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Aktuelle Fragen und Antworten zur Gesundheitspolitik

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Langsam nimmt die neue Bundesregierung dann doch ihre Arbeit auf. Wir haben zum Thema Gesundheitspolitik zusammengestellt, was wir von der neuen Koalition zu erwarten haben – und was nicht – sowie unsere Vorschläge für eine bessere und gerechtere Gesundheitspolitik skizziert.

 

1. Was haben wir in dieser Wahlperiode, also bis 2017, in der Gesundheitspolitik zu erwarten? Was werden die großen Themen sein?

 

a) Werden die Versicherten mehr zahlen müssen?

Ja, wenn die Vorhaben des Koalitionsvertrages umgesetzt werden, ist das abzusehen. Die Beiträge für die Versicherten werden voraussichtlich ab 2015 steigen. Entgegen der Wahlkampfversprechen der SPD zahlen die Versicherten auch weiterhin einen Teil der Beiträge alleine, ohne Beteiligung der Arbeitgeber oder der Rentenversicherung. Dieser Teil heißt dann nicht mehr Sonderbeitrag, sondern Zusatzbeitrag. Damit aber nicht genug. Die Zusatzbeiträge der Kassen werden perspektivisch ansteigen. Alle zukünftigen Kostensteigerungen werden die Versicherten alleine tragen müssen, denn die Koalition hat beschlossen, dass sich die Arbeitgeber und die Rentenversicherung nicht beteiligen müssen. Ihre Beiträge wurden festgefroren.

 

b) Ich habe gehört, es wird wieder unterschiedliche Beitragssätze von Krankenkasse zu Krankenkasse geben. Stimmt das?

Ja, das ist richtig, auch das hat die Koalition vereinbart. Wohl ab 2015 legt jede Kasse den eigenen Zusatzbeitrag selbst fest. Kassen, die viele kranke Versicherte haben, werden einen höheren Zusatzbeitrag verlangen müssen als Kassen, die recht viele Gesunde versichern. Zwar gibt es einen Finanzausgleich zwischen den Kassen, dieser gleicht aber die Unterschiede nur sehr unzureichend aus.

 

c) Was ist mit den Leistungen? Wird es neue Leistungen geben? Wird es Leistungskürzungen geben?

Das bleibt abzuwarten. Zwar nennt der Koalitionsvertrag die Kürzungen nicht beim Namen. Aber eine „umsichtige Ausgabenpolitik“ steht drin. Da die Pharmaindustrie 2013 noch ein milliardenschweres Weihnachtsgeschenk von der Koalition bekam, stellt sich schon die Frage, ob das an anderer Stelle  eingespart werden soll. Eine Auswertung der Leistungen für die Versicherten ist nicht zu erwarten.

 

d) Aber der neue Pflegebegriff soll doch umgesetzt werden. Davon werden doch insbesondere an Demenz erkrankte Menschen profitieren, oder?

Im Kern geht es um die Frage, wer als pflegebedürftig gelten soll und Geld aus der Pflegeversicherung bekommt. Sollen es wie bisher nur diejenigen sein, die Hilfe bei den täglichen Verrichtungen wie Waschen oder Ankleiden benötigen, oder auch die, die Beaufsichtigung oder Betreuung brauchen, weil sie zum Beispiel dement sind? Es ist richtig, dass die Umsetzung des neuen Pflegebegriffs im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Allerdings bleibt die Koalition in der Tradition ihrer Vorgänger: Statt entschieden zu handeln, wird ein Beirat eingesetzt. Fachleute und Sozialverbände gehen davon aus, dass es in dieser Legislatur wieder nichts wird mit einer Neuausrichtung der Pflege auf Selbstständigkeit und gesellschaftliche Teilhabe. Bevor nicht eine konkrete Summe für die Umsetzung genannt wird, bleibt es beim Lippenbekenntnis. Es wurde lediglich eine Beitragssatzsteigerung von 0,3 Prozentpunkten vereinbart. Und davon fließen zwei Drittel in den Aufbau eines unsinnigen „Pflegevorsorgefonds“. Zu einem unbekannten späteren Zeitpunkt sollen die Beiträge dann um weitere 0,2 Prozent erhöht werden. Ganze 0,1 Prozent mehr stehen ab 2015 zur Verfügung. Das wird gerade ausreichen, die unzureichenden Leistungen aufrechtzuerhalten.

