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100 Tage Schwarz-Gelb: Chaos regiert

Interview der Woche von Gregor Gysi,

Gregor Gysi, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, fasst die ersten hundert Tage der Regierung Merkel-Westerwelle als Wahlbetrug mit Ansage zusammen.

Die Koalition hat in dieser Woche hundert Tage regiert. Ihre Bewertung bis hierher?

Die Bundesregierung setzte nach ihrer Vereidigung ihre Koalitionsverhandlungen fort, so dass das Chaos regierte. Union und FDP sind sich nicht einig über weitere unsinnige Steuersenkungen und ihre Finanzierung. Die zusätzlichen Belastungen der Bürgerinnen und Bürger sollen erst nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen bekannt gegeben werden. Solche ergeben sich schon allein aus dem Maastricht-Vertrag und der selbst eingebauten "Schuldenbremse" im Grundgesetz. Das ist Wahlbetrug mit Ansage, denn es ist absehbar, dass die abhängig Beschäftigten, die Rentnerinnen und Rentner und die Arbeitslosen die Kosten der Krise zu tragen haben.

Füllt Angela Merkel aus Ihrer Sicht die Rolle der Regierungschefin?

Die Bundeskanzlerin hat Probleme mit ihrer neuen Rolle. In der großen Koalition war sie eher Moderatorin. Nun muss sie öfter Farbe bekennen, was ihr noch schwer fällt. Der neoliberale Kurs wird von ihr nicht nur fortgesetzt, sondern verschärft. Das zeigt sich besonders in der Gesundheitspolitik mit den Zusatzbeiträgen als Einstieg in eine unsoziale Kopfprämie, die einseitig nur die Versicherten zahlen und für alle - vom Spitzenmanager bis zur Lidl-Verkäuferin - gleich wäre.

Wie sieht es auf der anderen Seite aus: Sind Sie mit dem Verhältnis zu den anderen Oppositionsfraktionen zufrieden?

Die Beziehungen zur SPD und zu den Grünen werden sicher entkrampfter. Und es wird partiell auch in der einen oder anderen Frage zu einem gemeinsamen Agieren kommen. Allerdings muss die SPD erst wieder Opposition lernen und zu sich selbst finden. Das wird dauern. Bei den Grünen habe ich den Eindruck, dass sie mehr und mehr verbürgerlichen und auf die Union setzen. Das begrenzt auch ihr Wirken als Oppositionspartei.

Auch die Fraktion DIE LINKE hat jetzt 100 Tage Zeit gehabt, sich zu finden: Ist das gelungen?

Im Unterschied zur Partei hat die neue Bundestagsfraktion ziemlich schnell Tritt gefasst. Im Unterschied zur SPD und zu den Grünen hat sie nahtlos an ihre Politik in der letzten Legislaturperiode angeknüpft: mit ihrem Anti-Krisenprogramm für mehr öffentliche Investitionen, für zwei Millionen neue Arbeitsplätze, für eine Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld-1 auf 24 Monate und außenpolitisch mit ihrer Forderung nach einem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan in diesem Jahr.

Sie betonen gern, dass DIE LINKE wirkt, also die Politik auch ohne parlamentarische Mehrheiten beeinflusst. Gibt es dafür bereits Beispiele in dieser Wahlperiode?

Na klar. Union und SPD diskutieren über Reformen bei Hartz IV. Dabei will die Union durch die Erhöhung der Zuverdienstgrenzen den Niedriglohnsektor mit subventionierten Löhnen noch ausweiten. Oder Afghanistan: Sowohl die Union als auch die SPD diskutieren auf einmal über einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, den beide jedoch nicht ernsthaft wollen. Aber dass sie darüber überhaupt reden, ist dem Druck der Linken geschuldet, zumal die Akzeptanz für die Fortsetzung des Krieges bei den Bürgerinnen und Bürgern nach Kundus noch weiter gesunken ist.

Die Fraktion soll jetzt konsequente politische Arbeit leisten - Ihre Worte bei der Pressekonferenz mit Oskar Lafontaine am 23. Januar. Was heißt das?

Konsequent heißt, hartnäckig unsere Grundpositionen hinsichtlich der Überwindung von Hartz IV, der Rücknahme der Rente erst ab 67, der Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 10 Euro pro Stunde bis 2013 und des Abzugs der Bundeswehr aus Afghanistan im Bundestag deutlich zu machen.

Welche inhaltlichen Schwerpunkte sehen Sie für die Fraktion im ersten Halbjahr 2010?

Auf ihrer Klausurtagung hat sich unsere Fraktion auf sieben Schwerpunkte in der parlamentarischen Arbeit verständigt: Wir fordern weiterhin den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan in diesem Jahr, mehr Steuergerechtigkeit durch Steuersenkungen für niedrige und mittlere Einkommen, höhere Belastungen für Vermögende, Bestverdienende, Börsianer und Großkonzerne. Wir wollen die Leiharbeit zurückdrängen und einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einführen, Hartz IV überwinden, die Rente erst ab 67 zurücknehmen und die sozialen Sicherungssysteme erhalten und ausbauen, statt sie zu zerstören. Gemeinsam mit den Landtagsfraktionen in 12 Ländern, in denen DIE LINKE vertreten ist, geht es uns um die Wiedergewinnung des öffentlichen Eigentums, insbesondere durch die Rekommunalisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge.

linksfraktion.de, 1. Februar 2010