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Mit dem Buchstaben A aus dem Arbeitsagentur-Symbol ist das Wort Armut zusammengesetzt © flickr.com/leralleFoto: flickr.com/leralle

Ampelprojekt Bürgergeld: Worte allein füllen keine Kühlschränke

Im Wortlaut von Katja Kipping,

Das Bürgergeld hat es in den Ampel-Koalitionsvertrag geschafft und ist in aller Munde. Es soll das bisherige Hartz-IV-System ablösen. Doch welche Veränderungen sind neben der Umbenennung wirklich davon zu erwarten?

Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es: „Das Bürgergeld soll die Würde des Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert sein.“ Das klingt zunächst erfreulich. Doch auch im bisherigen Text zur Grundsicherung für Arbeitssuchende heißt es, sie soll die Würde des Menschen ermöglichen (Paragraph 1 des SGB II): „Die Grundsicherung für Arbeitssuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.“ Welche Veränderungen sind also konkret geplant?

Schonvermögen

„Wir gewähren in den ersten beiden Jahren des Bürgergeldbezugs die Leistung ohne Anrechnung des Vermögens und anerkennen die Angemessenheit der Wohnung.“ Und weiter: „Wir werden das Schonvermögen erhöhen und dessen Überprüfung entbürokratisieren, digitalisieren und pragmatisch vereinfachen.“

Dies ist eine reale Verbesserung. Schonvermögen bezeichnet die Summe des Vermögens, bei dessen Besitz man trotzdem Anspruch auf Bürgergeld hat. Bisher sah das SGB II lediglich Freibeträge von 150 Euro je vollendetem Lebensjahr plus einem Freibetrag für Anschaffung von 750 Euro vor. Ein 50-Jähriger darf also bisher nur ein Schonvermögen von 8.250 Euro haben sowie „nach Bundesrecht geförderte Altersvorsorge, soweit die Inhaberin das Altersvorsorgevermögen nicht vorzeitig verwenden kann.“ (§ 12 SGB II)

Für die ersten zwei Jahre gibt es nun keine Grenzen – weder für die Wohnkosten noch fürs Schonvermögen. Danach allerdings, und viele Hartz-IV-Betroffene sind länger als zwei Jahre im Leistungsbezug, beginnt die Anrechnung des Schonvermögens. Der konkrete Wert dieses Vorhabens für Betroffene hängt nun ganz davon ab, wie hoch die Erhöhung des Schonvermögens ausfällt.

Wohnkostenlücke

Wer Hartz IV wirklich überwinden will, muss das Problem der Wohnkostenlücke in Angriff nehmen. Wohnkostenlücke bezeichnet die Differenz zwischen den Mietkosten, die tatsächlich anfallen und den Wohnkosten, die vom Jobcenter als angemessen anerkannt werden. Diese Differenz müssen sich die Hartz-IV-Betroffenen oft vom Munde absparen oder aber ihnen droht der Zwangsumzug. Um angesichts steigender Mieten dieses Problem abzumildern, müssten die Kommunen (die zuständig sind für die Kosten der Unterkunft) schlichtweg mehr Geld bekommen.

Die Ampel plant nun laut Koalitionsvertrag „einen verbesserten Rahmen für die Anwendung der kommunalen Angemessenheitsgrenzen“ der „regionalspezifische Pauschalen“ erleichtern soll. Nun sind „verbesserte gesetzliche Rahmen“ immer besser als verschlechtere. Aber worin die Verbesserung konkret besteht, darüber verrät der Vertrag bisher wenig. Und da die FDP durchgesetzt hat, dass es keine Steuern auf Millionenvermögen und keine höheren Steuern auf Millionenerbschaften bzw. Millionengewinne gibt, ist auch nicht davon auszugehen, dass die Kommunen hier mehr Geld zur Verfügung haben werden. Am Ende stellen sich die Pauschalen womöglich noch als eine Leistungskürzung heraus.

Sanktionen

Am 5. November 2019 urteilte das Bundesverfassungsgericht über die Hartz-IV-Sanktionen. Seitdem gilt eine Dienstanweisung des zuständigen Ministers Hubertus Heil, dass es nur noch Sanktionen bis zu 30 Prozent geben darf. Da bisher möglich war, 100 Prozent der Sozialleistung inklusive der Wohnkosten zu sanktionieren, ist dies ein Fortschritt, aber eben noch keine Sanktionsfreiheit.

