Alexander Ulrich (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Redet man in diesen Tagen über Europa, kommt man nicht umhin, auch ein paar Sätze über die EU-Verfassung zu verlieren. Denn sie ist die Grundlage all dessen, was in Zukunft arbeitsplanmäßig umgesetzt werden kann. Es wird zwar immer gesagt, man brauche die EU-Verfassung, um arbeitsfähig zu sein. Wenn man aber die jüngsten Äußerungen aus England, den Niederlanden oder Frankreich wertet, stellt man fest: Die vorliegende Verfassung ist tot. Alle Versuche, diesen Wunschkatalog der Neoliberalen durchzumogeln, sind gescheitert. Alles, was jetzt noch folgt, ist aus Sicht der Regierenden Schadensbegrenzung. Auch wenn die Bundesregierung und die anderen vier Fraktionen hier im Hause es nicht wahrhaben wollen: Die Menschen in Europa, insbesondere in Frankreich und in den Niederlanden, haben diese undemokratische und unsoziale Verfassung zu Fall gebracht.
(Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Quatsch!)
Mit ihrer Ignoranz haben die anderen vier Fraktionen die Demokratie beschädigt,
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
indem sie diese Ablehnung der Bürger und den Wunsch nach einem sozialen Europa immer wieder bis heute ignorieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie tragen die Verantwortung für die große Euroskepsis auch in unserem Land. Sie alle sind Mitverursacher dieses Scherbenhaufens.
(Bernhard Kaster (CDU/CSU): Wo leben Sie eigentlich?)
Sie sollten Ihre Politik jetzt verändern, anstatt mit weiteren Tricks über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg in dieser politischen Sackgasse weiterzufahren.
(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Über meinem Kopf fliegt eine Taube!)
Zur Strategie der EU-Kommission. In allen Sonntagsreden der Herr Staatsminister hat das hier auch getan wird von der sozialen Dimension Europas geredet. Trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit in der EU, trotz der gravierenden Zunahme von Armut und trotz gravierender Probleme bei der Beschäftigung Jugendlicher ist im Strategiepapier nicht erkennbar, mit welchen Maßnahmen man diese Probleme politisch bekämpfen will. Im Gegenteil: Die bisher erfolglose Politik soll beschleunigt fortgesetzt werden.
Zur Lissabonstrategie. Die EU-Kommission setzt auf den arbeitnehmerfeindlichen Dreiklang aus Liberalisierung, Flexibilisierung und Kostensenkung für Unternehmen. Das will sie über eine forcierte Marktöffnung vor allem im Energie- und Dienstleistungssektor sowie einer Deregulierung des Arbeitsrechts erreichen. Diese Rezepte waren und sind im Hinblick auf die Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit kontraproduktiv.
Mit der Unternehmensteuerreform in Deutschland wird eine weitere Runde des europäischen Steuerdumpings eingeleitet. Andere Länder müssen und werden nachziehen. Im Ergebnis bleiben die Wettbewerbsbedingungen gleich. Die Steuereinnahmen werden aber geringer ausfallen, und die Bürgerinnen und Bürger in Europa dürfen das dann mit einem weiteren Sozialabbau bezahlen. Selbst viele Unternehmer wundern sich darüber, warum man sie ein weiteres Mal massiv steuerlich entlasten will.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist ein weiteres Paradebeispiel für eine unsoziale Politik mit deutlicher Handschrift der SPD.
Durch die Lissabonstrategie wird die Umverteilung von unten nach oben begünstigt. Weil Mindeststandards fehlen, wird die Erweiterung der EU zu üblem Lohn-, Steuer- und Sozialdumping missbraucht. Wer die Beschäftigungssituation in der EU verbessern will, der muss die Einkommensentwicklung der Arbeitnehmer verbessern, in allen Ländern Mindestlöhne einführen und bindende Korridore für Sozialstandards festlegen. Die Mitgliedsstaaten müssen sich endlich auf wirksame Maßnahmen gegen den Steuerwettbewerb einigen. Dazu gehören die Festsetzung von einheitlichen Mindeststeuersätzen und einer einheitlichen Bemessungsgrundlage sowie die Bekämpfung der Steuerflucht.
Die Europäische Zentralbank muss einer stärkeren politischen Kontrolle unterworfen werden, damit die einseitige Geldpolitik der EZB zugunsten einer Politik für mehr Wachstum und Beschäftigung umgestellt werden kann.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist begrüßenswert, dass sich die beiden französischen Präsidentschaftskandidaten für ähnliche Vorschläge einsetzen. Die deutsche Bundesregierung wäre gut beraten, ihre Beratungsresistenz in dieser Frage aufzugeben.
Zum Grünbuch „Arbeitsrecht“. Auch hier wird mit dem Stichwort „Flexibilität“ über die europäische Bande spielend versucht, die Arbeitnehmerrechte in den einzelnen Staaten zu schleifen. Wenn wir uns am dänischen Modell orientieren wollen, dann bedeutet das, dass wir Hartz IV überwinden müssen. In Dänemark werden arbeitslose Menschen nicht enteignet. Die Sozialtransfers sind deutlich höher und werden länger gezahlt. Diese Seite der Medaille wird ausgeblendet. Man will noch mehr prekäre Beschäftigung, noch mehr Leiharbeit und noch mehr Minijobs bei gleichzeitigem Abbau von Arbeitnehmerrechten. Dies soll mit dem Wort „Flexibilität“ verschleiert werden.
Über die Klima- und Energiepolitik ist heute Morgen schon viel gesagt werden. Wie so oft wie damals bei der Lissabonstrategie werden auf europäischer Ebene positive Ziele benannt, ohne die notwendigen Umsetzungsschritte aufzuzeigen. Auch dort droht uns ein Misserfolg in Europa mit dramatischen Folgen für die Umwelt.
Wer die Menschen für Europa gewinnen will, der muss seine einseitige und von Wirtschaftsinteressen geleitete Politik verändern. Die EU-Kommission und auch die deutsche Bundesregierung sind offensichtlich nicht dazu bereit. Die Linke lehnt ein Europa der Konzerne und des Geldes ab. Europa sollte für die Menschen da sein.
Vielen Dank
(Beifall bei der LINKEN)

Strategieplanung 2008 der Europäischen Kommission
Rede
von
Alexander Ulrich,