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Afghanistan: NATO will Besatzung über 2014 hinaus erzwingen

Im Wortlaut von Christine Buchholz,




Von Christine Buchholz

Die NATO erhöht den Druck gegen den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, rasch das Truppenabkommen mit den USA zu unterzeichnen. Auf der Herbsttagung der Außenminister des Militärbündnisses in Brüssel drohte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen diese Woche unverhohlen: Ohne das Abkommen und ohne ausländische Truppen könnten sowohl die Finanzierung der afghanischen Soldaten und Polizisten als auch die geplanten Mittel für die Entwicklungshilfe auf Eis gelegt würden.

Dass Rasmussen die Einstellung von Entwicklungsprojekten ins Spiel bringt, verdeutlicht: Die NATO-Truppen sind nicht zur Absicherung des Aufbaus in Afghanistan da, wie immer wieder von der Bundesregierung beteuert wird. Umgekehrt sind die Entwicklungsprojekte nur die Begleitmusik zur militärischen Intervention in dem armen Land. Die Aufbauhilfe im Rahmen des von NATO und Bundesregierung propagierten "vernetzten Ansatzes" ist nicht mehr als die zivile Flanke eines Besatzungskrieges, in dem die Bedürfnisse der Zivilbevölkerung keine Rolle spielen.


Abzug, der kein Abzug ist

Worum geht es in dem Streit mit Karzai? Das umstrittene Truppenabkommen mit den USA bildet die Grundlage für die Stationierung von bis zu 12.000 Soldaten in Afghanistan über 2014 hinaus. Es wäre die Vorlage für alle anderen entsprechenden Abkommen, so auch mit der Bundesrepublik Deutschland. Denn die Bundeswehr soll nach dem Willen der Bundesregierung in der Nachfolgemission von ISAF, dem laufenden NATO-Mandat, mit bis zu 800 Soldaten beteiligt sein.

Das zeigt, dass der "Abzug" 2014 kein wirklicher Abzug ist. Es geht vielmehr um die Fortschreibung der militärischen Präsenz des Westens in Afghanistan. Im reduzierten Format, aber dafür auf unabsehbare Zeit. Die "Große Ratsversammlung" (Loja Dschirga) hatte in Kabul nun dem Abkommen mit den USA am Sonntag im Kern zugestimmt und Karzai ebenfalls zu einer Unterzeichnung noch in diesem Jahr aufgefordert.

In dieser Ratsversammlung sitzen unter anderem die Warlords, die das Land beherrschen und die um ihre Pfründe fürchten. Denn mit dem Truppenabkommen ist nicht nur die Finanzierung der afghanischen Streitkräfte und der mit der NATO verbündeten Milizen verbunden. Es legt auch die Grundlage für die Geschäfte einer kleinen Schicht von Superreichen im Land. Nach der Zustimmung der Loja Dschirga zum Truppenabkommen hat sich der Preis für Immobilien im besten Viertel Kabuls binnen einer Woche fast verdoppelt.

NATO will neues Besatzungsstatut

Präsident Karzai weigert sich bislang, der Loja Dschirga zu folgen. Er wolle nur ein Truppenabkommen unterzeichnen, in dem festgelegt ist, dass ausländische Truppen nicht mehr in afghanische Häuser eindringen dürften. Auch forderte er, dass sich ausländische Soldaten der Justiz des Landes stellen müssen, wenn sie Verbrechen verüben.

Doch das ist den Außenministern der 28 NATO-Staaten, darunter Guido Westerwelle, bereits zu viel Souveränität für Afghanistan. Sie wollen ein Truppenabkommen, das nicht viel mehr als ein neues Besatzungsstatut darstellt und dem Westen Straflosigkeit garantiert.

Denn würden die Truppen aus den NATO-Staaten sich vor afghanischen Gerichten verantworten müssen, dann würde das ihren Krieg und ihre Verbrechen an das Licht der Öffentlichkeit bringen. So tötete erst in der vergangenen Woche eine US-Drohne in der Provinz Helmand erneut einen zwei Jahre alten Jungen und verletzte zwei unbeteiligte Frauen.

Auf Karzai ist kein Verlass. Er hatte sich als Mitarbeiter einer US-Ölfirma empfohlen und wurde als Statthalter des Westens eingesetzt. Ihm geht es nicht um die einfachen Afghanen, sondern um die Stärkung seines Ansehens als jemand, der der USA und der NATO die Stirn bietet. Dass er sich dazu genötigt sieht, zeigt an, wie unpopulär die westliche Militärpräsenz in Afghanistan sein muss. Ein Grund mehr, um das kommende Jahr zum Jahr eines wirklichen und vollständigen Abzugs der Bundeswehr und aller westlicher Truppen zu machen.

linksfraktion.de, 4. Dezember 2013