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Sozialticket für die Deutsche Bahn AG

Rede von Katrin Kunert,

Sehr geehrter Herr Präsident/in,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

heute am 4. Dezember 2008 beschreitet der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) der Region Ruhr Mark einen ungewöhnlichen Weg, um seine Forderung nach Einführung eines Sozialtickets zu unterstreichen. 20 „Schwarzfahrer” werden sich unter die Fahrgäste der Bogestra - das Verkehrsunternehmen der Städte Bochum und Gelsenkirchen - mischen. Mit dieser spektakulären Aktion wollen die Gewerkschafter auf die Situation armer Menschen aufmerksam machen, die sich Fahrkarten für den öffentlichen Personennahverkehr nicht leisten können. Der DGB hat bereits mehrfach die Forderung aufgestellt, ein Sozialticket für solche Menschen bereitzustellen, deren Einkommen unterhalb der Armutsgrenze von 800 Euro liegt. Mobilität in der eigenen Stadt dürfe kein Luxus sein.

Mittlerweile gibt es in vielen Städten und Landkreisen Initiativen für die Einführung eines Sozialtickets bzw. wurde das Sozialticket bereits eingeführt. Die Gründe dafür liegen in erster Linie in bundespolitischen Entscheidungen. Die Hartz-IV-Gesetze führen dazu, dass immer mehr Menschen von kulturellen, politischen und sozialen Prozessen ausgeschlossen sind. Sie können nur noch selten in vollem Maße am gesellschaftlichen Leben in ihrer Stadt oder Gemeinde teilnehmen. Deshalb bleibt DIE LINKE bei ihrer Forderung: „Hartz IV muss weg!“ Was wir brauchen, ist eine armutsfeste, repressionsfreie soziale Grundsicherung. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre eine sofortige Anhebung der Regelsätze auf 435 Euro. Ein Sozialticket für die Deutsche Bahn AG wird uns dieser Notwendigkeit nicht entheben. Aber ein Sozialticket für die Deutsche Bahn könnte dazu beitragen, dass Mobilität auch für Menschen, die Transferleistungen beziehen, im Fernverkehr ermöglicht wird.

Da es in der 1. Lesung keine Möglichkeit gab sich mit den Argumenten der anderen Fraktionen zu unsrem Antrag direkt auseinanderzusetzen, da die Reden nur zu Protokoll gegeben werden sollten, möchte ich nun die Gelegenheit nutzen, dies nachzuholen und auf einige Argumente insbesondere der Koalitionsfraktionen eingehen.

Die Fraktion der CDU/CSU, teilt unsere Feststellung, dass Mobilität ein elementares Merkmal unserer heutigen Gesellschaft ist. Was sie aber nicht tut, dass sie daraus Konsequenzen zieht, und allen Menschen in diesem Land ein Grundrecht auf Mobilität einräumt und zur Gewährleistung dessen die Voraussetzungen schafft. Auch den Menschen, die auf Transferleistungen angewiesen sind, müssen Chancen eröffnet werden, das in Artikel 11 des Grundgesetzes verbriefte Grundrecht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen zu können. Das Sozialticket hilft den Betroffenen, ihr Recht auf Mobilität wahrzunehmen.

Nun zu dem Argument der CDU/CSU, die Bahn sei eine Aktiengesellschaft (AG) und der Bund könne demzufolge, auf die operative Geschäftsführung keinen Einfluss nehmen, auch im Aufsichtsrat nicht: Wenn das wirklich so wäre, warum hat Politik massiv Einfluss genommen als es um den Bedienzuschlag ging, den die Deutsche Bahn AG einführen wollte? Letztendlich musste die Bahn AG diese Entscheidung zurück nehmen. Damit hat sich Politik sehr wohl in das operative Geschäft der Bahn eingemischt.

Ein weiteres Beispiel: Zwischen dem Bundestag und der Deutschen Bahn AG gibt es eine Vereinbarung, dass Abgeordnete des Deutschen Bundestages unentgeltlich mit der Bahn 1. Klasse fahren können. Dafür erhält die Bahn AG einen jährlichen Zuschuss. Im Jahr 2008 belief sich dieser Zuschuss auf 1,766 Mio. Euro; das sind je Abgeordneten rd. 240 Euro pro Monat. Um ein Sozialticket für die Deutsche Bahn AG einzuführen, könnte der Bund ebenfalls eine Vereinbarung mit der Deutschen Bahn AG abschließen. Der Zuschuss würde dann 700 Millionen Euro betragen müssen, wenn man davon ausgeht, dass es 14 Millionen Anspruchsberechtigte dafür gibt. Finanzieren könnte man das Sozialticket entweder durch Umschichtungen der Mittel, die die Deutsche Bahn AG aus dem Bundeshaushalt erhält - immerhin sind dies 9 Mrd. Euro - oder aus dem Überschuss der Bundesagentur für Arbeit, der im Jahr 2008 genau 700 Millionen Euro beträgt. Dies wäre keine Einmischung in das operative Geschäft der Bahn AG, man muss es nur politisch wollen.

Politisch gewollt war es zum Beispiel in Köln. Die Kölner-Verkehrsbetriebe sind ebenfalls eine AG und in Köln gibt es ein Sozialticket. Die Stadt hat mit den Kölner-Verkehrsbetrieben AG ein Sozialticket ausgehandelt und zahlt dafür einen Ausgleichsbetrag an die Verkehrsbetriebe von rd. 2,8 Millionen Euro für das Jahr 2008.

Im Übrigen ist DIE LINKE der Auffassung, dass die Bahn in öffentliche Hand gehört. Was wir brauchen ist eine Bürgerbahn, damit Nutzerinnen und Nutzer wieder Einfluss nehmen können auf die Leistungen, die Qualität der Leistungen und den Preis der Leistungen. Die Bahn muss für alle da sein, auch für Menschen, die auf Transferleistungen angewiesen sind, darin liegt ihr öffentlicher Auftrag.

Die Fraktion der SPD wirft uns vor, mit der Forderung der Einführung eines Sozialtickets für die Bahn AG die Entsolidarisierung weiter voranzutreiben, weil Menschen mit geringem Einkommen von dieser Vergünstigung nicht profitieren würden. Erinnert sei an dieser Stelle, dass es die SPD war, die die Hartz-Gesetze auf den Weg gebracht und beschlossen hat und damit die Verfestigung und Ausweitung eines Niedriglohnsektors forciert hat. Die SPD hat es politisch zu verantworten, dass es immer mehr Menschen gibt, die von ihrem Einkommen nicht leben können. Die Lösung hierfür kann nur sein: die sofortige Einführung von Mindestlöhnen und einer armutsfesten, repressionsfreien sozialen Grundsicherung. Solange dies jedoch keine Mehrheiten findet, wäre ein Sozialticket für die Bahn ein kleiner Schritt um Menschen eine Minimalteilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit!