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Alle reden vom Wetter. Wer denkt an Europa?

Im Wortlaut von Alexander Ulrich,

Überlegungen zu einer europäischen Klimaschutzpolitik

Der Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen und die dramatische Entwicklung des Klimawandels zeigen Wirkung:

Die europäischen Eliten haben Vereinbarungen zur Verminderung des CO2 Ausstoßes, der Deckung des Energiebedarfs durch erneuerbarer Energien sowie der Verringerung des Gesamtenergieverbrauchs (jeweils 20 Prozent) bis zum Jahr 2020 getroffen. Bundeskanzlerin Merkel hat die deutsche Ratspräsidentschaft genutzt, um Europa mit der globalen Führungsrolle bei der Bekämpfung des Klimawandels zu betrauen.

Noch vor einem Jahr während der Zuspitzung des Gasstreits zwischen Russland und der Ukraine lag der Schwerpunkt der Bundesregierung auf der Betonung der Energiesicherheit. Die Linke hat sich stets geweigert ihre Energie- und Außenpolitik an dem globalen Wettlauf um die strategische Kontrolle der letzten Ölvorkommen und Pipelinerouten auszurichten, etwa in Afghanistan und im Irak.

Die Party ist bald zu Ende: Die Bundesregierung hat aber nichts anderes zu tun, als Milliarden von Euro in militärische Engagements zu investieren, die direkt und indirekt der Unterstützung der US-amerikanischen Politik der systematischen Destabilisierung des Vorderen Orients dienen. Diese Mittel könnten in die Erschließung zukunftsträchtiger alternativer Energien investiert werden und Europas Technologieführerschaft auf Gebieten der Wind-, Wasser- und Solarkraft nachhaltig sichern helfen.

Das Treffen der Kanzlerin mit US-Präsident Busch im Rahmen des EU-USA Gipfels hat das Megathema Klimawandel ignoriert. Mit dem Open Sky Agreement zwischen der Europäischen Union und den USA wurde eine Liberalisierung des Flugverkehrs verabredet. Eine Kerosinbesteuerung des Flugverkehrs, die wichtige Mittel zur Finanzierung der Klimaschutzziele beisteuern und die in der EU verbreitete Diskriminierung des Schienenverkehrs beenden würde, spielte in den Gesprächen keine Rolle.

Doch es reicht nicht die Lücke zwischen Worten und Taten der Bundesregierung zu beklagen: Die Linke in Deutschland und Europa braucht Antworten auf die drängenden Probleme des Klimawandels. Die Folgen, etwa durch Naturkatastrophen ausgelöste Flüchtlingsströme oder Wassermangel, werden vor allem die Ärmsten der Armen treffen. Es gibt gute Gründe für eine linke Antwort auf die ökologische Krise, denn mit den Mitteln der neoliberalen Wirtschaftspolitik ist ihr nicht beizukommen.

Die Versäumnisse grüner Umweltpolitik

Die grüne Bewegung in Deutschland hat sich darum verdient gemacht, Ökologie in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. Die Grüne Ein-Punkt Partei ist hierbei jedoch stehen geblieben und hat sogar ihrem Anliegen geschadet. Wer jeden wirtschaftspolitischen Unsinn mitmacht und bei der Durchsetzung ökologischer Positionen den Blick für die Lebensverhältnisse der Bevölkerungsmehrheit verliert, kann keinen Erfolg haben:

Ein pauschaler Wachstums- oder Konsumverzicht der Bevölkerung kann keine linke Klimapolitik begründen. Meistens wird nur ein ökologisches Argument missbraucht, um den wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeitnehmer/innen zu schaden. Die CO2- Emissionen der Privathaushalte in Deutschland betragen etwa 15 Prozent der gesamten Kohlendioxidbelastung und müssen durch Anreize zum Energiesparen deutlich reduziert werden. Der überwiegende Anteil der Emissionen wird jedoch im Verkehr und Wirtschaftsleben erzeugt und dort müssen ambitionierte CO2 Obergrenzen die Innovationsanreize für Unternehmen verstärken, statt mit einem laxen Emissionshandel auf eine reine Umverteilung der Verschmutzungsrechte zu bauen.