Im Vertrag steht nun: „An Mitwirkungspflichten, die in der Teilhabevereinbarung festgehalten werden, halten wir fest. Sie werden gesetzlich bis spätestens Ende 2022 geordnet.“ Bis dahin ist „ein einjähriges Moratorium für die bisherigen Sanktionen unter das Existenzminimum“ geplant.

Hier steckt der Teufel im Detail, genau genommen darin, was unter Existenzminimum verstanden wird. Dazu gehen im politischen Raum die Deutungen auseinander. Viele Sozialverbände und DIE LINKE sagen, das soziokulturelle Existenzminimum wird durch die Hartz-IV-Regelbedarfe unterschritten, es müsste bei über 600 Euro im Monat liegen. Andere meinen, der Regelbedarf sei das Existenzminimum. Wieder andere meinen, entscheidend sei das physische Existenzminimum und das liegt bei 70 Prozent der Regelbedarfe. Dieser Deutung zu Folge wären bei einem „Moratorium für die bisherigen Sanktionen unter das Existenzminimum“ weiterhin Sanktionen bis zu 30 Prozent möglich. Welche Deutung sich durchsetzt – dazu werden wir der Regierung auf den Zahn fühlen.

Bedarfsgemeinschaft

Zu den Tücken des Hartz-IV-Systems gehört die strikte Anrechnung des Partnerinneneinkommens. Demnach kann einem Erwerbslosen die Grundsicherung verweigert werden, wenn sein Partner oder seine Partnerin ein Einkommen hat. Und wir reden hier nicht von Millioneneinkommen. Je nachdem wie die Wohnkostengrenzen vor Ort sind, kann schon bei einem Einkommen von 2.000 Euro der Erwerbslose mit null Euro Einkommen darauf verwiesen werden, seine Lebenskosten über das Partnerinneneinkommen zu bestreiten. Kurzum: Hartz IV bestraft Menschen dafür, dass ihre Partner:innen einer Erwerbsarbeit nachgehen.

Die konsequente Überwindung dieser Schikane besteht in dem individuellen Anspruch. Der Ampel-Vertrag sieht nun lediglich eine Umstellung von „der horizontalen auf die vertikale Einkommensanrechnung“ vor. Das ist eine gewisse Entlastung, sie verbleibt aber im System der strikten Anrechnung von Partnerinneneinkommen.

Höhe der Regelbedarfe

Die Grundsicherung soll das soziokulturelle Existenzminimum abdecken. Alle bisherigen Bundesregierungen haben es gezielt kleingerechnet. Wir als LINKE haben jedes Mal eine alternative Berechnung vorgelegt. Ohne die offensichtlichsten Rechentricks müsste der Regelbedarf in diesem Jahr bei 658 Euro plus Stromkosten liegen.

Im Bundestag sprachen sich die Grünen für Regelbedarfe um die 600 Euro aus. Dieser Anspruch schrumpfte bereits im Wahlkampf auf eine Erhöhung um 50 Euro. Und diese Erhöhung ist während der Verhandlungen offensichtlich auf null geschrumpft. Denn zu der so notwendigen Erhöhung der Regelbedarfe findet sich kein Wort im Koalitionsvertrag. Dabei sind aktuell rund sieben Millionen Menschen direkt von der dieser Höhe betroffen. Und ihre Not nimmt zu, denn die Kosten für Lebensmittel sind um über vier Prozent gestiegen, die Energiekosten explodieren geradezu. Hier offenbart sich die große Schwachstelle des Ampel-Bürgergeldes. Angesichts dieser Inflation werden Hartz-IV-Betroffene unterm Strich weniger im Kühlschrank haben. 

Von schönen Worten und leeren Kassen

Was sich ansonsten ändern soll: Die Beratung soll „auf Augenhöhe“ stattfinden. Und die Eingliederungsvereinbarung heißt nun „Teilhabevereinbarung“. Ob dies mehr als reine Lyrik ist, wird die Praxis zeigen. Die Schönheit von Worten in politischen Absichtserklärungen füllt keine Kühlschränke. Deshalb geht es im Kampf gegen Armut und für Teilhabe zuallererst um die konkreten Verbesserungen für die Betroffenen. Und auch wenn an vielen Punkten noch offen ist, wie die Ampel das genau meint – eins steht schon fest: DIE LINKE wird weiterhin Druck machen für Regelbedarfe, die sicher vor Armut schützen, für Sanktionsfreiheit und eine Mindestsicherung von 1.200 Euro.