Zum Hauptinhalt springen

20 Jahre Privatisierung des Pflegerisikos

Im Wortlaut von Pia Zimmermann,

 

Von Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

 

Am 22. April 1994 beschloss der Deutsche Bundestag die Einführung der sozialen Pflegeversicherung, die seit Januar 1995 - als fünfte Säule neben Kranken -, Renten-, Unfall-, und Arbeitslosenversicherung - im System der sozialen Sicherung besteht. Aber wie viel Sicherheit bietet die Pflegeversicherung? Angekündigt wurde vor mehr als 20 Jahren, dass sie Schutz vor den finanziellen Folgen der Pflegebedürftigkeit gewährleisten würde. Doch die Bundestagsmehrheit aus CDU/CSU und SPD schuf eine Pflegeversicherung die von Anfang an nur als Teilleistungsprinzip konzipiert und nie als vollständig bedarfs- und kostendeckend gedacht war. Dieser Grundfehler wird seit 1995 stetig verschärft, weil die Höhe der Leistungen nur unzureichend an die Kostenentwicklung angepasst wurde. Der Eigenanteil der Menschen mit Pflegebedarf und ihrer Angehörigen stieg seit 1995 kontinuierlich und liegt heute bei über 50 Prozent. Das erklärte Ziel, zu verhindern, dass immer mehr Menschen durch Pflege in die Sozialhilfe fallen, wurde verfehlt. Eine nachhaltige Entlastung der Kommunen wurde nicht erreicht.

Versorgungswettbewerb: »Betriebswirtschaftliche Kartierung von Pflege«

Zeitgleich wurden jedoch Prinzipien implementiert, welche die Pflege und die Versorgung der Hilfsbedürftigen auf dem kapitalistischen Markt etablierte. In Deutschland sind insbesondere mit der Standardisierung und Pauschalierung der Leistungen sowie mit der Schaffung eines Anbieterwettbewerbs durch die Gleichstellung privater Träger mit den Wohlfahrtsverbänden so genannte „effizienzorientierte Maßnahmen“ verankert worden. Und die “Effizienz“ meint seit jeher nicht die nachhaltige bestmögliche Versorgung, sondern die betriebswirtschaftliche Kartierung der Pflegeleistungen. Mittlerweile befindet sich weit mehr als die Hälfte der Pflegedienste in privater Trägerschaft. Die Auswirkungen dieser Privatisierung sind steigende Konkurrenz sowie Druck auf die Löhne und Beschäftigten (Arbeitsverdichtung). Parallel dazu hat sich das Leistungsangebot der einzelnen Dienste verringert. Die Leistungen richten sich nicht nach dem Bedarf der zu Pflegenden, sondern nach Pflegesätzen, die bewusst niedrig angesetzt werden. Verschärft wird dieser Pflegenotstand durch den engen, verrichtungsbezogenen Pflegebegriff, der der Pflegeversicherung zu Grunde liegt.

Teilkostendeckung der Pflegeversicherung überwinden

Der Pflegebedürftige ist nach der Gesetzeslage erst einmal in der Pflicht,  seine eigenen Mittel – also Einkommen und Vermögen – aufzubrauchen. Reicht das nicht aus und der Betroffene hat keine Wertgüter mehr, können auch unterhaltsverpflichtete Angehörige zur Kasse gebeten werden – zum Beispiel die Kinder. In einer solidarischen und humanen Gesellschaft darf gute Pflege aber nicht von den eigenen finanziellen Möglichkeiten und denen der Angehörigen abhängig sein. Stattdessen sollte die Gemeinschaft die Gesamtverantwortung tragen. Pflege und Lebensassistenz sollten sich am jeweiligen individuellen Bedarf des betroffenen Menschen orientieren. Wer eine solche Einstellung teilt, kommt zwingend zu der Überzeugung, dass die Teilkostendeckung der Pflegeversicherung überwunden werden muss.

Pflegevollversicherung als Alternative

Um die soziale Pflegeversicherung solidarische weiterzuentwickeln, muss ihr eine stabile, gerechte und verlässliche Finanzierung zu Grunde liegen. Eine Alternative gibt es bereits von der LINKEN und einigen Sozialverbänden – die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege. Es würden alle zu Pflichtmitgliedern einer einheitlichen Pflegeversicherung, indem die private Pflegeversicherung mit der sozialen Pflegeversicherung verschmelzen würde. DIE LINKE schlägt zudem vor, alle Einkommensarten in die Beitragspflicht mit einzubeziehen und die Beitragsbemessungsgrenze abzuschaffen.

Mit der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung könnte der Beitragssatz dauerhaft unter 2 Prozent gehalten werden bei eingerechnetem Ausgleich des Realwertverlusts und einer sofortigen Erhöhung der Sachleistungen um 25 Prozent. Das schüfe finanzielle Sicherheit für eine grundlegende Pflegereform und würde die Grundlage für eine sozial gerechte Beitragsfinanzierung sein.

Festzuhalten gilt: Alle die auf Pflege-, Betreuungs- oder Assistenzleistungen angewiesen sind, müssen die bestmögliche Pflege und Unterstützung erhalten – und zwar nach dem individuellen Pflegebedarf. Alle sollten dort gepflegt werden können, wo sie es möchten und auch von wem sie es wünschen. Pflege durch Verwandte oder Freundinnen und Freunde darf nicht aufgrund mangelnder Alternativen erzwungen werden. Das Teilkaskoprinzip in der Pflege muss abgeschafft werden! Eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung muss die finanzielle Grundlage für die dringend notwendige Reform der Pflege bieten. Nur so kann der Pflegenotstand behoben werden, können Einrichtungen besser ausgestattet und faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen für die in der Pflege Beschäftigten geschaffen werden.

linksfraktion.de, 13. Januar 2015