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Sportveranstaltungen als Katalysator für Veränderungen nutzen

Rede von Katrin Kunert,

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!


„Um einander zu achten, muss man sich zunächst kennen“! Dieses Zitat geht zurück auf den Begründer der modernen olympischen Spiele, Baron Pierre de Coubertin. Es spiegelt wider, worum es bei Sportveranstaltungen geht, egal ob bei internationalen Sportgroßveranstaltungen oder Sportfesten des örtlichen Sportvereins. Menschen unterschiedlicher Herkunft lernen sich kennen, respektieren die sportliche Leistung der anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer und zusammen mit Zuschauerinnen und Zuschauern teilen alle die Freude am gemeinsamen Sporterleben.


In der Vergangenheit gab es verstärkt Proteste, wenn es um die Vergabe von sportlichen Großereignissen ging. Am 13. Juli 2001 erhielt Peking den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2008. Daraufhin gab es viel Kritik, insbesondere an der Menschenrechtssituation, dem Tibetkonflikt und den Umweltzerstörungen in China. Haile Gebrselassi, der bis letztes Jahr den Weltrekord im Marathon hielt, hat beispielsweise seine Teilnahme am Marathon in Peking wegen der schlechten Luft abgesagt. Dies hat er im Nachhinein jedoch bereut, da die Verhältnisse besser waren als erwartet. Überhaupt muss man heute feststellen, dass die Olympischen und insbesondere die Paralympischen Spiele auch positive Impulse für China gebracht haben. Vorher waren Menschen mit Behinderungen in China unsichtbar. Hier hat es einen ersten Schritt in die richtige Richtung gegeben und auch wenn es ein langer Weg ist, so hat in der Gesellschaft ein Bewusstseinswandel eingesetzt. Die Paralympischen Spiele haben China und der Welt gezeigt, was Menschen mit Behinderungen zu leisten im Stande sind. Nach der Vergabe der Olympischen und Paralympischen Sommerspiele an Peking gab es jedoch noch weitere Anlässe zu Kritik an den großen Sportorganisationen, wie IOC und FIFA. Die Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2014 werden im russischen Sotschi stattfinden und die Eishockey-WM 2014 ist nach Belarus vergeben. Auslöser der Proteste sind hier vor allem die Menschenrechtslage in Belarus und die Umweltbedingungen in Sotschi. Es ist auch schwer zu verstehen, dass Olympische und Paralympische Winterspiele in einer Sommerresidenz am Schwarzen Meer ausgetragen werden sollen. Es würde schließlich auch niemand auf die Idee kommen, Winterspiele in Nizza durchzuführen und das liegt immerhin auf dem gleichen Breitengrad. Die Kritik ist also durchaus berechtigt und die entscheidende Frage ist, wie geht man damit um.


Ich denke, Boykotte von Sportveranstaltungen sind kontraproduktiv und schaden in erster Linie dem Sport und den Sportlerinnen und Sportlern. Es besteht heute eine nahezu einhellige Auffassung, dass die großen Boykotte der Olympischen Spiele von Moskau 1980 und Los Angeles 1984 negative Folgen hatten, sie waren falsch. Der Sport kann nicht in die Haftung der Politik genommen werden und in Bezug auf Peking 2008 hat selbst der Dalai Lama einen Boykott abgelehnt, da dies das chinesische Volk getroffen hätte und nicht die Regierung, mit der der Konflikt eigentlich bestand. Man kann nicht ernsthaft erwarten, dass durch eine Sportveranstaltung, auch wenn es sich um die Olympischen und Paralympischen Spiele handelt, ein seit mehr als fünfzig Jahren bestehender Konflikt wie die Tibetfrage, gelöst werden kann. Hier würde man den Sport überfrachten und davor möchte ich warnen. Auch Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, sagte im März 2008 bei der Entzündung der olympischen Flamme: „Die olympischen Spiele sind eine Kraft für das Gute. Sie sind ein Katalysator für Wandel, nicht ein Allheilmittel für alle Übel“.


