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Zum Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts

Rede von Sevim Dagdelen,

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren,

heute ist ein wichtiger Tag für die bundesdeutsche Justiz. Denn das Bundesjustizministerium hat nach jahrelanger Weigerung einen längst überfälligen Schritt getan- es legt einen Gesetzentwurf vor, mit dem das aus dem Jahre 1935 stammende Rechtsberatungsgesetz aufgehoben werden soll.

Eine Lobrede ist trotzdem nicht angebracht- es ist keine besondere Leistung, sondern vielmehr ein wie gesagt spät und zudem halbherzig gegangener Schritt.

Denn dieser Gesetzentwurf begnügt sich leider nicht mit der Aufhebung des nationalsozialistischen Rechtsberatungsgesetzes- welches sich ursprünglich durch die Beseitigung der Gewerbe- und Betätigungsfreiheit im Bereich der Rechtsberatung vor allem gegen Juden, aber auch gegen alle anderen politisch missliebigen, aus ihren Berufen verjagten Juristen richtete. Vielmehr wird fast unverändert an der untragbaren Einschränkung der unentgeltlichen, altruistischen Rechtsberatung festgehalten und die außergerichtliche Rechtsberatung weiter über Gebühr reglementiert. Damit wird das Herz des alten Rechtsberatungsgesetzes nicht angetastet und schlägt im neuen Rechtsdienstleistungsgesetz weiter.

Unentgeltliche Rechtsberatung wurde durch das Rechtsberatungsgesetz 1935 einem Erlaubnisvorbehalt unterstellt- diese Erlaubnis wurde aufgrund einer antisemitischen Durchführungsvorschrift Juden generell nicht erteilt. Das zu Beginn des 20.Jahrhunderts von Gewerkschaften, gemeinnützigen Organisationen und größeren Gemeinden in Form der öffentlichen Rechtsauskunft aufgebaute Netz an Rechtsberatungsstellen eröffnete allen Bürgerinnen und Bürgern einen unentgeltlichen Zugang zur Rechtsberatung. Nach der Zerschlagung der Gewerkschaften während des Nationalsozialismus wurde die Rechtsberatung durch die NSDAP und ihre Untergliederungen (alle sozialen Organisationen wurden zu Unterorganisationen derselben erklärt) übernommen- mit anderer Zwecksetzung: der Abwehr solidarischen Handelns und der Durchsetzung nationalsozialistischer Indoktrination.
Nach dem Ende des NS-Regimes erfolgte dann jedoch nicht, was jeder vernünftige Mensch erwarten würde: die Aufhebung des Rechtsberatungsgesetzes. Vielmehr begnügte man sich mit der Streichung der Worte „NSDAP“ usw. gemäß den Alliierten Kontrollratsgesetzen. Dies führte nun dazu, dass das Unrecht an den bis 1933 tätigen Rechtsberatungsstellen nicht wieder gut gemacht wurde, sondern das Verbot ein quasi- absolutes wurde. Während der Geltung des Gesetzes diente dieses immer dazu, die Monopolstellung der Rechtsanwältinnen zu sichern und bürgerschaftliches Engagement zu verhindern. Selbst Gewerkschaften wurde anstelle der vor Geltung des Gesetzes möglichen, alle Lebensbereiche abdeckenden Beratung und Vertretung nach 1945 nur der Bereich des Arbeits- und Sozialrechts geöffnet. Die juristischen Attacken gegenüber altruistischer Rechtsberatung auf der Grundlage des Rechtsberatungsgesetzes sind unzählig. Die Fälle sind so unfassbar, dass ich Ihnen, meine werten Kolleginnen und Kollegen, eine kleine Auswahl nicht ersparen will.

