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Atombombe und Atomenergie - zwei Seiten der gleichen Medaille

Im Wortlaut von Dorothée Menzner,

Wie in jedem Jahr sind die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE während der so genannten Parlamentarischen Sommerpause viel in ihren Wahlkreisen unterwegs. Vor Ort nehmen sie sich der Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger an, besuchen Betriebe und Vereine, engagieren sich für lokale und regionale Anliegen. Auf linksfraktion.de schreiben die Parlamentarierinnen und Parlamentarier über ihren Sommer im Wahlkreis.

Dorothée Menzner (3.v.l.) im Kreise von Tl Ivasaki, Blogger und Dolmetscher, daneben Keinioshi Murata, Künstler, der Abgeordnete Hattori, Ralph T. Niemeyer, Iseko Shirai, Vorsitzende der japanischen Solarenergiegesellschaft, Rena Masuyama, Anti-Atom-Aktivistin, und die Büroleiterin von Herrn Hattori (von links nach rechts)



Von Dorothée Menzner   Die Einladung, vom 10. bis zum 14. Juli politische Gespräche in Tokyo zu führen und unseren bei der letzten Japanreise im Februar gedrehten Film über Fukushima zu präsentieren, kam kurzfristig. Unbürokratisch genehmigte mir der Bundestag die Reise als Dienstreise. In Moskau stieg auf eigene Kosten noch  Co-Produzent Ralph T. Niemeyer dazu, und nach einem unfreiwilligen 28-stündigen Aufenthalt in Moskau landeten wir am Samstagnachmittag endlich in Tokyo. Die große Anti-Atom Demo am Freitagabend hatten wir damit verpasst, doch inzwischen wird in Tokyo beinahe täglich demonstriert. Wenigstens kamen wir noch rechtzeitig zur Vorführung unseres Films bei den "Müttern von Fukushima“ an.

Der Raum war brechend voll. Mütter, Väter, aber auch Journalisten folgten dem Film gebannt und diskutierten anschließend intensiv mit uns. Es erzeugte etwas Verwunderung, dass ausgerechnet Deutsche sich so intensiv mit dem Thema Fukushima befassen, doch wir erklärten, dass die Katastrophe in Fukushima auch für Deutschland und speziell für die Anti-AKW Bewegung ein Schock war, der die Menschen bis heute bewegt.

Risiken heruntergespielt

Außerdem gebe es weitere Gemeinsamkeiten zwischen Japan und Deutschland: Beide Länder sind hoch industrialisiert und spielen als Mitglieder der G7 global eine ähnlich bedeutende Rolle. Eine weitere Gemeinsamkeit bestehe darin, dass die Mechanismen der Profitmaximierung, des Herunterspielens von Risiken, aber auch die große Abhängigkeit der Politik von großen Unternehmen vergleichbar sind. Bei genauem Hinsehen haben wir es letztlich sogar mit den gleichen Profiteuren, den gleichen Geldgebern und Produzenten der Elemente dieser Hochrisikotechnologie zu tun. Offensichtlich hilfreich erschien unsere "Sicht von außen" in Bezug auf die Erkenntnis, dass Atombombe und Atomenergie zwei Seiten der gleichen Medaille sind. So hat das in Japan vor dem 11. März 2011 niemand gesehen, und auch jetzt wird es den Menschen nur langsam bewusst. Unser Film könnte zur Verbreitung dieses Gedankens beitragen.    Am Sonntag fuhren wir in einen etwas außerhalb gelegenen Stadtteil Tokyos, der vor allem von jüngeren Menschen und Studenten geprägt wird. Zu einer lokalen Anti-Atomdemo versammelte sich dort eine große Zahl vor allem jüngerer Bewohner. Viele waren bunt kostümiert, lustig geschminkt und hatten ein Musikinstrument dabei. Die wendländische Clown-Brigade hat hier ihr japanisches Pendant gefunden. Kinder, Hunde und chinesische Drachen waren mit von der Partie, und der laute, bunte, phantasievolle und lustige Zug ließ keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit und an seiner Ausdauer im Kampf gegen die Atomenergie. Die Menschen begrüßten uns als Unterstützer aus Deutschland, doch es war offensichtlich, dass es noch mehr Kontakte nach Deutschland gibt. Viele hatten deutsche Anti-Atom Buttons, einige sogar T-Shirts und Fahnen dabei. Eine junge Frau im Kimono hatte in Ermangelung eines Instruments ihre Bratpfanne und Kochlöffel mitgebracht. Sie berichtete mir von ihrer Wut über die japanischen Medien. Während in der Vergangenheit in allen Medien groß über deutsche Anti-Atom Demos berichtet wurde, seien die jetzigen Proteste in Japan, an denen sich an den Wochenenden nicht selten 200 000 Menschen beteiligen, kaum eine Zeile und schon gar keine Fernsehmitteilung wert. Das erklärte auch, warum die Demonstranten selbst fleißig filmten und fotografierten. Wie in anderen Ländern spielen youtube und facebook bei Organisation und Mobilisierung, aber auch bei der Dokumentation, eine wichtige Rolle.