Die nachhaltige Wachstumsverlangsamung der entwickelten Volkswirtschaften der letzten 30 Jahre hat kein einziges Umweltproblem gelöst. In Schwellenländern würde eine Wachstumsverlangsamung zweifelsohne die Prioritäten zu Ungunsten der Umweltpolitik verschieben. Ein Strukturwandel in den Dienstleistungssektor könnte die Umwelt hingegen spürbar entlasten. So liegt etwa Schwedens pro Kopf CO2 Ausstoß weit unter dem Bruneis oder Russlands. Linke Klimapolitik muss daher auf die qualitative Veränderung der Wirtschaftsweise nicht auf einen pauschalen Wachstumsverzicht abzielen.

Die gegenwärtigen Ansätze der Umweltpolitik haben hier versagt: Die Einnahmen aus der Ökosteuer etwa wurden zur Senkung der Rentenbeiträge der Unternehmen verwendet, nicht aber für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Im Ergebnis waren die Menschen weiter dazu gezwungen das Auto zu benutzen, um etwa weit entfernte Arbeitsplätze zu erreichen. Die Senkung der Lohnnebenkosten geht fundamental an den Problemen des deutschen Lohndumpings vorbei, sie hat aber auch dem Anliegen der Ökosteuer geschadet.

Die Rolle der Energie- und Technologiepolitik

Diese Gedanken lassen sich auch auf die aktuelle Bedrohung durch den Klimawandel übertragen: Es reicht nicht fossile Energieträger einfach nur zu verteuern, die Entwicklung alternativer Technologien muss im großen Stil gefördert werden. Es gibt keine erfolgreichen Netztechnologien, wie der Eisenbahn oder des Internet, die sich ohne staatliche Förderung am Markt durchgesetzt hätten. Private Investoren haben kein Interesse in Vorleistung zu treten, wenn sie keinen alleinigen Zugriff auf die Verwertung der Technologien besitzen. Dies gilt auch für die Energiebranche.

Die Förderung der Wind- und Solarkraft ist eines der wenigen Gebiete auf dem die letzte Bundesregierung Erfolge erzielen konnte. Der geplante Subventionsabbau bei den Kohlekraftwerken ließe sich dramatisch beschleunigen, wenn die 2,5 Mrd. € jährlichen Subventionen unmittelbar in alternative Energiequellen, sinnvolle Vorhaben wie die energetische Haussanierung sowie die ökologische Überführung der Beschäftigungsverhältnisse der Kohlekumpel investiert würden. Die Nettoeffekte für die Beschäftigten könnten aufgrund der dynamischen Ökobranche gar positiv ausfallen.

Leider hat die Bundesregierung jedoch vorwiegend auf die Liberalisierung der Verkehrs- und Energienetze gesetzt, somit die Entstehung privater Kartelle befördert und sich wichtiger technologiepolitischer Einflussmöglichkeiten beraubt.

Die Privatisierung und Liberalisierung dieser Märkte hat vernachlässigt, dass für eine effiziente Versorgung in netzabhängigen Sektoren ein enormer Investitionsbedarf besteht, der sich häufig nicht mit dem Wettbewerbsprinzip verträgt. Daher hat selbst die Deutsche Bank AG unlängst die Verstaatlichung der Energienetze gefordert. Generelle Privatisierungen erzwingen zudem aufwendige Regulierungen, da der Staat keinen unmittelbaren Einfluss mehr genießt. Sie widersprechen daher nicht nur dem europäischen Ziel des Bürokratieabbaus sondern erschweren die Erreichung der europäischen Klimaschutzziele.