Für DIE LINKE gilt: Jeder Mensch, der von Pflege betroffen ist oder Betreuung und Assistenz benötigt, muss die bestmögliche Pflege erhalten, und zwar nach seinen individuellen Bedürfnissen. Das Teilkaskoprinzip in der Pflege muss in Frage gestellt werden. Eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung schafft die finanzielle Grundlage für eine echte Reform der Pflege und gute Löhne für die Beschäftigten in der Pflege.

 

e) Bringt die angekündigte qualitätsorientierte Krankenhausvergütung mehr Qualität im Krankenhaus?

Schön wär’s! Dass Krankenhäuser für gute Qualität besser vergütet werden sollen als für schlechte Qualität, klingt gut. Probleme liegen in der Bewertung und Bemessung der Qualität von Behandlungsergebnissen. Wer misst was nach welchen Kriterien? Werden kurzfristige oder langfristige Ergebnisse zu Grunde gelegt? Mit welchem Ziel? Die Kosten zu senken und das Personal noch mehr zu belasten? Die geplante Qualitätsinitiative wirft neue Probleme und viele offene Fragen auf. Zu erwarten ist, dass die Krankenhäuser reagieren, also z. B. sich bemühen, Patientinnen und Patienten mit Diagnosen zu gewinnen, die geringe Komplikationen erwarten lassen. Schon jetzt ist belegt, dass Kliniken lukrative OPs anderen vorziehen.

Fraglich bleibt, ob man so tatsächlich eine bessere Qualität erreichen kann. Sinnvoller wäre es, ausreichend Personal zu beschäftigen und den wirtschaftlichen Druck von den Krankenhäusern zu nehmen.

 

2. Was haben wir nicht zu erwarten, obwohl dringender Handlungsbedarf besteht?

 

a) Mehr Gerechtigkeit in der Finanzierung der Krankenversicherung?

Wer von dem Austausch der FDP durch die SPD in der Regierung erwartet hat, dass die Krankenkassenbeiträge gerechter erhoben werden, wird enttäuscht. Weiterhin müssen Versicherte mit 4.050 Euro Monatseinkommen das gleiche zahlen wie Versicherte mit 10.000 Euro. Selbständige mit einem geringen Einkommen von z. B. 900 Euro zahlen so viel an ihre Kasse, als hätten sie knapp 2.100 Euro Gewinn. Wer hingegen das Glück hat, sich aus Erträgen seines Vermögens finanzieren zu können, zahlt darauf keine Beiträge an die gesetzliche Krankenversicherung.

Privat Krankenversicherte zahlen für eine umfangreichere Absicherung oft deutlich weniger als gesetzlich Versicherte – aber nur solange sie jung sind. Nähern sie sich dem Ruhestand, wird es schnell teurer, und wenn das Einkommen ruhestandsbedingt sinkt, steigen die Versicherungsprämien in teils unbezahlbare Höhen. Das ist völlig ungerecht und müsste dringend geändert werden. Die Koalition will aber keines dieser Probleme angehen.

 

b) Eine Versicherung für alle – Ende der Zwei-Klassen-Medizin?

Studien zeigen, dass Privatpatienten früher Arzttermine bekommen. In den Arztpraxen gibt es teilweise getrennte Wartezimmer für privat und gesetzlich Versicherte. Auch die Wahl der Therapie hängt von Versichertenstatus ab. Privatversicherte bekommen oft eine Maximalmedizin, die häufig zu viel des Guten ist. Privatversicherte mit Billig-Verträgen oder im Basistarif werden dagegen schlechter versorgt als gesetzlich Versicherte. Menschen ohne Krankenversicherung oder im Notlagen-Tarif der privaten Krankenversicherung sowie Asylbewerberinnen und -bewerber erhalten bestenfalls eine Notversorgung.

Kein anderer vergleichbarer Staat leistet sich einen solchen Unsinn. SPD und Union ändern daran nichts, denn dazu müsste man das Geschäftsmodell der PKV antasten und die solidarische Gesundheitsversicherung für alle einführen. Als Alibi hat die Koalition beschlossen, dass sich Versicherte im Krankenhaus behandeln lassen können, wenn sie innerhalb von vier Wochen keinen Termin bekommen. Wir sind gespannt, ob sich die Koalition tatsächlich trauen wird, dieses Vorhaben gegen die Ärzte-Lobbyisten durchzusetzen.

