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Antifa-Demonstranten halten Fahnen hoch, ein Polizist mit Helm steht ihnen gegenüber Foto: @Reuters/Matthias Rietschel

Bedrohte Linken-Politikerin Martina Renner: „Wer ist Feind und wer ist Freund?“

Im Wortlaut von Martina Renner, Frankfurter Rundschau,

Die Linken-Politikerin Martina Renner spricht im Interview mit der Frankfurter Rundschau über Drohschreiben, die Rolle der Polizei und spionierende Neonazis. Das Interview führte Pitt von Bebenburg.

 

Frau Renner, Sie erhalten Drohschreiben des „NSU 2.0“. Werden darin persönliche Daten von Ihnen verwendet, die nicht öffentlich zugänglich sind?

Ja. Ähnlich wie bei anderen bedrohten Frauen sind bei mir auch persönliche Daten in den Schreiben zu finden.

In hessischen Polizeisystemen soll in Ihrem Fall nicht danach gesucht worden sein, anders als bei drei anderen bedrohten Frauen. Woher könnten sie also in Ihrem Fall stammen?

Derzeit lasse ich über meine Anwältin prüfen, ob es Abfragen in anderen Bundesländern bei den Behörden gegeben hat. Darüber hinaus wissen wir, dass Daten von Personen, die in den Fokus der extremen Rechten geraten, auch anderweitig recherchiert werden, in den Tiefen des Internets oder mit klassischen Anti-Antifa-Aktionen. Da werden Personen verfolgt und ausgespäht.

Diese Anti-Antifa-Szene spioniert und observiert. Wie stark fühlen Sie sich bedroht?

Dieses Phänomen ist nicht neu. Vor allem aus der militanten extremen Rechten werden Personen ausspioniert, nicht nur, um Daten zu haben, sondern auch um Übergriffe, Tätlichkeiten und Brandanschläge zu verüben. Das kennen wir seit den 1990er Jahren mit Angriffen auf Einrichtungen unserer Partei oder auf die Büros von Mandatsträgerinnen, auf alternative Zentren oder Personen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren. Ja, das ist bedrohlich. Zumal wir es hier in Berlin mit einer nicht geklärten Serie von Brandanschlägen in Neukölln zu tun haben, wo es auch um einen Mordversuch geht. Wenn so etwas nicht aufgeklärt wird, dann wächst natürlich die Besorgnis bei den engagierten Menschen.

Die Besorgnis wird noch größer, wenn man weiß, dass Daten auch aus Polizeisystemen abgerufen wurden. Wie sehen Sie die Verbindung zwischen einzelnen Polizisten und dieser Naziszene?

Es gibt eine besondere Sorge, wenn man den Verdacht hat, dass diese Daten aus Behördenzusammenhängen stammen können, nicht nur aus der Polizei, sondern gegebenenfalls auch aus der Justiz. Für die Bedrohten heißt das: Sie wissen manchmal nicht mehr: Wer ist Feind und wer ist Freund? Wir müssen natürlich mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeiten und sie immer wieder auf neue Drohmails und Auffälligkeiten hinweisen. Andererseits sind das manchmal dieselben Dienststellen, auf denen es extrem rechte Vorfälle gegeben hat wie hier das LKA Berlin. LKA-Beamte, die mit dem mutmaßlichen Brandstifter von Neukölln in einer Nazikneipe saßen, Drohschreiben, die aus der Polizei an Aktivisten versandt wurden. Das löst natürlich ein ungutes Gefühl aus, wenn man diesen Ermittlungsbehörden vertrauen muss, dass sie alles tun, um die Täter zu fassen.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen den Droh-Absendern „NSU 2.0“, „Nationalsozialistische Offensive“ (NSO), „Staatsstreichorchester“ und denjenigen, die jetzt Mails mit der Behauptung verschicken, sie kämen vom „NSU 2.0“?

