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Unterstützung für den sozialen Aufbruch in Lateinamerika und für eine europäische zivile Friedensarbeit

Rede von Heike Hänsel,

Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE., begründet im Bundestag die Anträge ihrer Fraktion "Nach dem Wiener Gipfel - die Beziehungen zwischen EU und Lateinamerika solidarisch gestalten" und "Für einen Europäischen Zivilen Friedensdienst" (Rede zu Protokoll):

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die Zeit der neoliberalen Hegemonie in Lateinamerika ist vorbei. Neoliberale Wirtschafts- und Handelspolitik hat die lateinamerikanischen Gesellschaften zerrüttet, die sozialen Ungleichheiten zugespitzt und Millionen Menschen in Armut gestürzt. Der soziale Aufbruch in Lateinamerika, der als Abwehrkampf gegen die Auswirkungen dieser katastrophalen alten Politik begonnen hatte, hat neue Kräftekonstellationen hervorgebracht und politische Alternativen möglich gemacht.

Mit der Vertiefung demokratischer Prozesse - beginnend in den Kommunen, wie am Beispiel der brasilianischen BürgerInnen-Haushalte, bis hin zur Etablierung plebiszitärer Mitbestimmung auf nationaler Ebene wie in Venezuela und Bolivien - und einer neuen Wirtschafts- und Sozialpolitik zielen die linken Regierungen in Lateinamerika jetzt auf die Integration aller Mitglieder der Gesellschaften. Von diesen Prozessen sollten wir hier in Deutschland lernen.

Horst Köhler besucht ja in diesen Tagen - neben Brasilien - auch zwei nicht links regierte Staaten: Paraguay und Kolumbien. Vor allem die rechtskonservative Regierung des kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe wurde von der Bundesregierung und der EU als strategischer Partner gegen die linken Regierungen und Bewegungen in Lateinamerika - u.a. gegen Venezuela - aufgebaut. Jetzt blamiert sich in Kolumbien die Menschenrechtsrhetorik, die dabei gegen Venezuela und Kuba ins Feld geführt wurde. Die kolumbianische Außenministerin, gerade noch Gast im Auswärtigen Amt, musste zurücktreten, weil ihre Verstrickungen mit den rechtsradikalen Paramilitärs überdeutlich zu Tage traten. Weitere Mitglieder der Regierung und ein Drittel der Abgeordneten im kolumbianischen Parlament sind in die „Para-gate“ verstrickt. Die Paramilitärs zeichnen verantwortlich für Tausende von Toten in Kolumbien.
Menschenrechtsaktivist/innen haben schon lange auf die Verstrickung der gegenwärtigen Machthaber mit den rechten Todesschwadronen hingewiesen. Die Bundesregierung hat diese Hinweise ignoriert. Die Frontstellung gegen die erstarkte Linke des Kontinents war ihr wichtiger.

Die Integrationsprozesse, die sich in Lateinamerika unter dem Namen ALBA (Bolivarianische Alternative) vollziehen, sind der Versuch, Handel solidarisch, komplementär und auf der Grundlage asymmetrischer und heterogener Verträge zu organisieren. Hier könnte sich eine echte Alternative zur neoliberalen Handelspolitik der EU entwickeln. ALBA als regionales Modell einer eigenständigen, vom Norden unabhängigen Integration, gewinnt an Ausstrahlung. Nach Venezuela, Kuba und Bolivien hat sich Nicaragua angeschlossen und Ecuador seinen Beitritt angekündigt. Die EU-Handelspolitik orientiert sich leider weiterhin an ihrer WTO-plus-Agenda. Mit standardisierten Verhandlungsmandaten, die den Zugang der europäischen Unternehmen auf die lateinamerikanischen Märkte in den Mittelpunkt stellen und die dabei noch weit über die Liberalisierungsagenda der Welthandelsorganisation hinausgehen, geht die EU-Kommission in die Verhandlungen mit den vermeintlich schwächeren Verhandlungspartnern in Lateinamerika. Sie versucht, den ALBA-Prozess zu untergraben. EU-Kommission und Bundesregierung müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass diese Politik zunehmend auf Widerstand stößt. Auf dem letztjährigen Wiener EU-Lateinamerika-Gipfel wurde das ganz deutlich: Von den vollmundigen Ankündigungen einer europäisch-lateinamerikanischen Freihandelszone ist dort nicht allzu viel übrig geblieben.

Die EU muss die entwicklungspolitischen Potenziale, die durch den sozialen Aufbruch und die regionale Integration erschlossen werden, endlich anerkennen. Wir brauchen für die EU eine völlig neue Strategie, die den sozialen Umbruch in Lateinamerika unterstützt, anstatt ihn zu hintertreiben.

Zu unserem zweiten Antrag: Wir wollen weg von der Militarisierung der europäischen Außenpolitik. Deshalb müssen die notwendigen Mittel und Instrumente bereitgestellt werden, um eine aktive Friedenspolitik zu entwickeln und in der Praxis umzusetzen. Wir fordern in unserem Antrag die Bundesregierung auf, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft zu nutzen, um eine Initiative für einen zivilen Friedensdienst im Rahmen der Europäischen Union auf den Weg zu bringen.

Bislang hören wir überwiegend Vorschläge, die genau in die andere Richtung gehen. Im Rahmen des Europäischen Verfassungsprozesses wird einer Militarisierung das Wort geredet: Die Mitgliedstaaten sollen ihre militärischen Kapazitäten aufstocken, eine europäische Rüstungsagentur wurde gegründet, europäische „battle groups“ werden aufgestellt. Zivile Alternativen enthielt der - glücklicherweise bisher gescheiterte - Verfassungsentwurf jedoch nicht. Die Stärkung des Militärischen drückt sich auch in der zunehmenden Vermischung mit zivilen Bereichen der internationalen Politik aus: Die Linke lehnt es ab, dass aus dem Europäischen Entwicklungsfonds die Militärmissionen auf dem Afrikanischen Kontinent unterstützt werden! Die so genannte afrikanische Friedensfazilität muss aus dem Europäischen Entwicklungsfonds herausgenommen werden. DIE LINKE. fordert dies explizit in einem weiteren Antrag, den wir gerade auf den Weg gebracht haben. Auf diesem Weg würden sich innerhalb des EEF finanzielle Spielräume ergeben, um eine Initiative für einen Europäischen Zivilen Friedensdienst anzuschieben.

Um einen solchen Friedensdienst dann zu einem wirksamen Instrument der zivilen Konfliktbearbeitung und zu einer echten Alternative zu militärischer Konfliktbearbeitung auszubauen, müssen sicher noch andere Quellen erschlossen werden - auch außerhalb des EEF -, aber zunächst einmal gilt es, den politischen Willen aufzubringen und an einer Stelle anzufangen. Es gibt zahlreiche Gruppen in verschiedenen Ländern der EU, die versuchen, im Rahmen des zivilen Friedensdiensts zivile und präventive Konfliktbearbeitung konzeptionell zu entwickeln und praktisch umzusetzen, und die sich zunehmend untereinander vernetzen. Mit einem institutionellen Rahmen für diese Vernetzung und einer entsprechenden umfassenden finanziellen Ausstattung könnte die wichtige Arbeit dieser Gruppen wirksam unterstützt werden.

- zu Protokoll -