 

c) Wird es eine bessere Krankenhauspflege geben?

Davon kann man nicht ausgehen. Seit 2004 wurde die Finanzierung der Krankenhäuser auf Fallpauschalen nach Diagnosen umgestellt. Die Koalition hält daran fest. Auch öffentliche Krankenhäuser sind gezwungen, möglichst viele Patientinnen und Patienten in möglichst kurzer Zeit „abzufertigen“, damit sie nicht in die roten Zahlen rutschen. Fallpauschalen setzen Anreize, die Kosten zu drücken  – das heißt vor allem die Personalkosten. Zehntausende Stellen wurden in den letzten Jahren abgebaut, immer weniger Pflegende müssen immer mehr „Fälle“ betreuen: Personalmangel und Pflegenotstand sind die Folge. Das bedeutet mehr Stress für die Beschäftigten und schlechtere Versorgung für die Patientinnen und Patienten.

Die Pflegekräfte fordern deshalb völlig zu Recht die Einführung einer Mindestpersonalbemessung und verbindliche Regeln für die Personalbemessung. Im Wahlkampf hatte die SPD sie noch lautstark unterstützt. In den Koalitionsvertrag haben sie allerdings nichts hineinverhandelt. Dort ist zwar zu lesen, dass die Kosten für Krankenhauspflege in die Fallpauschalen, die die Krankenkassen an die Krankenhäuser zahlen, eingepreist werden sollen. Aber das heißt nur, dass zukünftig die Kosten erstattet werden, die für die schlechte Pflege derzeit ausgegeben werden.

 

d) Werden die Krankenkassen weiterhin junge und gesunde Versicherte bevorzugen?

Ja. Solange Krankenkassen im Wettbewerb zueinander stehen, werden sie sich um sich um junge und gesunde Mitglieder bemühen. Da die Zuwendungen aus dem Gesundheitsfonds Durchschnittswerte abbilden, die Kosten aber von den tatsächlich in Anspruch genommenen Leistungen abhängen, nehmen Kassen mit gesunden und jungen Mitgliedern tendenziell mehr ein, als sie ausgeben. Alte und Kranke kosten die Kasse mehr, als sie an Einnahmen einbringen. Je schärfer der Wettbewerb unter den Kassen, umso mehr Anreize gibt es, „gute“ und „schlechte“ Versicherte zu unterscheiden.

Aber dies sind beinahe paradiesische Zustände, wenn man sie mit der privaten Krankenversicherung vergleicht. Die muss Versicherte, die zu krank sind, gar nicht erst aufnehmen. Oder sie verlangt – völlig legal – teils horrende Zuschläge für Krankheiten oder schließt Leistungen für bestimmte Krankheiten gleich ganz aus.

An diesen Missständen wird die Koalition in den nächsten vier Jahren nichts ändern. Die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung war die erste Forderung, die die SPD in den Koalitionsverhandlungen aufgegeben hat. Mit uns wäre mehr Gerechtigkeit machbar gewesen.

 

e) Werde ich auch in Zukunft mit Zuzahlungen bestraft, wenn ich krank bin?

Ja, Zuzahlungen kommen im Koalitionsvertrag nicht vor. Die Versicherten werden weiterhin zusätzlich zu ihren Beiträgen und Zusatzbeiträgen noch Zuzahlungen zahlen müssen. Das sind immerhin über 3 Milliarden Euro im Jahr. Zusätzlich müssen auch Brillen, Zahnersatz, hochwertige Hilfsmittel, Medikamente zur Raucherentwöhnung und anderes müssen in Zukunft ganz oder teilweise selbst gezahlt werden.

DIE LINKE fordert, die Zusatzbeiträge sofort abzuschaffen. Sie sind zutiefst ungerecht, belasten die sozial Schwachen und führen dazu, dass notwendige Arztbesuche aufgeschoben werden.

 

3. Was schlägt DIE LINKE denn vor?

 

a) Wie will DIE LINKE die Finanzierung gerechter gestalten?