Diese positive Kraft für das Gute muss man nutzen. Ein positives Beispiel der Vergangenheit sind die Olympischen Sommerspiele 1988 in Seoul. Dieses Ereignis hat dazu beigetragen, dass sich Südkorea der Welt öffnet. Man muss bei der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen entscheiden, ob man ein Land isolieren will oder mit den Mitteln des Sports ein Dialog angeregt werden kann. Ich bin für den zweiten Weg! Natürlich kann Sport nicht völlig losgelöst von der Politik betrachtet werden. Das hat schon das Viertelfinale der aktuellen Fußball-EM zwischen Deutschland und Griechenland gezeigt. Die Medien haben die gesamte Eurokrise auf dieses Spiel projiziert. Der Kanzlerin wurde sogar empfohlen, im Falle eines Erfolges der deutschen Mannschaft nur verhalten zu jubeln. Das geht meiner Meinung nach zu weit! Dennoch können sich die internationalen Sportorganisationen nicht auf den Standpunkt zurückziehen, Sport und Politik müsse man strikt trennen.


Die Entwicklung von Vergabekriterien für Sportgroßveranstaltungen, wie in dem vorliegenden Antrag von Bündnis90/Die Grünen vorgeschlagen, ist ein guter Anfang. Es ist wichtig, dass es einheitliche Kriterien gibt, die transparent und nachvollziehbar sind. In einem solchen Katalog müssen ökologische Kriterien enthalten sein. Es ist nicht hinnehmbar, dass für die Austragung einer solchen Veranstaltung die Natur dauerhaft zerstört wird. Eingriffe, die irreversibel sind, müssen durch positive Projekte an anderer Stelle kompensiert werden. Es müssen soziale Kriterien enthalten sein, denn es kann nicht sein, dass es für die Realisierung einer Bewerbung oder die Durchführung der Sportveranstaltung zu Kürzungen bei sozialen Projekten kommt. In Anlehnung an die Waffenruhe, die während der Olympischen Spiele in der Antike herrschte, müssen Sportveranstaltungen auch in einem friedlichen und stabilen Umfeld stattfinden. Es ist wichtig, die Lage in einem Land zumindest für einen gewissen Zeitraum einschätzen zu können, denn die Vergabe einer Sportgroßveranstaltung erfolgt zumeist einige Jahre früher. In einem solchen Kriterienkatalog muss selbstverständlich auch die Menschenrechtslage in den potenziellen Austragungsorten eine Rolle spielen. Es müssen Mindeststandards eingehalten werden und diese Einhaltung muss auch öffentlich dokumentiert werden und nachvollziehbar sein. Eine solche Bewertung vorzunehmen ist für die internationalen Sportorganisationen durchaus zumutbar. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, das richtige Maß zu finden. Menschenrechte werden unterschiedlich interpretiert und ausgelegt. Wenn man die Latte hier zu hoch legt, dann könnten wohl in keinem Land bedenkenlos Sportveranstaltungen ausgetragen werden. Es würde wohl keinen Aufschrei geben, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika den Zuschlag für die Austragung einer Weltmeisterschaft oder der Olympischen und Paralympischen Spiele bekommen würden. Bei genauerem Hinsehen muss man aber feststellen, dass in über 30 Staaten noch die Todesstrafe durch das Gesetz zulässig ist und es ein höchst fragwürdiges Gefangenenlager auf Guantánamo gibt. Es ist die ständige Aufgabe der Politik, sich für die Einhaltung und Verbesserung der Menschenrechte einzusetzen. Der Sport kann hier nur temporär einen Beitrag leisten und Probleme öffentlich machen, lösen kann er sie sicherlich nicht. Ein Kriterienkatalog ist aber auch deshalb sinnvoll, da Länder, die diese Punkte noch nicht umfänglich erfüllen, möglicherweise animiert werden, die Verhältnisse im eigenen Interesse anzupacken und zu verbessern. Notwendig in einem solchen Katalog ist meiner Meinung nach auch eine Begrenzung der Kosten zur Durchführung von Sportereignissen. Eine solche Kostendeckelung muss sich sowohl auf das Bewerbungsverfahren als auch die Austragung der Sportveranstaltung beziehen. Schließlich müssen auch die Abstimmungsmodalitäten der Sportorganisationen transparent und nachvollziehbar sein, denn auch der beste Kriterienkatalog wäre wirkungslos, wenn seine Beachtung nicht überprüfbar wäre.


Wir unterstützen den Antrag, auch wenn man einige Punkte ergänzen könnte und insbesondere die Menschenrechtsfrage sehr differenziert betrachten muss. Vielleicht können wir auch gemeinsam noch einige Ergänzungen entwickeln. Durch diesen Antrag wird eine Debatte angestoßen und die Probleme werden ausdrücklich benannt. Ein sportlicher Dialog kann für alle Beteiligten sehr fruchtbar sein. Auf diese Weise lernen sich Menschen auch kennen und achten.


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!