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Alte Zöpfe in Frage stellen

Im Wortlaut,

Hannelore Buls ist Vorsitzende des Deutschen Frauenrats und diskutiert am Dienstag mit dem Arbeitskreis Soziales, Rente und Gesundheit die Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen im Pflegebereich. Wir haben sie interviewt. Foto: Deutscher Frauenrat

 

Frau Buls, als Vorsitzende des Deutschen Frauenrates sind Sie die Lobbyistin mit der vermutlich größten Interessengruppe im Rücken – über 41 Millionen Frauen leben in Deutschland, mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich. Was sind deren dringenste Anliegen?

Hannelore Buls: Der Deutsche Frauenrat organisiert mehr als 50 bundesweit aktive Frauen-Verbände und Zusammenschlüsse in gemischten Organisationen. Er vertritt so die Interessen von vielen Millionen Frauen in Deutschland, jedoch nicht alle 41 Millionen – diese Annahme wäre unrealistisch. Im Augenblick stehen frauenpolitisch drei Anliegen ganz oben auf der Prioritätenliste: eigenständige Existenzsicherung, Altersvorsorge und Vermeiden von Altersarmut sowie Politik gegen Gewalt an Frauen.

Worin besteht dabei für Sie die größte Herausforderung?

Alle Forderungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern sind wichtig. Deshalb möchte ich als aktuell größte Herausforderung beschreiben, dass es in der Bundespolitik oft schwierig ist, alte Zöpfe in Frage zu stellen, also beispielsweise traditionelle Sichtweisen auf Ehe und Familie zu modernisieren. So fordert der DF seit Jahren etwa den Ersatz des Ehegattensplittings durch gezielte Kinderförderung. Er kritisiert die Förderung des Zuverdienstes für verheiratete Frauen, immer noch wird die Steuerklasse fünf in der Politik verteidigt oder die geringfügig entlohnte Beschäftigung nicht mit anderen Beschäftigungen gleichgestellt. Ein ganz dickes Problem ist auch die damit einhergehende fehlende Altersvorsorge.

Vor zwei Wochen war wieder einmal Equal Pay Day, der Tag, der symbolisch für die Zeit seit Jahresanfang steht, die Frauen im Vergleich zum Jahreseinkommen von Männern "unentgeltlich" gearbeitet haben, denn noch immer erhalten Frauen rund 21 Prozent weniger Lohn als Männer. Woran liegt das und wie könnten wir das ändern?

In diesem Jahr haben wir die geschlechtsspezifisch verfestigte Arbeitszeitverteilung thematisiert, die Benachteiligung von Teilzeitarbeit, die immer kleinteiligere Aufteilung des „weiblichen“ Arbeitsmarktes. Das große Problem ist der Minijob mit „Aushilfe“-Löhnen, die qualifikations-unabhängig um die acht Euro liegen. Die ungleiche Zuschreibung von bezahlter und unbezahlter Arbeit führt immer noch zu viel Erwerbsarbeit für Männer und überlässt Frauen zusätzlich zur Teilzeitarbeit die unbezahlte Haus- und Familienarbeit, wenn sie sich nur einmal darauf eingelassen haben. Ein Rückkehrrecht auf Vollzeit ist deshalb überfällig. Die „kleine Teilzeit“ im Minijob muss sozialversicherungs- und steuerrechtlich mit anderen Arbeitsverhältnissen gleichgestellt werden. Zudem brauchen wir eine andere Erziehungs- und Pflegepolitik, die Frauen von und bei Erziehung und häuslicher Pflege entlastet.

Bestimmte Berufsgruppen leiden besonders unter geringer Bezahlung, schlechten Arbeits- und Aufstiegsbedingungen, etwa Erziehungs- und Pflegeberufe, aber auch Handel, Hotel- und Gaststättengewerbe. Gerade hier arbeiten besonders viele Frauen. Weshalb?

Beides, schlechte Arbeitsbedingungen und die hohe Anzahl der Frauen in diesen Bereichen, ist die Folge eines nicht richtig geregelten Arbeitsmarktes. Die Arbeitsmarktpolitik hat den Niedriglohnsektor gefördert. So spielten die Lohnuntergrenzen von Tarifverträgen für die Vermittlung keine Rolle mehr. Wenn Vorgaben wie diese auf eine Branche treffen, wo das Arbeitskräfteangebot traditionell groß ist, können Löhne leicht gedrückt werden. Beispielsweise hat der Handel einen Teil seines Verdrängungs-Wettbewerbs über Lohnsenkungen abgewickelt, während die betroffenen Frauen kaum eine Chance hatten, sich über die Arbeitsagenturen um eine Alternative zu bemühen – schon gar nicht, solange sie die Arbeit noch hatten. Der DF fordert deshalb, die Zumutbarkeit im SGB II auf existenzsichernde Arbeit umzustellen.

Was müsste geschehen, damit zum einen Frauen und Männer gleiche Einkommens- und Arbeitsbedingungen erhalten und zum anderen mehr Bewegung in "klassische" Berufswahlentscheidungen kommt?

Wir brauchen, um bei der Arbeitszeit zu bleiben, eine neue Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, eine neue Debatte darüber, was ein familienerhaltender Lohn ist und wer ihn verdient – eine Person, der Mann/Vater, oder zwei, Frau und Mann gemeinsam und gleichwertig. Sechzig Wochenstunden sind eine gute Sache, wenn sie je zur Hälfte von beiden geleistet werden können. Wir brauchen eine neue Debatte über Vollzeit- und Teilzeitarbeit, deren Verteilung und gerechte Bezahlung. Frauenarbeitsplätze, vor allem in Teilzeit, müssen von Lohn-Benachteiligung befreit werden. Anstatt anzunehmen, dass Teilzeitbeschäftigte weniger für das Unternehmen erbringen, sollte ihre höhere Produktivität beachtet werden. Zudem darf die Neu-Definition von Vollzeitarbeit kein Tabu mehr sein. Der DF hat deshalb auch das Schwesig-Modell der finanziell geförderten 32-Stunden-Woche für junge Eltern begrüßt. Solche Modelle könnten auch mehr Frauen dazu bewegen, in traditionell männlichen Arbeitsbereichen tätig zu werden, die bisher meist nur Vollzeitjobs mit Überstunden-Garantie versprechen.

Sie sind am Dienstag im Arbeitskreis Soziales, Gesundheit und Rente der Fraktion zu Gast. Was sind Ihre Anliegen und Forderungen an unsere Abgeordneten?

Wir haben den Besuch verabredet, um ein Gespräch zur sozialen Sicherung speziell im Pflegezusammenhang zu führen. Der DF setzt sich vor allem für die Vereinbarkeit pflegender Angehöriger ein. Aktuell ist da der neue Pflegebedürftigkeits-Begriff ein Anliegen. Dieser kann dazu beitragen, dass die häusliche Pflege erleichtert wird, indem ambulante Pflegeleistungen dem tatsächlichen Bedarf besser angepasst werden. Es geht selbstverständlich auch um die Arbeitsbedingungen der professionellen Pflegekräfte, die gern in ihrem Beruf arbeiten, aber den eigenen Qualitätsansprüchen oft nur auf eigene Kosten genügen können, weil die sogenannte Minutenpflege dem entgegensteht. Die LINKE-Fraktion sollte sich an dieser Stelle in unserem Sinne für die Stärkung der gesetzlichen Pflegeversicherung einsetzen, so dass Frauen von und bei der Pflege besser als bisher entlastet werden.

linksfraktion.de, 31. März 2014