Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Europäischen Union müssen um die niedrigsten Löhne konkurrieren. Die Lohnentwicklung ist eine zentrale Ursache der Wirtschaftskrise, wie wir mittlerweile wissen. Wenn Arbeitnehmer nicht konsumieren, werden Unternehmen nicht investieren und Banken das Kapital weiter ins Kasino tragen. Durch die europäischen Verträge wird der dramatische Rückgang der Lohnquote in der Europäischen Union gefördert, und damit wird die Wirtschaftskrise verlängert.
Der Europäische Gerichtshof untersagte etwa dem Land Niedersachsen, bei öffentlichen Aufträgen die ortsüblichen Tariflöhne zu verlangen. Polnische Arbeitnehmer hätten auf einer deutschen Baustelle höchstens Anspruch auf Mindestlöhne. Mindestlöhne werden so zu Höchstlöhnen. Mit dieser Rechtsprechung wird gegen das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ und damit gegen Art. 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verstoßen. Sie ist auch europafeindlich, weil durch sie die Menschen in der EU gegeneinander ausgespielt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn ein deutsches Unternehmen nach Polen geht, zahlt es selbstverständlich die niedrigeren polnischen und nicht die deutschen Löhne. Umgekehrt soll dies nicht gelten. Das in der Bolkestein Richtlinie formulierte Herkunftslandprinzip erhält so über den Gerichtssaal wieder Geltung.
Dies ist auch ökonomischer Unsinn:
(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Quatsch!)
Erstens wird das Wachstum durch sinkende Löhne gebremst. Zweitens werden heimische Unternehmen gegenüber Entsendeunternehmen bei der Auftragsvergabe zukünftig diskriminiert: Sie müssen Tariflöhne zahlen, die anderen nicht. Drittens schaden diese Urteile auch den Osteuropäern: Wenn die Löhne beim Exportweltmeister Deutschland sinken, dann haben wir einen weiteren Wettbewerbsvorteil gegenüber den EU-Nachbarn.
Diese Rechtsprechung hat ihre Ursache in europäischen Verträgen. Durch den Vertrag von Lissabon wird hieran nichts geändert. Dem Europäischen Gerichtshof wird somit weitere Munition für eine arbeitnehmerfeindliche Rechtsprechung geliefert.
Durch Art. 52 der Grundrechte-Charta werden trotz vieler positiver Aspekte dieser Charta zahlreiche Rechte beschränkt. Die Freiheiten des Binnenmarktes haben weiter Vorrang vor den politischen und sozialen Rechten der Arbeitnehmer. Der Europäische Gerichtshof geht sogar so weit, die laut Grundgesetz unantastbare Menschenwürde gegen unternehmerische Freiheiten abzuwägen. Deswegen haben wir, die Linke, gegen den Vertrag von Lissabon geklagt. Nun hat auch die SPD das Problem erkannt, und sie fordert zu unserer Überraschung eine Änderung des Vertrags von Lissabon durch ein Sozialprotokoll. Wenn die SPD ihre Forderung ernst nimmt, kann der Vertrag so nicht ratifiziert werden.
(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Davon muss man aber nicht ausgehen!)
Sie haben unsere Forderung nach einem Sozialprotokoll bereits zweimal abgelehnt: einmal am 22. Oktober 2008 im Europäischen Parlament und am 20. Dezember 2008 im Bundestag. Die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer werden die SPD aufmerksam beobachten. Sie wissen nach elf Jahren Regierungsverantwortung der SPD, dass etwas heiße Luft gegen soziale Kälte nicht schaden kann und nicht schaden wird. Die Linke wirkt.
(Beifall bei der LINKEN Lachen bei der SPD)
Es wird sich zeigen, ob Sie Ihr Wahlversprechen genauso ernst nehmen, wie Sie es zuvor bei den Mindestlöhnen, der Mehrwertsteuer oder der Vermögensteuer getan haben. Die parlamentarischen Mehrheiten für diese Dinge sind da. Diese Mehrheiten wurden unter Gerhard Schröder immer genutzt, wenn es darum ging, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu schaden; Hartz IV und Agenda 2010 sind Beispiele dafür. Sie können diesmal beweisen, dass Sie diese Mehrheiten nutzen, um etwas für die Menschen in Europa zu tun.
(Beifall bei der LINKEN)
Kollege Axel Schäfer, in der letzten Debatte haben Sie etwas von Doppelzüngigkeit gesagt. Wer wie die SPD immer für die europäischen Verträge war und sich jetzt hinstellt und eine gemeinsame Erklärung mit dem DGB abgibt, der ist doppelzüngig. Sie hätten während der Vertragsverhandlungen, spätestens nach dem Scheitern der Abstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden, sagen müssen: Jetzt muss das in den Verträge verankert werden. Sich jetzt, vor den Europawahlen, hinzustellen und so etwas gemeinsam mit den Gewerkschaften zu erklären, ist doppelzüngig. Das werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht vergessen.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Eva Högl (SPD): Lesen Sie doch einmal den Lissabon-Vertrag! Es würde helfen, wenn Sie ihn lesen würden!)
Die SPD muss beantworten, ob es am 7. Juni bei den Europawahlen heißt: „Pinocchio würde SPD wählen.“
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)

Soziale Fortschrittsklausel in die EU-Verträge einfügen
Rede
von
Alexander Ulrich,