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"Alles zu verkaufen ist völlig falsch"

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Linkspartei-Fraktionschef Oskar Lafontaine nennt im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau Privatisierungen "Diebstahl" und kritisiert Ein-Euro-Jobs.

Frankfurter Rundschau: Herr Lafontaine, die Linkspartei plakatiert den Slogan "Privatisierung ist Diebstahl öffentlichen Eigentums". Was ist Diebstahl daran, wenn der Staat Geld bekommt für Einrichtungen, die er sich nicht mehr leisten kann?

Oskar Lafontaine: Es geht um öffentliches Eigentum, das durch die Leistungen von Generationen aufgebaut wurde. Um Schwimmbäder, Theater, Energieversorgungsanlagen. Die sind das Eigentum der Bürgerinnen und Bürger. Die Privaten machen damit einen Reibach, und schon daraus erklärt sich das Wort Diebstahl.

Kann der Staat alles besser als Private?

Nein. Aber wir haben Gemeinden, in denen die Gemeinderäte überhaupt nichts mehr zu entscheiden haben. Alles wird von Privaten festgelegt: Parkgebühren, Strompreise, Wasserpreise, Tarife im Nahverkehr, Mieten im sozialen Wohnungsbau.

Schauen wir uns ein Beispiel genauer an: Die Universitätskliniken Gießen-Marburg bekommen durch die Privatisierung Investitionen, die sich das Land Hessen nicht hätte leisten können. Ist das nicht nützlich?

Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Es ist richtig, dass die öffentlichen Haushalte ausgeblutet sind. Das ist ein Ergebnis der völlig falschen Steuer- und Abgabenpolitik, an der auch die Regierung des Landes Hessen einen gewaltigen Anteil hat. Wir haben eine um sechs Prozent niedrigere Steuer- und Abgabenquote als der Durchschnitt der Europäischen Union. Das heißt übersetzt: 130 Milliarden Euro fehlen pro Jahr in den öffentlichen Kassen. Die Konsequenz, jetzt alles zu verkaufen, ist aber völlig falsch. Richtig wäre, eine Steuer- und Abgabenquote durchzusetzen wie unsere europäischen Nachbarn.

Die Berliner Landesregierung, an der die Linkspartei beteiligt ist, privatisiert in der Wohnungswirtschaft. Ist auch das Diebstahl an öffentlichem Eigentum?

In der Wohnungswirtschaft in Berlin haben wir eine Sondersituation. Keine andere Stadt hat einen so hohen Anteil von öffentlichen Wohnungen. Insofern konnte die Regierung zu dem Ergebnis kommen, zur Haushaltssanierung ein Wohnungsunternehmen zu veräußern. Wir haben aber eine offene Debatte geführt und sind mit den Berliner Freunden entschlossen, die Privatisierung öffentlicher Wohnungen zu stoppen und keine weiteren öffentlichen Einrichtungen zu verkaufen.

Halten Sie es eigentlich für falsch, wenn Kommunen, Wohlfahrtsverbände oder andere Träger Ein-Euro-Jobber anstellen?

Eindeutig ja. Es ist die gleiche Ausgangssituation wie bei der Veräußerung öffentlichen Eigentums. Weil die Haushalte ungemein knapp sind, kann man auf die Lösung verfallen zu sagen: Ich habe kein Geld mehr, Personal zu beschäftigen, also greife ich zu Ein-Euro-Jobs. Das ist der falsche Weg. Der richtige Weg ist, die öffentliche Beschäftigung zu orientieren am Durchschnitt der europäischen Staaten. Wir sollten uns an den nordischen Staaten ein Beispiel nehmen, die 33 Prozent aller Beschäftigten im öffentlichen Sektor beschäftigt haben. Bei uns sind es gerade 16 Prozent.

Die Wahlalternative WASG in Hessen spricht von "Zuhälterlohn", den die Träger von Ein-Euro-Jobs einstreichen. Hat sie Recht?

Ich will nicht jede Polemik bewerten. Aber dass Gemeinden, wenn sie so handeln, Nutznießer der sozialen Not sind, kann man nicht bezweifeln.

Auch hier macht Rot-Rot in Berlin keine Ausnahme!

Deshalb kritisieren wir diese Entwicklung.

Können Sie die in der WASG verstehen, die daraus den Schluss ziehen, dass auch rot-rote Landespolitik "neoliberal" ist?

Ich habe Verständnis für solche Kritik, bin aber gegen das Pauschalurteil neoliberal. Die Linkspartei in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern bemüht sich zum Beispiel, bei öffentlich geförderter Beschäftigung neue Wege zu gehen und Alternativen zu den Ein-Euro-Jobs zu entwickeln. Ich ziehe aus der Kritik vor allem nicht den Schluss, die Linke weiter aufzusplitten. Wir müssen Fehler korrigieren und mit einem Programm antreten, das auch von denen akzeptiert werden kann, die bisher nicht einverstanden sind mit der Politik der Linken in Gemeindeverwaltungen oder Landesregierungen.

Gefährden die Differenzen, die es in der WASG gibt, auch die gemeinsame Fraktion von Linkspartei und WASG im Bundestag?

Nein. Das ist ein Märchen, das die politische Rechte in die Welt setzt.

Interview: Pitt von Bebenburg

Frankfurter Rundschau,3. März 2006