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Sören Pellmann: Vormundschafts- und Betreuungsrecht ist noch nicht Menschenrechtskonform

Rede von Sören Pellmann,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bürgerliche Gesetzbuch ist mittlerweile 125 Jahre alt. Durch zahlreiche Veränderungen entstand ein völlig unübersichtlicher Sammelband für das Vormundschaftsrecht. Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen zeigte sich bereits vor sechs Jahren darüber besorgt. Nach seiner Auffassung ist das im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelte Instrument der rechtlichen Betreuung mit dem Übereinkommen unvereinbar.

Positiv an dem heute zu beschließenden und zu beratenden Gesetzentwurf ist, dass der Wille der Betroffenen und die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung endlich eine Rolle spielen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Alle Entscheidungen müssen aus Sicht meiner Fraktion und vielleicht auch der einen oder anderen hier im Haus unter dem Leitgedanken stehen: Immer mit uns entscheiden und nicht über uns entscheiden.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Gut im Entwurf ist auch, dass ein Betreuer den Betreuten in gerichtlichen und außergerichtlichen Dingen vertreten kann, aber eben nicht vertreten muss. Jedoch wäre eine Eingrenzung des Aufgabenkreises „Vermögenssorge“ nach unserer Auffassung notwendig gewesen. Manche Menschen benötigen eben Betreuer nur für den Kontakt zu Gläubigern, für das Vereinbaren von Ratenzahlungen oder sonstige Kontoangelegenheiten. Hier wird die Freiheit des Einzelnen unserer Auffassung nach deutlich zu sehr beschränkt.

Wenig durchdacht wirkt das geplante automatische Ehegattenvertretungsrecht. Es schwächt nach meiner Auffassung die Vorsorgevollmacht. Allein der Ehepartner soll demnach die Entscheidung für lebensverlängernde Maßnahmen treffen. Dabei wird die Eignung des Partners durch einen Arzt festgestellt. Der Gesetzentwurf nennt aber keine weiteren Kriterien. Den Ärztinnen und Ärzten wird damit eine Entscheidung aufgedrängt, die eigentlich beim Betroffenen liegen müsste. Leider wird das Betreuungsgericht als Kontrollinstanz hierbei außen vor gelassen; es gibt eben kein funktionierendes Kontrollorgan. Warum soll nicht mehr auf Vorsorgevollmachten gesetzt werden?

Wäre es nicht dringend notwendig, mehr Aufklärung zu betreiben?

(Mechthild Rawert [SPD]: Doch!)

Selbstbestimmung muss auch in diesem Fall präventiv gefördert und gefordert werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Warum werden Menschen nicht zwingend bei der Entscheidungsfindung aktiv unterstützt und gefördert? Es besteht eben leider kein Rechtsanspruch auf genau diese Unterstützungsleistung.

Ebenso muss ich der Kritik meiner Fraktion noch mal bezüglich der Zwangssterilisationen – auch das hat in der ersten Lesung und auch in den Expertenanhörungen eine Rolle gespielt – Nachdruck verleihen. Der UN-Fachausschuss hält die bisherige Praxis für nicht statthaft. Daher ist es grundsätzlich gut, dass der natürliche Wille der Betroffenen nun entscheidend sein wird. Wir fragen uns jedoch: Verändert diese Regelung die reale Praxis?

(Mechthild Rawert [SPD]: Ja!)

Wozu braucht es dann noch den Sterilisationsbetreuer, wenn der Betreute hier entscheidend ist? Die ersatzlose Streichung ist noch nicht erfolgt, und wir werden dies im Rahmen der Evaluierung weiter kritisch begleiten und prüfen.

Diese Punkte zeigen unter anderem, dass die UN-BRK noch nicht vollumfänglich erfüllt ist. Hier muss deutlich nachgebessert werden!

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Abschluss – Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss – noch ein Zitat von Rosa Luxemburg, die heute ihren 150. Geburtstag begehen würde: Das Wesen der Gesellschaft muss sein, dass die große Masse selbstbewusst und selbstbestimmt lebt. – Für diese Selbstbestimmung kämpfen wir heute und in Zukunft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])