun, daß die Linke unter einer neuen Führung »Seit’ an Seit’« mit der SPD schreiten kann, daß es »Eine Chance für Links« gibt, wie die Financial Times am 23. Januar schrieb? Weil es um die Sache geht, ist zur Annäherung an die SPD zuerst die (sehr triviale) Frage zu stellen, um welche Sache es denn der SPD geht. Verändert sie sich wirklich mit Gabriel als Parteichef und Steinmeier als Fraktionsvorsitzendem? An Die Linke hat die SPD nicht wenig Stimmen verloren. Es ist dieser Druck, der die SPD zum Wandel nötigt. Diese Herausforderung wird schwächer, wenn die Linke ihre Ziele aufweicht, um sich der SPD anzunähern. Die meisten Zeitungen ermuntern dazu. »Der König geht, es lebe die Partei«, so die Parole, die die Süddeutsche Zeitung (24. Januar) ausgibt. »Die Linke hat nur dann eine Chance« - schreibt das Blatt - »wenn sie sich von Lafontaine emanzipiert.« Im Klartext: sich von ihren Zielen befreit! Dann könnte die SPD nach einigen semantischen Stilübungen bei ihrer Agenda 2010 bleiben. Annäherung hieße dann, daß Die Linke in der Sache viel preisgegeben hätte. Der Kompromiß etwa eines Koalitionsvertrages bestünde dann nicht mehr darin, den Weg zum - kompromißlosen - Ziel systematisch in Etappen aufzulösen. Das Ergebnis läßt sich ziemlich sicher voraussagen: Die Linke würde mit der SPD weiter schrumpfen - und der »Schein der Macht« beider Parteien auch!

Wenn Die Linke weiter vorankommen will, muß sie auf Kurs bleiben. Weber meinte dazu: »Nur wer sicher ist, daß er daran nicht zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, daß er all dem gegenüber: ›dennoch‹ zu sagen vermag, nur der hat den ›Beruf‹ zur Politik.« Muß dieser Satz interpretiert werden? Nein!

Herbert Schui ist Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke. Die Zitate von Max Weber stammen dem Essay »Politik als Beruf« von 1919

junge Welt, 4. Februar 2010