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Auf dem Weg ins Nirgendwo

Im Wortlaut von Stefan Liebich,

Foto: Uwe Steinert

 

Stefan Liebich, Obmann der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss, analysiert im Interview das Ergebnis der Wahl in Israel und dessen Auswirkungen auf Regierungsbildung, gesellschaftliche Strukturen und Bewegungen und letztlich auf den Nahostkonflikt.

  Zumindest eines kann man wohl zum Ausgang der vorgezogenen Parlamentswahl in Israel sagen: Sie hat keine Klarheit über die politischen Mehrheitsverhältnisse gebracht. Weder gab es den erhofften deutlichen Sieg für das Mitte-Links-Bündnis von Isaac Herzog und Tzipi Livni noch konnte der rechtskonservative Likud von Ministerpräsident Netanjahu seine Herausforderer deutlich hinter sich lassen. Was hat den Ausschlag für das Ergebnis gegeben?

Stefan Liebich: Netanjahus unwürdiges Spiel mit der Angst hat ihm auf den letzten Metern dann doch noch zum Wahlerfolg verholfen. Doch Angst war schon immer ein schlechter Ratgeber. Seine rassistischen Äußerungen über arabische Israelis und seine Absage an die Zwei-Staaten-Lösung lassen Schlimmes befürchten.

Das Ergebnis verfestigt die ohnehin wachsende Isolation Israels und gibt wenig Hoffnung darauf, dass die drängenden sozialen Probleme im Land auch in Zukunft die notwendige Beachtung seitens der Regierung finden werden. Einer solcher Weg führt ins Nirgendwo.

Die Sperrklausel liegt in Israel bei 3,25 Prozent. Entsprechend gibt es verhältnismäßig viele kleinere Fraktionen in der Knesset und demzufolge auch in nahezu allen bisherigen Regierungskoalitionen. Zimmert sich Netanjahu jetzt eine Koalition bis hin zum äußersten rechten Rand? Oder bekommen die Israelis wieder einmal eine Regierung der nationalen Einheit, wie die GroKo hier traditionell heißt?

Die Sperrklausel ist gerade erst angehoben worden und hat -unbeabsichtigt- dazu beigetragen, dass die neue Arabische Liste mit 14 Sitzen drittstärkste Kraft in der Knesset geworden ist. In Anbetracht des Sieges des Likud-Blocks und im Wissen um Netanjahus Machtwillen kann ich mir eine Große Koalition mit der links-liberalen Zionistischen Union kaum vorstellen. Netanjahu selbst hat bereits kundgetan, dass er mit rechten und religiösen Parteien über eine Koalition in Gesprächen ist. Allerdings drängt Israels Präsident Reuven Rivlin weiterhin auf eine Regierung der nationalen Einheit, nicht zuletzt auch in der Hoffnung, eine solche Regierungskooperation könnte der weiteren Spaltung des Landes im Inneren und der Isolation nach außen Einhalt gebieten. Aber auch Rivlin weiß, die Entscheidung liegt letztlich beim Wahlsieger. Und der heißt nun mal Benjamin Netanjahu.

Die horrenden Lebenshaltungskosten und eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit waren zwei zentrale Themen des Wahlkampfes. Die öffentlichen Kassen sind leer. Vor welchen Herausforderungen steht die neue israelische Regierung?

Die israelische Gesellschaft ist in den letzten Jahren stark auseinandergedriftet. Die Konflikte zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, Armen und Reichen, Juden und Arabern, zwischen Tel-Aviv und Jerusalem haben sich zugespitzt. Angesichts der desolaten Wohnungssituation und der Lebenshaltungskosten bekommt die soziale Protestbewegung immer größeren Zulauf. Es ist erfreulich, dass vor allem junge Leute hier Widerspruch anmelden. Vor dem Hintergrund der schwierigen Lage in den Nachbarländern und der Fragilität in den Beziehungen zu den Palästinensern steht Israel nicht nur innen- sondern auch außenpolitisch unter Druck. Eine gerechte Wirtschafts- und Sozialpolitik und das aktive Streben nach einer Zwei-Staaten-Lösung wären jetzt die richtigen Signale, aber ich setze hier mit Blick auf die Vergangenheit wenig Hoffnung in Netanjahu.  

Nicht nur die israelische Linke begehrt auf. Ultraorthodoxe Juden wehren sich gegen den Wehrdienst und waren besonders betroffen von der Kürzung des Kindergeldes. Eine Gruppe orthodoxer Jüdinnen ist mit dem Versuch gescheitert, mit einer eigenen Frauenpartei bei der Wahl anzutreten, weil es Frauen nie auf die Listen religiöser Parteien schaffen.