Wir sehen Referenzen zwischen den drei großen Serien. Aber es gibt auch Unterschiede. Der Umstand, dass Behördeninterna in den Drohmails vorkommen, das ist ein Spezifikum von „NSU 2.0“. Der Autor von „Staatsstreichorchester“ hat seine Drohungen immer mit Erpressung verbunden, da sollte Geld gezahlt werden. Die Serie von „NSO“ hat auch einen bestimmten Duktus. Nichtsdestrotrotz bezieht sich „NSU 2.0“ auf den Drohmailschreiber André M., der wegen der „NSO“-Serie vor Gericht steht, und auf das „Staatsstreichorchester“, und es gab auch eine Bombendrohung gegen das Landgericht Berlin zum Prozessauftakt gegen André M. Ich würde von verschiedenen Tätern ausgehen. Es gilt aber zu vermuten, dass sie miteinander verbunden sind. Die Drohmails, die in den vergangenen Tagen unter „NSU 2.0“ eingingen, zeigen die Handschrift von Nachahmern.

In Hessen wurden die Handys und digitalen Geräte der eingeloggten Polizisten nur bei den Frankfurter Fällen durchsucht, nicht aber in Wiesbaden. Die Ermittler sagten, sie hätten nicht zugreifen dürfen, weil auch die Polizisten nur als Zeugen geführt wurden, nicht als Beschuldigte. Wundert Sie das?

Ja, das hat mich gewundert. Es kann ermittlungstaktische Gründe geben, am Anfang eine Person als Zeugen zu führen, weil er dann eventuell etwas freier aussagt. Aber formal muss man diese Beamten, an deren Rechnern der Log-in stattgefunden hat, als Beschuldigte ansehen. Solche illegalen Datenabfragen, um sie eventuell weiterzugeben oder zu nutzen für Bedrohungen, das sind Straftaten, Beihilfedelikte, gegebenenfalls auch Geheimnisverrat. Das ist kriminell. Ein Polizist oder eine Polizistin, die wissen das. Wenn man das berücksichtigt, kann man diese Person nicht so leicht von der Angel lassen. Dann muss man durchsuchen, nicht nur den Arbeitsplatz und den Dienstrechner, sondern eventuell das Diensthandy. In anderen Fällen war es sinnvoll, Privaträume zu durchsuchen, um Beweismittel zu finden, bevor sie vernichtet werden. Das ist jetzt unsere große Sorge. Monate später werden alle Beteiligten an diesen Drohungen alles dafür getan haben, dass Kommunikation und alle Spuren gelöscht sind.

Was erwarten Sie von den Ermittlern, was erwarten Sie von der Politik?

Nach zwei Jahren ergebnisloser Ermittlungen bin ich so weit zu sagen: Die Polizei steckt in einer Sackgasse. Dann gibt es das ungute Gefühl, dass die Polizei in Berlin wie in Hessen mit rechten Vorfällen in den eigenen Reihen konfrontiert ist und deswegen vielleicht nicht der richtige Akteur ist. Auch aus der besonderen Bedeutung der Fälle heraus würde ich sagen: Der Generalbundesanwalt sollte übernehmen. Dann hat er die Möglichkeit, federführend das Bundeskriminalamt zu beauftragen. Ich freue mich sehr, dass mein Kollege von der FDP, Konstantin Kuhle, das ebenso sieht. Und ich würde mir wünschen, dass die Grünen in Hessen zu den rechten Umtrieben in der Polizei nicht mehr schweigen.

Worauf hoffen Sie?

Leute, die solche Drohmails aufsetzen, und die Strukturen, aus denen sie kommen, müssen klare Signale bekommen. André M., der wegen der „NSO“-Drohschreiben vor Gericht steht, sitzt seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft und muss mit einer Haftstrafe rechnen. Das sind die notwendigen Signale. Die Sanktionsfreiheit, unter der solche Drohmails zu stehen scheinen, ermutigt sonst immer weitere Leute in rechten Strukturen, sich ebenfalls zu betätigen.

 

Frankfurter Rundschau,