Ordnungswidrigkeitsverfahren wurden u.a. von Ausländerbehörden gegen in ihrer Freizeit tätige Helfer angestrengt, die sich um Flüchtlinge kümmerten. Nicht einmal vor der Androhung, die traumatisierten Folteropfer wegen der Rechtsberatung zu vernehmen, wurde zurückgeschreckt. Ein Konflikt mit dem Rechtsberatungsgesetz wurde auch angenommen bei der Formulierung von Anträgen auf Gewährung des Bleiberechts. Selbst hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Kirchengemeinden wurde verboten, sozialhilfeberechtigten Flüchtlingen mit Rechtsrat zur Seite zu stehen- also beispielsweise im Widerspruchsverfahren. In Stuttgart wurde auf Betreiben der dortigen Rechtsanwaltskammer der Caritasverband verurteilt, die Tätigkeit seiner Flüchtlingsberatungsstelle einzuschränken. Nicht einmal ein Sozialhilfeträger durfte einen Sozialhilfeempfänger gegenüber der Krankenkasse unterstützen. Auch ein von Jurastudenten gegründeter, unentgeltliche Rechtsberatung anbietender „Studentische Selbsthilfe e.V.“ zählte zu den Leidtragenden des Rechtsberatungsgesetzes.

Nun mögen Sie gewillt sein, meine Damen und Herren, diesen Verboten die Möglichkeiten des Beratungshilfegesetzes entgegen zu halten. Doch dieses bot kein ausreichendes Äquivalent zur altruistischen Rechtsberatung. Denn die Gebühren waren und sind viel zu gering, als dass ein wirklicher Anreiz für anwaltschaftliches Engagement von diesem ausgehen könnte. Ganz zu schweigen von dem bürokratischen Aufwand für die Erlangung der Beratungsgebühr. Das Rätsel, warum selbst der durch altruistische Beratung entstehende Spareffekt hinsichtlich der Gewährung von Prozesskosten - und Beratungshilfe keinen Anreiz für die „Kassen leer“- Ideologen in der Bundesrepublik zu bieten vermochte, bleibt unbeantwortbar.

Die Geschichte der Entstehung und Fortgeltung des Rechtsberatungsgesetzes bis zum heutigen Tage zeigt, dass einzig die ersatzlose Streichung dieses Nazi-Machwerks angemessen ist. Was erleben wir nun stattdessen?

Das vorgeschlagene Rechtsdienstleistungsgesetz tritt das traurige Erbe des Rechtsberatungsgesetzes an. Und entgegen aller Beteuerungen ist dies kein Glanzwerk des Verbraucherschutzes, sondern vor allem ein Zugeständnis an die nach Marktöffnung schreienden Dienstleister, die das Quasi-Monopol der Anwaltschaft nicht länger akzeptieren wollen. Der Einleitungstext des Gesetzentwurfs lässt zwar hoffen: eine „zeitgemäße gesetzliche Regelung“ solle das Rechtsberatungsgesetz ablösen, Ziele seien der Schutz der Rechtssuchenden und die „Stärkung bürgerschaftlichen Engagements“. Die Erwartungshaltung wird noch angereichert durch die Aussage, dies alles ginge einher mit „Deregulierung und Entbürokratisierung“. Doch Enttäuschung stellt sich ein mit der Lektüre des so wohlfeil beworbenen Gesetzes. Wir werden im Verlaufe der Beratungen im Rechtsausschuss auf die vielfältigen Bedenken gegenüber dem neuen Rechtsdienstleistungsgesetz im Einzelnen eingehen, werte Kolleginnen und Kollegen. Erlauben Sie mir jedoch bereits hier, nur einige dieser Bedenken näher auszuführen.