Als erstes brauchen wir ein solides Fundament, also eine gerechte und ausreichende Finanzierung. Hierzu schlagen wir die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung vor. Alle in Deutschland lebenden Menschen zahlen den gleichen prozentualen Anteil ihres Einkommens ein. Hier sind auch die bislang Privatversicherten einbezogen. Dabei ist es egal, ob es sich um Arbeits- oder Vermögenseinkünfte handelt. Auf die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten kommt es an, danach richtet sich der Beitrag. Dabei wird niemand überfordert. Bei Arbeitseinkünften zahlt der Arbeitgeber wieder die Hälfte des Beitrags, genauso wie bei Ruheständlern der Rentenversicherungsträger. Durch diese Reform ist es möglich, den Beitragssatz deutlich zu senken, ohne irgendeine Leistung zu kürzen. Im Gegenteil: trotz des sinkenden Beitragssatzes können die Leistungen verbessert werden. So können die Zuzahlungen komplett abgeschafft werden, die Leistungskürzungen zurückgenommen werden. Krankenhäuser könnten wieder den medizinischen Bedarf finanziert bekommen und es gäbe Spielraum für bessere Löhne in der Pflege.

 

b) Brauchen wir Zusatzbeiträge?

DIE LINKE will Zusatzbeiträge der Versicherten abschaffen. Die Arbeitgeber und die Gesetzliche Rentenversicherung sollen sich wieder zur Hälfte an den Beiträgen beteiligen. Um den Wettbewerb der Kassen um junge und gesunde Mitglieder zu beenden, sind wir für einen bundeseinheitlichen Beitragssatz, der für alle Kassen gleichermaßen gilt. Unterschiede in der Finanzkraft der Kassen sollten unter den Kassen ausgeglichen werden. Dazu muss der Gesundheitsfonds passgenauer ausgerichtet werden.

 

c) Wie will DIE LINKE den Pflegenotstand in den Krankenhäusern beenden?

Um das zu erreichen, brauchen wir verbindliche bundesweit gültige Mindestvorgaben beim Pflegepersonal, die kein Krankenhaus unterschreiten darf. Das ist auch die Forderung der Pflegekräfte selbst. Auch immer mehr Patientenvereinigungen machen sich diese Forderung zueigen. Schlechte Arbeitsbedingungen im Krankenhaus führen nachweislich dazu, dass die Patientinnen und Patienten schlechter versorgt werden. Wenn eine Pflegekraft nachts alleine die ganze Station betreut, kann sich jeder vorstellen, was passieren kann, wenn zwei Patienten gleichzeitig klingeln und Hilfe brauchen. Schlechte Pflege kann für die Patientinnen und Patienten lebensbedrohlich sein und ist für die Pflegekräfte gesundheitsschädigend. Deshalb müssen dringend wirksame Maßnahmen wie die Mindestpersonalbemessung eingeführt werden.

 

d) Brauchen wir die private Krankenversicherung?

Nein. Sie ist ungerecht und uneffizient. Die Verwaltungskosten, insbesondere die Provisionen für den Abschluss der Versicherungen sind immens. Sie sind etwa dreimal so hoch wie die Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die PKV ist als eigenständiges Versicherungssystem langfristig nicht überlebensfähig, da sich ohne neue junge Mitglieder die bereits existierenden Finanzierungsprobleme verstärken. Außerdem führt sie bei nicht wenigen privat Versicherten zu sozialen Härten.

Eine medizinisch hochwertige Versorgung in einem solidarischen System ist vielen Menschen wichtig. Die große Mehrheit der Bevölkerung befürwortet den Ausgleich zwischen finanziell Besser- und Schlechtergestellten sowie zwischen Gesunden und Kranken. Viele Menschen empfinden die Zwei-Klassen-Medizin als zutiefst ungerecht. Auch viele privat Versicherte sind angesichts explodierender Beiträge im Alter einer solidarischen Finanzierung mit guten Leistungen und einem niedrigen Beitragssatz gegenüber aufgeschlossen. Eine hochwertige Gesundheitsversorgung für alle ist finanzierbar in einer solidarischen Gesundheitsversicherung, die GKV und PKV zusammenführt und alle einbezieht.

 

linksfraktion.de, 5. Februar 2014