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Umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung ermöglichen

Rede von Ilja Seifert,

Rede zu Protokoll des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert

Bundestag, 18. April 2013

TOP 23, Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung ermöglichen – UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen“, Drs. 17/9190; 17/12915

 

Der Behindertensport erlebte in den letzten Jahren einen rasanten Aufschwung. Dies wird insbesondere durch den Anstieg der Mitgliederzahlen in den Sportvereinen deutlich. Special Olympics Deutschland e. V. zählt heute etwa 40.000 Mitglieder und bietet Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung die Möglichkeit, Sport zu treiben und an Wettkämpfen teilzunehmen. Der Deutsche Gehörlosen-Sportverband e. V. zählt etwa 11.000 Mitglieder in 149 Vereinen. Mit rund 600.000 Mitgliedern in über 5 600 Vereinen gehört der Deutsche Behindertensportverband e. V. (DBS) zu den größten Sportvereinigungen für Menschen mit Behinderung. Hinzu kommen Menschen mit Behinderung, die in allgemeinen Sportvereinen oder nicht organisiert regelmäßig Sport treiben. Die genannten Zahlen belegen eindrucksvoll die herausragende Bedeutung der Verbände für den Breitensport. Auch im Spitzensport können wir – davon konnte ich mich bei den Paralympischen Winterspielen 2010 in Vancouver und den Paralympics 2012 in London sowie vielen weiteren nationalen und internationalen Sportveranstaltungen in Deutschland persönlich überzeugen - großartige Erfolge von Menschen mit Behinderung verzeichnen.

Diese positive Entwicklung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß im Bereich des Behindertensports enormer Handlungsbedarf besteht. Im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung betreiben Menschen mit Behinderung prozentual weniger Sport. Dies hat Ursachen. Viele Sportstätten und auch kommerzielle Sportangebote sind nicht barrierefrei oder die Erreichbarkeit ist für Menschen mit Behinderung nicht gegeben. Es gibt viel zu wenige (hauptamtliche) Trainerinnen und Trainer sowie Betreuerinnen und Betreuer, insbesondere für erwachsene Behindertensportlerinnen und -sportler. Bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung wird in vielen Fällen pauschal eine Sportbefreiung erteilt, anstatt in Schule, Berufsschule und Hochschule geeignete Sportangebote zu entwickeln und anzubieten. Gering ist auch die Bereitschaft von Wirtschaftsunternehmen, Freistellungsregelungen für das (tägliche) Training, für Trainingslager und Wettkämpfe anzubieten. Zugangshindernisse zum Behindertensport gibt es auch aus finanziellen Gründen. Häufig ist Sport für Menschen mit Behinderung mit erheblichen Kosten verbunden, die zum Beispiel durch teure Ausstattung wie Prothesen, Sportrollstühle und andere spezielle Sportgeräte und Aufwendungen für Fahrdienste oder für Betreuer oder Betreuerinnen entstehen. Eine Vielzahl von Problemen ließe sich auch zum Rehabilitationssport nennen.

Deutlich schwieriger ist für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler auch die Vereinbarkeit mit der Ausbildung und der beruflichen Entwicklung. Bisher enthalten die Aufnahmekriterien der Fachhochschule des Bundes keine maßgeschneiderten Regelungen für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler mit Behinderung. Nicht alle Olympiastützpunkte sind barrierefrei.

Auch wenn es hier Veränderungen gab: Ich finde es herabwürdigend und diskriminierend, wenn die Medaillenprämien bei Paralympischen Spielen niedriger sind als bei Olympischen Spielen. Wenn das Leistungssportprogramm der Bundesregierung die grundsätzliche Gleichbehandlung von nichtbehinderten und behinderten Sportlerinnen und Sportlern vorsieht, führt dies zu einer Verfestigung der Ungleichheit, da die Voraussetzungen im Behindertensport andere sind. Reale Gleichheit wird nur erreicht, wenn die Förderung an die tatsächlichen Bedingungen angepaßt wird.

Seit dem 26. März 2009 gilt die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) in Deutschland. Das Leitbild der BRK ist eine inklusive Gesellschaft. Durch die BRK ist der Bund – gemeinsam mit Ländern und Kommunen – verpflichtet, Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen die Teilhabe an Sportaktivitäten zu ermöglichen (siehe Artikel 30 „Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport“). Dies betrifft den Schul-, Berufsschul- und Hochschulsport, den Breiten- und Leistungssport, den Rehabilitationssport, die Teilhabe in Verbänden des Behindertensports ebenso wie die aktive (als Sportlerin und Sportler) und passive Teilhabe (als Zuschauerin und Zuschauer) an Sportangeboten außerhalb des Behindertensports sowie in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Bei der Umsetzung der BRK sind die verschiedenen Verbände von Menschen mit Behinderung aktiv in alle Entscheidungsprozesse einzubinden.

Am 15. Juni 2011 beschloß die Bundesregierung ihren der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der BRK. Dieser Plan ist – hier sind wir uns mit vielen Mneschen mit Behinderungen und ihren Organisationen einig - auch hinsichtlich des Sportes unzureichend.

Am 28. März 2012 brachte die DIE LINKE. einen Antrag mit dem Titel „Umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung ermöglichen – UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen“ in den Bundestag ein. Der Einbringung des Antrages ging eine umfassende Beratung mit Sportlerinnen und Sportlern und weiteren Vertretern von Behindertensportorganisationen sowie weiteren Sachverständigen voraus.

Am 24. Oktober 2012 gab es im Sportausschuß zu dem Antrag der LINKEN eine öffentliche Anhörung. Hier wurde sehr deutlich, wie wichtig die Diskussion zur Entwicklung des Sports für Menschen mit Behinderungen und zu bestehenden Problemen ist. Zum Abschluß der Anhörung fragte ich alle Sachverständigen, ob sie – wenn sie es dürften – dem Antrag im Bundestag zustimmen würden. Bis auf den Sachverständigen Karl Weinmann vom Kultusministerium aus Baden-Württemberg (er behauptete, den Antrag nicht gelesen zu haben) sagten alle Sachverständigen, daß sie dem Antrag zustimmen würden.

Es blieb der einzige Antrag einer Bundestagsfraktion in dieser Wahlperiode zu diesem wichtigen Thema. Insofern ist für mich das Abstimmungsverhalten der anderen Fraktionen enttäuschend. Die CDU/CSU/FDP-Koalition lehnt den Antrag ab, SPD und Grüne enthalten sich der Stimme. Im Interesse der Menschen mit Behinderungen, der Sportvereine, im Interesse des Schul-, Breiten- und Leistungssportes hätte ich es besser gefunden, wenn die anderen Fraktionen ihre Vorschläge neben die 21 Punkte aus dem Antrag der LINKEN gepackt und wir im Ergebnis eine gemeinsam getragene Beschlußempfehlung des Ausschusses vorgelegt hätten.

Um eine umfassende Teilhabe zu ermöglichen, müssen im Sport noch viele Barrieren abgebaut werden. Diese gibt es sowohl im infrastrukturellen und baulichen Bereich als auch in den Köpfen vieler Bürgerinnen und Bürger – Politikerinnen und Politiker eingeschlossen.