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Arbeit schützt vor Armut nicht

Im Wortlaut,

Mehr als 1,3 Millionen Erwerbstätige mussten 2009 ihr Gehalt mit Hartz IV aufstocken

Von Fabian Lambeck

Immer mehr Erwerbstätige sind auf zusätzliche staatliche Leistungen angewiesen. Im vergangenen Jahr bezogen durchschnittlich 1,325 Millionen Berufstätige ergänzende Hartz-IV-Leistungen, berichtete die »Süddeutsche Zeitung« mit Verweis auf Statistiken der Bundesagentur für Arbeit. Demnach subventionierte der Staat die Lohndrückerei der Arbeitgeber allein im vergangenen Jahr mit 10,9 Milliarden Euro.

Sie sitzen an der Supermarktkasse, fahren Pizza aus oder arbeiten in der Restaurantküche: Immer mehr Erwerbstätige, die etwa in der Gastronomie- oder Dienstleistungsbranche arbeiten, sind auf Hartz IV angewiesen. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) belegt diesen Trend. So waren 2007 noch 1,22 Millionen Erwerbstätige auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Zwei Jahre später, Ende 2009, waren es bereits 150 000 mehr.

Nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit verdienten im vergangenen Jahr durchschnittlich 1,325 Millionen Berufstätige so wenig, dass sie Hartz-IV-Leistungen beziehen mussten.

Mehr als 300 000 von ihnen arbeiteten dabei sogar Vollzeit. »Arm durch Arbeit« nennen Experten dieses seit langen bekannte Phänomen. Nach wie vor fehlt in Deutschland ein gesetzlicher, branchenübergreifender Mindestlohn. Die BA schreitet erst ein, wenn Arbeitgeber weniger als drei Euro pro Stunde zahlen.

Wie die »Süddeutsche Zeitung« schreibt, ist die Zahl derjenigen, die trotz Vollzeitjob unter dem Existenzminimum liegen, in den letzten Jahren leicht zurückgegangen. Der DGB-Arbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy meinte gegenüber der Zeitung, dass dies vor allem dem Ausbau des Kinderzuschlages, des Wohngeldes und der wachsenden Zahl von Mindestlöhnen in einzelnen Branchen zu verdanken sei. »Der Niedriglohnsektor wächst, aber mit ihm nicht die Zahl der Niedriglöhner, die aufstockend Anspruch auf Hartz IV haben«, so Adamy wörtlich. Was Adamy nicht sagte: Die Zahl der schlecht bezahlten Arbeitnehmer ist also keinesfalls gesunken. Doch der im Jahr 2007 eingeführte Kinderzuschlag und das Wohngeld verhindern offenbar, dass sie in den Hartz-IV-Bezug abrutschen.

Während die Zahl der Vollzeitbeschäftigten auf Hartz IV also schrumpft, wächst im Gegenzug die Zahl der Aufstocker mit einem Lohn von weniger als 400 Euro. Diese Langzeitarbeitslosen oder auch Minijobber dürfen monatlich bis zu 400 Euro hinzuverdienen. Allerdings landen davon später maximal 160 Euro auf dem Konto. Der Rest wird mit dem Regelsatz verrechnet. Im vergangenen Jahr zählte die Bundesagentur rund 700 000 dieser Minijobber. Das sind fast 100 000 mehr als 2007. Ihr Anteil an allen Aufstockern stieg in diesen zwei Jahren damit von 52,6 Prozent auf 56,9 Prozent.

Fakt ist: Die Hartz-Reformen haben zu einer massiven Zunahme prekärer Beschäftigung geführt. So waren im Juni 2005, also kurz nach Einführung der rot-grünen Reformen, 1,5 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf Hartz IV angewiesen. Im September 2009 war ihr Anteil bereits auf 2,6 Prozent gestiegen.

Viele Arbeitgeber haben in den letzten Jahren Vollzeitstellen gestrichen und in Minijobs umgewandelt. Für sie sind die 400-Euro-Jobber viel günstiger als richtige Beschäftigte. So müssen Arbeitgeber für diese geringfügig Beschäftigten lediglich eine Pauschale von 30 Prozent abführen.

Bei der Bundesagentur hält man die Zunahme an Minijobbern jedoch für ein positives Signal. »Das zeigt uns, dass viele Hartz-Empfänger nicht abwarten, bis sie einen adäquaten Job gefunden haben. Sie nehmen auch schlechter bezahlte Jobs in Kauf«, sagte eine BA-Sprecherin der Nachrichtenagentur dpa. Diese Subvention von Billigjobs kostete die Agentur im vergangenen Jahr übrigens 10.9 Milliarden Euro.

Neues Deutschland, 5. Mai 2010