Die altruistische Rechtsberatung soll auch in Zukunft nur ausnahmsweise, nämlich innerhalb familiärer, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger persönlicher Beziehungen möglich sein. Alle anderen juristisch Bewanderten sollen nur dann anderen Menschen uneigennützig- nach dem Gesetzentwurf „unentgeltlich“- helfen dürfen, wenn sie entweder Volljurist/innen sind oder unter deren Anleitung stehen. Genau an dieser willkürlichen Unterscheidung macht sich die Ideologie des Gesetzentwurfs dingfest: Ich frage Sie, welchen Unterschied für die Qualität der Rechtspflege oder den Schutz der Rechtssuchenden macht es, ob die Rechtsdienstleistung innerhalb nachbarschaftlicher Verhältnisse oder von engagierten Menschen gegenüber losen Bekannten erfolgt? Für das Bundesjustizministerium scheint festzustehen: Traue keinem, der Gutes will. Und nimm keine Leistung ohne Gegenleistung an. Hier nimmt das Verwertungsdenken schon groteske Züge an. Die Entwurfsverfasser bleiben den Nachweis schuldig, dass der Rechtsrat des Nachbarn per se besser sei als der einer ehemaligen Verwaltungsangestellten, die ihren Mitmenschen „einfach so“ Ratschläge zum Widerspruchsverfahren in einem ihr bekanntem Rechtsgebiet erteilt Die Angst vor dem Fremden nährt diese Ideologie. Vielleicht auch die Furcht vor gut beratenen Bürgerinnen und Bürgern, die nicht hohe Gebühren scheuen müssten, um Rat in Dingen zu erhalten, deren Verständnis ihnen zugleich durch die Bürokratie zwanghaft unterstellt wird. Man erwartet von den Bürgerinnen und Bürgern, dass diese sich an Recht und Gesetz halten- verwehrt ihnen aber die Möglichkeit, sich gegenseitig beim Verständnis des „Paragraphendschungels“ zu helfen. Schlichtweg empörend finde ich folgende Zeilen im Gesetzentwurf: „Das Recht darf als höchstrangiges Gemeinschaftsgut grundsätzlich nicht in die Hände unqualifizierter Personen gelangen, da es als ,gelebtes Recht´ maßgeblich durch die Personen beeinflusst und fortentwickelt wird, die Recht beruflich anwenden.“ Abgesehen davon, dass die Logik dieses Satz sich wohl nur Eingeweihten erschließt, ist die hier geäußerte Haltung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern als Störenfriede ein Skandal.

Ein weiteres Problem stellt sich für die uneigennützigen Vereinigungen. Ihnen soll die Rechtsberatung zwar prinzipiell nach dem Gesetz erlaubt sein, sie müssen sich dabei jedoch zumindest der Anleitung durch Volljuristinnen und -juristen bedienen. Damit statuiert die vermeintliche Erlaubnis durch die hohen Anforderungen in Wirklichkeit ein praktisches Verbot. Denn kleine Vereinigungen können sich derartige Unterstützung wohl in den seltensten Fällen leisten. Selbst wenn sie einen Juristen zur unentgeltlichen Mitarbeit gewinnen könnten, bliebe es bei der Begrenzung auf die Beratung von Vereinsmitgliedern.

Zu guter letzt möchte ich Folgendes nicht verschweigen: Auch wenn der Gesetzentwurf zur Begrenzung der Prozesskostenhilfe nicht auf den „Mist“ des Bundesjustizministeriums gewachsen ist, ist er doch ganz nach „Art des Hauses“. Genauso wie der ebenfalls aus dem Bundesrat stammende Gesetzentwurf zur Einführung von allgemeinen Gebühren für die Sozialgerichtsbarkeit dient er der Verkürzung des Rechtsstaats, nicht dessen Ausbau. Denkt man alle drei Entwürfe zusammen, ergibt sich in Wechselwirkung mit den sozialen Kürzungen der letzten Jahre folgendes Bild: Erst werden die Bürgerinnen und Bürger ihrer sozialen Rechte beraubt und anschließend jeder Möglichkeit, sich dagegen mit rechtsstaatlichen Mitteln zu wehren. Denn zukünftig soll die Gewährung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich unter unzumutbaren Voraussetzungen stehen und der Gang zum Sozialgericht zusätzliches Geld kosten, was die Menschen nicht haben. Gegenseitige unentgeltliche Hilfe wird ihnen schließlich untersagt, weil das Recht ja „als höchstrangiges Gemeinschaftsgut grundsätzlich nicht in die Hände unqualifizierter Personen gelangen“ darf.

Es wird ein hartes Stück Arbeit, aus dieser Mogelpackung ein Gesetz zu machen, dass die altruistische Rechtsberatung ihrer gesellschaftlichen Bedeutung entsprechend regelt. Wir werden uns darüber hinaus- im Interesse der Bürgerinnen und Bürger- dafür einsetzen, dass der Schutz der Schwachen auch im Bereich der entgeltlichen Rechtsberatung im Vordergrund steht. Das Vertrauen der Rechtssuchenden in eine gute, kostengünstige Rechtsdienstleistung muss in unserer verrechtlichten Gesellschaft wieder mehr Gewicht erlangen. Meine Fraktion steht hierfür bereit. Wie ist es mit Ihnen?

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.