Die europäische Dimension der Klimapolitik

Der EU obliegt seit den Maastricht-Verträgen die Förderung transeuropäischer Netze im Bereich der Verkehrs- und Energieinfrastruktur. Im Vertrag von Amsterdam wurde die Energiepolitik in den Katalog der Gemeinschaftsaufgaben übernommen und die Lissabonstrategie wurde hierdurch ergänzt. Jedoch beschränkt sich die Europäische Kommission mit Billigung der nationalen Regierungen auf die weitere Liberalisierung bzw. Kartellisierung des europäischen Binnenmarktes.

Bereits heute werden jedoch kostenintensive, Forschungsvorhaben wie die Erschließung des Weltalls, etwa in Form der European Space Agency (ESA), vergemeinschaftet. Ähnliches galt für strategische Wirtschaftszweige wie die Montan- bzw. Rüstungsindustrie, von denen im Nachkriegseuropa Risiken für den europäischen Integrationsprozess ausgingen. Der Vorteil solcher Kooperationen ist sowohl politischer als auch ökonomischer Natur: Durch eine Konzentration der Ressourcen und Forschungsergebnisse werden notwendige Größenvorteile erzielt und technologische Entwicklungen beschleunigt. Durch die gemeinsamen Abhängigkeiten wird der Integrationsprozess vertieft.

Der britische Ökonom Sir Nicholas Stern mahnte dass die Industrienationen nur 1 Prozent Ihres Sozialprodukts in den Klimaschutz investieren müssten, um einem zukünftigen Verlust von 20 Prozent der Wirtschaftskraft zu begegnen. Warum sollten aber die EU-Staaten vereinzelt um die Erreichung der Klimaschutzziele ringen und dabei Gefahr laufen, dass einige Mitgliedsländer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Wieso existiert eine europäische Rüstungsagentur, aber keine europäische Klimaagentur, trotz der erheblichen Bedrohungen der Energiesicherheit und Lebensbedingungen der Menschen?

Würde die EU ihre Ressourcen bündeln, um ihre ehrgeizigen Klimaziele zu verfolgen würde sie wahrhaft eine globale Führungsrolle bei der Abwendung der Klimakatastrophe einnehmen. Es wäre daher darüber nachzudenken, die Ressourcen der Mitgliedsländer in einer europäischen Klima- und Energieagentur zu konzentrieren, um Fortschritte bei der Förderung der Entwicklung alternativer Energiequellen zu erzielen.

Europa und die G8 Länder sollten auch die Instrumente der Wirtschaftspartnerschaft aktiv nutzen, um den ökologischen Strukturwandel der Schwellen- und Entwicklungsländer zu unterstützen. Laut IPCC könnten 50 Prozent des gesamten Treibhaus-gas-Eindämmungspotentials durch die Reduzierung der Entwaldung erreicht werden. Brasilien und Indonesien rangieren daher auf Platz 3 und 4 der Treibhausgas-Weltrangliste. Die Bemühungen, etwa der brasilianischen Administration zum Erhalt der globalen Lunge, den Amazonas-Regenwäldern, müssen durch eine Technologiepartnerschaft im Bereich alternativer Energien sowie finanzielle Anreize der Industrienationen begleitet werden.

Linke Umwelt- und Klimapolitik darf sich daher nicht nur um die sozialpolitische Verträglichkeit der Verteuerung des Ressourcenverbrauchs bemühen. Sie zielt auf eine andere Wirtschaftsweise und ist daher immer auch Technologie- und Ordnungspolitik. Die Abwendung der Klimakatastrophe erfordert einen konsequenten Bruch mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik und der Globalisierung des sozialen und ökologischen Raubbaus. Die Linke hat die Chance mit einer transnationalen Klimaschutzpolitik Europa auf einen neuen Kurs zu bringen und dabei nicht nur über das Wetter zu reden.

Von Alexander Ulrich

Eine gekürzte Fassung des Beitrages erscheint am 11. Mai 2007 in der Tageszeitung Neues Deutschland.