Die Sonderstellung der Ultra-Orthodoxen wird in der israelischen Gesellschaft verständlicherweise immer weniger akzeptiert. Auf der anderen Seite nimmt ihre Zahl zu und es wäre ein Fehler auf sie zu verzichten. Aber auch innerhalb der Orthodoxie tun sich verstärkt Widersprüche auf. Die Gründung der Frauenpartei Be’sechutan Wochen vor der Knesset-Wahl sorgte über die Grenzen Israels hinweg für Aufsehen, denn Frauen sind nach dem Selbstverständnis der Strenggläubigen von nahezu allem ausgeschlossen. Kürzlich geriet eine ultra-orthodoxe Zeitung ihrerseits in die Schlagzeilen, weil sie Angela Merkel auf einem Foto wegretuschierte. Die Kandidatur von Ruth Kolian und ihren Mitstreiterinnen war eine bemerkenswerte Entscheidung.

Für erheblichen medialen Wirbel hat die Iran-Rede von Netanjahu vor dem US-Kongress gesorgt, zu der ihn die Republikaner unter Umgehung von Präsident Obama eingeladen hatten. Welche Gefahr droht Israel aus Teheran?

In der israelischen Gesellschaft gibt es einen weitgehenden Konsens darüber, dass die Regierung in Teheran ihrem Land feindlich gesonnen ist. Das ist angesichts entsprechender Äußerungen aus dem Iran auch nicht verwunderlich. Die Frage ist daher, wie man am besten zu Israels Sicherheit beiträgt. Netanjahu setzte im Wahlkampf auf Konfrontation, er versuchte die Stimmung anzuheizen. Mit seiner umstrittenen Rede im US-Kongress desavouierte er die Bemühungen von US-Präsident Obama um eine Verhandlungslösung im Streit um das iranische Atomprogramm. Netanjahus Forderungen nach mehr Sanktionen oder gar militärischen Maßnahmen sind ein verantwortungsloses Spiel mit dem Feuer. Sie bringen Israel und der ganzen Region nicht mehr Sicherheit, im Gegenteil.

Kurz vor der Wahl hat der Zentralrat der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) beschlossen, die Sicherheitskooperation der palästinensischen Autonomiebehörde mit Israel zu beenden. Damit reagiert Ramallah darauf, dass die israelische Regierung der palästinensischen Autonomiebehörde seit Monaten ihr zustehende Steuern von mehr als 100 Millionen Dollar vorenthält. Wie soll es hier weitergehen?

Die Wiederwahl Netanjahus wird die Sache nicht erleichtern, hat er doch bereits im Wahlkampf der Konfrontation das Wort geredet bis hin zur Aufkündigung der Zwei-Staaten-Lösung. Hier schaukelt sich erneut ein Konflikt hoch, der sich in einer neuen Eruption der Gewalt zu entladen droht. Das kann niemand wollen. Es gibt keinen, der die Rechtmäßigkeit der Steuerzahlungen an die Autonomiebehörde anzweifelt. Das Geld steht den Palästinensern ohne Wenn und Aber zu. Die Einbehaltung des Geldes als „Strafmaßnahme“ für den Beitritt Palästinas zum Internationalen Gerichtshof ist anmaßend und provokativ. Die „Gegenreaktion“ allerdings erinnert an einen Tanz auf dem Vulkan. Setzt die Autonomiebehörde den Beschluss des Zentralrats um, wäre es das Ende der palästinensischen Selbstverwaltung, was einer Bankrotterklärung sämtlicher Friedensbemühungen im Nahen Osten gleichkäme.

Nicht selten liest man zum Nahostkonflikt Kommentare wie: Denen ist nicht zu helfen. Da Sie das wahrscheinlich nicht so sehen: Wie ist denen zu helfen? Kann Europa und speziell Deutschland anders als bisher Einfluss auf die Beilegung des Konflikts nehmen?

Für einen verantwortungsvollen Außenpolitiker ist Resignation nie eine Option. Die EU kann nur wirksam helfen, wenn es die am Konflikt beteiligten Parteien auch wollen. Insbesondere Deutschland, das wurde mir sowohl von israelischer als auch von palästinensischer Seite signalisiert, ist für eine Vermittlerrolle gefragt. Konkret kann ich mir vorstellen, dass die EU am Übergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen Verantwortung übernimmt, damit dort wieder dauerhaft Grenzverkehr stattfinden kann. Es wäre zudem ein hilfreiches Signal, wenn die EU und alle ihre Mitgliedsstaaten die Bemühungen der Palästinenser um einen UNO-Sitz unterstützen. Wir werden allerdings die Konfliktparteien nicht mit Gewalt zum Frieden zwingen können. Am Ende geht es immer auch um Entscheidungen der politisch Verantwortlichen.

 

linksfraktion.de, 18. März 2015