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Ägypten ein Jahr nach der Revolution

Im Wortlaut von Niema Movassat,

 

 

Von Niema Movassat, Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

 

Reisetagebuch Montag, 20. Februar 2012

Mildes Frühlingswetter umweht einen in Kairo jetzt im Februar 2012. Am Sonntag, den 19.02.2012, bin hier angekommen. Gemeinsam mit einer Delegation von Abgeordneten des Ausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Bundestages. Die Straßen in der Hauptstadt Ägyptens sind verstopft wie eh und je. Die Menschen laufen in verschiedene Richtungen, hektisch geht es zu. Zwischen den Autos versuchen Menschen etwas zu verkaufen.

Bei all dem Treiben könnte man vergessen, dass es gerade mal ein Jahr her ist, dass Diktator Husni Mubarak nach 30 Jahren Herrschaft aus dem Amt gejagt worden ist und ihm nun der Prozess gemacht wird. Wenn man über den Tahrir-Platz fährt, kann man sich nicht vorstellen, wie hier Hunderttausende Menschen für ihre Freiheit und für soziale Gerechtigkeit protestierten und kämpften. Ein Gewimmel aus Fahrzeugen überzieht heute den Platz. Und doch: Da stehen noch ein paar Zelte auf dem Tahrir-Platz. Und die Brücke zum Tahrir-Platz, die Brücke über dem Nil, die oft genug über unsere deutschen Fernsehbilder huschte, ist voll von Graffiti Sprüchen gegen den jetzt herrschenden Militärrat. Es war eine Zeit des Umbruchs vor einem Jahr.

Als ich einen Ägypter fragte, was sich verändert hat, sagte er mir, dass man jetzt offen seine Meinung sagt. Man fordert von den Politikern konkrete Verbesserungen der Lebenslage ein. Man schreit sie im Zweifel auch an. Man geht offensiv vor. Ich erlebte es heute selbst bei der Besichtigung eines Pumpwerkes, dass durch deutsche Entwicklungshilfegelder in einem Armenbezirk in Kairo in Betrieb genommen worden. Mit dabei war der Gouverneur von Kairo.

Die Menschen auf der Straße bekamen mit, dass er da ist. Sie sprachen ihm lautstark an, stellten Forderungen. Früher war das undenkbar. Genauso war es undenkbar, die Polizei zu ignorieren. Die Polizei, das war das Schild und Schwert Mubaraks. Es war die Polizei, die gegen die Demonstranten des Tahrir-Platzes vorging, in die Menge stürmte, Waffen einsetzte. Diese Polizei sieht man auf Kairos Straßen nicht mehr. Nur hier und da einige überforderte Verkehrspolizisten. Die Polizei ist aus dem Straßenbild verschwunden. Die Menschen haben jeden Respekt vor einer Polizei verloren, die sie nicht schützte, sondern angriff.


Einige Zelte stehen noch auf dem Tahrir-Platz
 

Ein Jahr ist die Revolution her. Mittlerweile haben Parlamentswahlen stattgefunden, aus denen die Muslimbrüderschaft als Gewinnerin hervorging. Regieren aber tut tatsächlich der Militärrat, der nicht demokratisch legitimiert ist. In den Ministerien sitzen weitgehend die alten Mubarak-Kader. Die soziale Lage im Land ist katastrophal. In verschiedenen Gesprächen wurde deutlich, dass das Land vor dem finanziellen Kollaps steht, dass die Devisen noch für zweieinhalb Monate reichen und der Staat dann pleite ist. Der nächste Aufstand droht. Diesmal eine Brotrevolution vielleicht, weil dann die Subventionen für die Nahrungsmittel wegfallen. Nahrungsmittel, die jetzt schon zu teuer für viele Ägypter sind. In den nächsten Tagen werden wir hier Termine mit Zivilgesellschaft und Parteien haben. Ich bin gespannt, wie ihr Bild auf ein Jahr ägyptische Revolution ist. Nach Ägypten geht es am Donnerstag weiter nach Tunesien, dem Land, in dem die arabische Revolution begann.