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Zwangsverrentung: 350 000 wären betroffen

Rede von Gregor Gysi,

Gregor Gysi in der Debatte über den Antrag der Fraktion DIE LINKE "Rentenabschläge für Langzeitarbeitslose verhindern"

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich wusste, dass dieses Thema weniger interessiert als die namentliche Abstimmung. Aber es ist wichtig, insbesondere für die älteren Arbeitslosen in Deutschland. Es gibt im Augenblick eine gesetzliche Regelung, die sogenannte 58er-Regelung, die den älteren Arbeitslosen drei Varianten als Wahlmöglichkeiten lässt. Sie können darum bitten, nach wie vor vermittelt zu werden, was sehr schwierig ist, wie Sie wissen. Sie können ALG II bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente beziehen. Oder sie können eine gekürzte Rente beantragen, die sie vorzeitig bekommen. Diese Rente kann aber bis zu 18 Prozent gesenkt werden. Sie bleibt auch gekürzt, egal ob die Betreffenden 65, 70 oder 80 Jahre alt sind. Das alles ist zweifellos keine geniale Regelung. Wie Sie wissen, sind wir gegen das ALG II. Aber darum geht es heute nicht, sondern darum, dass diese Regelung am 31. Dezember 2007 ausläuft. Danach hat ein arbeitsloser Mann bzw. eine arbeitslose Frau, der bzw. die über 58 Jahre alt ist, nur noch die Möglichkeit, eine vorzeitige Verrentung zu beantragen, und zwar mit entsprechenden Abschlägen bei der Rente, die dauerhaft gelten, egal ob man das 70. oder das 80. Lebensjahr erreicht. Ich halte das für ein Unding und für grundgesetzwidrig,

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

weil wir in eine gesetzliche Situation kommen, in der wir ältere Arbeitslose zwingen, dauerhaft eine gekürzte Rente in Anspruch zu nehmen. Wir verlangen ja nicht viel. Wir wollen nur, dass Sie die bisherige Regelung fortsetzen, dass Sie sie nicht auslaufen lassen. Sie sollen also nichts Neues schaffen.

2005 sollte diese Regelung schon einmal auslaufen. Damals wurde beschlossen, die Geltungsdauer dieser Regelung bis Ende 2007 zu verlängern. Nun stehen wir wieder vor derselben Frage. Ich erkenne durchaus an, dass es inzwischen Bewegung gibt. Monitor hat bekanntlich darüber berichtet. Danach gibt es 350 000 Betroffene. Ich glaube, die SPD will eine Lösung, wenn ich die Meldungen in den Zeitungen richtig verstehe, nicht aber die Union; das ist das Problem. Was gestern in der Leipziger Volkszeitung stand, nährte die Hoffnung, dass Herr Ramsauer etwas Positives gesagt hat. Aber dann erklärte dessen Sprecherin, das sei nicht so gemeint gewesen.

Nun muss ich die Frage aufwerfen: Warum wollen Sie den älteren Arbeitslosen diese Chance nicht geben? Ich verstehe das einfach nicht. Und das bei Ihrer Philosophie! Sie wollen angeblich mehr Ältere in Arbeit bringen und meinen, man könne viel länger arbeiten und brauchte eine Rente erst mit 67 Jahren. Gleichzeitig wollen Sie die Betreffenden frühverrenten, und das mit Abzügen. Das ist nicht hinnehmbar und ist noch nicht einmal logisch.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ich bin zwar kein Konservativer, aber auch wenn man konservative Politik betreibt, muss diese zumindest in sich logisch sein. Hier widersprechen Sie dem, wofür Sie ansonsten vermeintlich eintreten.

Obwohl Sie unseren Antrag schon abgelehnt hatten, haben wir ihn noch einmal eingebracht, damit wir in der öffentlichen Diskussion bleiben, damit sich die Öffentlichkeit interessiert. Ich bekomme so viele Briefe von Betroffenen, die nicht mehr wissen, was sie nun machen sollen. Sobald sie eine Arge betreten, werden sie aufgefordert, einen Antrag zu stellen. Aber sie wissen nicht, ob sie diesen zurückziehen können, wenn es eine neue Regelung gibt. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben keine Zeit. Sie müssen diesen älteren Arbeitslosen so schnell wie möglich Sicherheit geben. Ich hoffe, dass es in die richtige Richtung geht.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ich bitte Sie zudem, sich nicht neue Quälereien auszudenken. Sie sollten davon Abstand nehmen, jemanden zum Beispiel zu zwingen, einen ganz miesen 1-Euro-Job anzunehmen. Das ist bei den über 58-Jährigen gerade nicht nötig. Belassen Sie es doch zumindest bei Ihrer bisherigen Regelung! Das ist doch nicht zu viel verlangt. Wir verlangen noch nicht einmal eine neue Regelung, sondern nur, dass Sie die Geltungsdauer der bisherigen Regelung verlängern, damit ältere Arbeitslose weiterhin Wahlmöglichkeiten haben. Ansonsten läuft die Regelung am 1. Januar 2008 aus.
Ich weiß nicht, ob die von Monitor genannte Zahl stimmt. Es werden unterschiedliche Zahlen angeführt. Aber ich weiß, dass es jedes Jahr eine neue Gruppe von über 58-Jährigen gibt, die in das Arbeitslosengeld II fallen und dann die Wahl haben oder eben nicht mehr.
Ich bitte Sie um eines, nämlich nicht eine gesetzliche Regelung zuzulassen, die den älteren Arbeitslosen klipp und klar sagt: Es gibt nur einen Weg sonst musst du eben dürsten und hungern, und wir zahlen keine Miete , du musst deine Frühverrentung beantragen und dein Leben lang eine gekürzte Rente hinnehmen.

Noch ein Gesichtspunkt ist dabei wichtig. Die Rente kann so niedrig sein, dass der Betreffende davon nicht leben kann. Dann bekommt er keine Grundsicherung für das Alter, weil man ihm dann wiederum sagt: Du bist noch gar kein Rentner, sondern erst Frührentner. Deshalb bekommst du die Grundsicherung nicht. Dann muss er oder sie Sozialhilfe beantragen. Das ist doch eine Zumutung. Sie würden das nicht wollen, ich würde das nicht wollen, und deshalb sollten wir das auch den 58-Jährigen und den Älteren nicht zumuten.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))