"Eine Brisanz, die mir fast den Atem verschlug"   Am Montag fuhren wir dann mit Rei, unserem japanischen Freund, der selbst Journalist und Kameramann ist, zum "diet", dem Abgeordnetenbürohaus des japanischen Parlaments. Hier trafen wir verabredungsgemäß auf eine Reihe weiterer japanischer Freunde und Bekannte. Der Tagungsraum, in dem die japanische Version unseres Filmes gezeigt werden sollte, erschien mir erst zu groß: Aber er füllte sich, bis er überfüllt war, mit Journalisten, Organisatoren der Proteste in Tokyo und Parlamentariern aller Fraktionen. Auch hier erlebten wir äußerst konzentrierte Zuschauerinnen und Zuschauer.   Nach der Vorführung und einer Diskussion bedankten sich die Vertreter aller Fraktionen öffentlich. Natürlich nicht ohne zu erwähnen, welchen persönlichen Beitrag sie in den letzten Monaten gegen die Atomtechnik geleistet haben. Sogar ein hoher Vertreter der Regierungspartei war darunter. Kaum zu glauben, aber die Positionierungen laufen seit dem 11. März 2011 quer durch alle politischen Lager. Am Rande vereinbarten wir, gemeinsam eine internationale Parlamentarierversammlung gegen Atomkraft gründen zu wollen.   Nach einer kurzen Pause gaben der Abgeordnete Hattori, Sprecher der interfraktionellen Gruppe gegen Atomkraft, und ich gemeinsam eine Pressekonferenz. Während ich erklärte, warum die Kooperation mit Japan so wichtig ist und die Situation in Deutschland erläuterte, war der Beitrag des Kollegen Hattori von einer Brisanz, die mir fast den Atem verschlug.  Erstens erklärte er öffentlich, dass alle Informationen, die er in den letzten Monaten zusammengetragen hat, zeigen, dass das Hauptmotiv der Nutzung der Atomenergie für die japanische Regierung immer die Option auf die Atombombe war und nach wie vor ist.   Zweitens teilte er mit, dass das soeben wieder angefahrene Atomkraftwerk Oi im Bezirk Fukui auf einer aktiven Erdbebenspalte steht. Er habe herausgefunden, dass dies schon lange bekannt war und offensichtlich bei der Genehmigung, die unter diesen Umständen nie hätte erteilt werden dürfen, keine Rolle spielte. Dazu habe er den Ministerpräsidenten befragt, der sich ahnungslos gab - und es vermutlich auch sei. Der Sache werde nun nachgegangen, und bei einer Bestätigung könne dies auch nach japanischem Recht nur das endgültige Aus für die Anlage bedeuten.   Auch viele Journalisten waren fassungslos.   Bei einem gemeinsamen Arbeitsessen diskutierten wir intensiv weiter und verabredeten den Austausch von Untersuchungsberichten und anderen Dokumenten. Schnell war klar, dass wir uns im September erneut in Tokyo treffen werden, danach aber auch endlich einmal in Berlin. Bis dahin werde ich auf einer Sommertour unseren Film weiter in Deutschland präsentieren. Die rasante Entwicklung der Anti-Atombewegung in Japan seit meinem Besuch vor genau einem Jahr war für mich außerordentlich ermutigend, denn der Ausstieg aus der militärischen und zivilen Nutzung der Atomenergie kann nur international erkämpft werden   Zur Übersichtsseite der Reihe Sommer im Wahlkreis