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An der Seite der Schwachen

Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Ein Kommentar im Tagesspiegel von Gregor Gysi.

Vertreter der fünf Fraktionen im Bundestag haben wie bei einem früheren gemeinsamen Antrag für das Existenzrecht Israels nun zum 70. Jahrestag der Pogromnacht in Deutschland einen gemeinsamen Antrag zur Verurteilung und künftigen Bekämpfung von Antisemitismus erarbeitet. Nun weicht die Union aus, will nicht gemeinsam mit der Linkspartei einen Antrag stellen. Plötzlich steht für sie die parteipolitische Auseinandersetzung im Mittelpunkt.

Beim Verhältnis der DDR zu Israel muss gesehen werden, dass die Hallstein-Doktrin der Bundesregierung der 50er Jahre außer bei der Sowjetunion diplomatische Beziehungen zur BRD ausschloss, wenn diplomatische Beziehungen zur DDR hergestellt wurden. Das Verhältnis der DDR zu arabischen Staaten wurde deshalb auch dadurch geprägt, dass diese und nicht etwa Israel die ersten nichtsozialistischen Staaten waren, die die DDR später anerkannten. Die DDR betrieb zusammen mit der Sowjetunion eine antiisraelische Politik, allerdings ohne dabei das Wort jüdisch zu verwenden. Sie hoffte, dass antiisraelisch nicht mit antisemitisch verwechselt wird. Die Politik der DDR war in Bezug auf den Nahostkonflikt einseitig, nicht ausgewogen, was von meiner Partei und mir schon seit Ende 1989 kritisiert wurde.

Bei der Anerkennung Israels durch die BRD verwandte Konrad Adenauer das antisemitische Argument, wonach die Juden in den USA immer noch sehr viel Einfluss hätten, er glaubte also an das Vorurteil des jüdisch beherrschten Weltkapitals. Die CDU verweigerte nach 1945 jahrelang eine Aufarbeitung der NS-Zeit, förderte alte Nazis, Leute wie Globke und Oberländer, eingefleischte schlimmste Antisemiten. Globke hatte nicht nur die Nürnberger Rassengesetze kommentiert, sondern ist für deren Verschärfung leider erfolgreich eingetreten. Er war trotzdem engster Vertrauter von Adenauer und Staatssekretär im Kanzleramt. Es ist auch nicht atypisch, dass die CDU zur Verschleierung ihrer Spendenaffäre jüdische Vermächtnisse vortäuschte.

Seit 60 Jahren haben die Israelis einen Staat, die Palästinenser nicht. Die Israelis sind politisch, militärisch und ökonomisch deutlich stärker als die Palästinenser. Es ist typisch, dass die Union eher an der Seite der Stärkeren steht und Die Linke eher an der Seite der Schwächeren. Eine Kritik an Israel, seiner Regierung, seiner Armee und seinem Geheimdienst kann völlig berechtigt, überzogen oder auch falsch sein, ist aber nicht antisemitisch. Antisemitismus beginnt dann, wenn Jüdinnen und Juden Rechte vorenthalten werden, wenn ihnen wegen ihrer Herkunft Nachteile erwachsen oder wenn sie deshalb diskreditiert oder beleidigt werden. Trotzdem kann es Kritiker an Israel geben, die eine antisemitische Haltung einnehmen, die aber nicht von vornherein unterstellt werden darf.

Im Übrigen gab es bei der Linken in der Kritik an Israel auch im Westen Einseitigkeiten, Überziehungen, eine ungenügende historische Beurteilung der Zusammenhänge. Damit setzen wir uns aber ausreichend selbst auseinander und brauchen keinesfalls die Hilfe gerade der Union. Es ist kein Zufall, dass es auch in Deutschland schon immer deutlich mehr Jüdinnen und Juden bei den Linken als bei den Rechten gab.

Zum 70. Jahrestag der schlimmen Pogromnacht in Deutschland geht es aber nicht um die Aufarbeitung von DDR-Geschichte, auch nicht um die Aufarbeitung der Geschichte der Union. Wichtig wäre wegen der besonderen Verantwortung der Deutschen ein gemeinsames Zeichen des gesamten Bundestages in unsere Gesellschaft, nach Israel und in andere Staaten, dass wir bei aller Unterschiedlichkeit entschlossen sind, Antisemitismus wirksam zu bekämpfen. Hoffen wir also, dass die Union diesbezüglich noch ein Einsehen bekommt.

Der Autor ist Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag.

Tagesspiegel, 30. Oktober 2008