Zum Hauptinhalt springen

NATO

Themenpapiere der Fraktion

Die NATO ist ein Überbleibsel des Kalten Krieges und das mit Abstand mächtigste Militärbündnis der Welt. Die NATO verbucht schon jetzt mit fast eintausendeinhundertfünfundsiebzig Milliarden Dollar 1) (oder 1,175 Billionen) mehr als die Hälfte aller globalen Militärausgaben pro Jahr (vgl. SIPRI 2022)2). Bis 2024 sollen sich die Rüstungsausgaben der europäischen NATO-Staaten noch einmal um insgesamt rd. 50 Mrd. Dollar jährlich erhöhen, um dem NATO-Ziel zu entsprechen, dass jedes Land mindestens 2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in das Militär steckt (s. dazu auch Bundeswehr). Rein militärisch ist diese gewaltige Aufrüstung völlig unsinnig: 2021 hat sich der jährliche militärische Ausgabenumfang der NATO gegenüber Russland weiter auf das mittlerweile 19-Fache erhöht. Selbst wenn man die komplette Mannstärke der russischen Armee von 900.000 Soldat:innen, die über das gesamte Territorium des Landes bis zum Pazifik hin verteilt sind, in Rechnung stellt, sind allein die NATO-Staaten Europas mit einer gemeinsamen Soldatenstärke von rund 1,9 Millionen Soldat:innen mehr als doppelt überlegen. Ebenso eindeutig ist die Überlegenheit bei schweren Waffensystemen in Europa, wo allein die europäischen NATO-Armeen eine mindestens zweifache, oft mehrfache Überlegenheit bei Kampfpanzern, Panzerfahrzeugen, Artillerie und bei Kampffliegern haben.3) Überdies ist die konventionelle Qualität der Streitkräfte zwischen NATO und Russland nur unter Ausblendung der Mechanismen der nuklearen Abschreckung relevant, denn in jedem konventionellen Konflikt zwischen den beiden Atommächten würde die Seite, die durch konventionelle Unterlegenheit ihre Existenz gefährdet sieht, am Ende sehr wahrscheinlich Atomwaffen einsetzen.

Mit der Auflösung des Warschauer Paktes (1991) geriet die NATO als kollektives Verteidigungsbündnis in eine Legitimationskrise, denn die Charta von Paris (1990) orientierte eigentlich alle Staaten Europas auf eine ‚unteilbare‘, also inklusive Sicherheit in Europa. Das hätte ein gemeinsames Sicherheitssystem im Rahmen der OSZE mit Einschluss aller ehemaligen Ostblock-Länder, auch Russlands, bedeutet. Die westlichen Staaten wollten jedoch offenbar die Militärallianz zur Durchsetzung einer eigenen geopolitischen Dominanz beibehalten. Seitdem ist die Verfolgung von Interessen der NATO-Mitgliedsstaaten auch außerhalb des Bündnisgebiets offiziell fester Bestandteil des sog. „erweiterten“ Sicherheitsbegriffs der Allianz. Dies schließt weltweite („Krisen-“)Interventionen – wie die in Afghanistan – mit oder auch ohne UN-Mandat ein. In Europa ist die NATO bestrebt, sich als „System kollektiver Sicherheit“ exklusiv gegen Dritte zu positionieren und die eigentlichen inklusiven Sicherheitskollektive (UNO und OSZE) zu verdrängen. Die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen auf dem Balkan nutzte die NATO, um mit einem völkerrechtswidrigen Angriff gegen Jugoslawien ‚Handlungsfähigkeit‘ und Relevanz zu demonstrieren – die OSZE sowie die UNO wurden als vermeintlich ineffiziente Organisationen diskreditiert. Die stur gegen den Widerspruch Moskaus vorangetriebene NATO-Erweiterung bis an die Grenzen Russlands belastete von Beginn an das Verhältnis zur Russischen Föderation. Sicherlich ist es das souveräne Recht jedes Staates, eine Aufnahme in die NATO zu beantragen. Aber die Entscheidung, solchen Bitten Folge zu leisten, bedeutete die kollektive Missachtung russischer Sicherheitsinteressen. Sie war eine Grundlage für die Renaissance nationalistischer Politik in Russland, die als Trotzreaktion mit der Doktrin der ‚Russki Mir‘ (dt. ‚Russische Welt‘) seit den 2010er Jahren in Moskau immer mehr an Einfluss gewann. Diese gegensätzlichen Doktrinen treffen in der Ukraine nun wie in einem Schmelztiegel aufeinander: Die Reaktion der NATO auf die völkerrechtswidrige Sezession der Krim 2014 folgte einmal mehr der Logik der Konfrontation: Sanktionen, Stationierungen von NATO-Truppen an der russischen Westgrenze, noch klarere Missachtung russischer Sicherheitsinteressen. Hierzu gehört auch der Beschluss zur Fertigstellung eines NATO-Raketenabwehrsystems in Europa, das, so der Vorwurf aus Moskau, die nukleare Zweitschlagsfähigkeit Russlands untergraben und einen Erstschlag gegen Russland führbar machen solle. Der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine ist abermals eine weitere Eskalation in diesem wechselseitigen Schlagabtausch, in dem beide Seiten die Ukraine zum Objekt ihrer eigenen geopolitischen Ambitionen bzw. ihrer Sicherheitsinteressen machen. Mit der Bereitschaft der NATO-Staaten, nun auch schwere Waffen in die Ukraine zu liefern, und für deren Verwendung sogar ukrainische Soldat:innen durch NATO-Militärpersonal ausbilden zu lassen, geht die NATO das Risiko ein, selbst zur Kriegspartei zu werden, und nimmt ein nukleares Inferno in Europa offenbar billigend in Kauf.

Konfrontiert mit sicherheitspolitischen Krisen ist die Allianz offenbar unfähig, eine andere, konstruktivere Antwort zu geben als die der militärischen Konfrontation. Dies war auch die Grundlage für die Niederlage der Allianz in Afghanistan. Vor dem Hintergrund des Agierens der NATO in Afghanistan und der Ukraine wird umso deutlicher, warum die europäische (und weltweite) Sicherheitspolitik endlich einen Paradigmenwechsel braucht – weg von der militärischen Eskalationslogik und der exklusiven Durchsetzung eigener geostrategischer Interessen. Ein erster Schritt hierzu kann die Schließung militärischer Strukturen der NATO in Deutschland sein, denn schon jetzt wird durch diese auf dem Boden der Bundesrepublik bundesdeutsches Recht gebrochen – allen voran durch die Ermöglichung von völkerrechtswidrigen Drohnenmorden, die die USA über eine Relaisstation auf dem US-Stützpunkt in Ramstein durchführen. Grundlage außen- und sicherheitspolitischer Entscheidungen muss wieder die UNO-Charta werden – und ein System gemeinsamer Sicherheit in Europa, das die Friedenserhaltung durch Interessenausgleich zum Ziel hat und die NATO ersetzen kann.


1)220331-def-exp-2021-en.PDF (nato.int)
2)https://www.sipri.org/sites/default/files/2022-04/fs_2204_milex_2021_0.pdf
3) Alle Vergleichszahlen: s. International Institute for Strategic Studies: Military Balance, 2021.