Zum Hauptinhalt springen

Sören Pellmann: Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts einfach nur enttäuschend

Rede von Sören Pellmann,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei über 500 Seiten Gesetzentwurf sind einige für die Betroffenen wichtige Details offenbar verloren gegangen. Menschen, die vom Vormundschafts- und Betreuungsrecht betroffen sind, erwarten weiterhin, dass ihr Wille und ihr Wunsch eine zentrale Rolle spielen. Betreuer sollen die Betroffenen insbesondere dabei unterstützen, selbstständig Entscheidungen treffen zu können.

Was sagt zum Beispiel die Lebenshilfe dazu? Deren Rat behinderter Menschen meint – ich zitiere –: Durch die Unterstützung kann jeder stärker darin werden, selbst Entscheidungen zu treffen.

Wie soll das jedoch funktionieren, wenn Berufsbetreuer viel zu viele Menschen betreuen und keine Zeit dafür haben? Die Linke fordert daher erstens einen niedrigeren Betreuungsschlüssel und deutlich bessere Bezahlung.

(Beifall bei der LINKEN)

Das führt dann dazu, dass weniger Fälle bearbeitet werden und so eine sehr gute Betreuung möglich ist. Wir wollen eine Fachstelle, welche die Expertise bündelt und diese Wege zur Entscheidungsfindung in der Praxis weiterentwickelt. Auch müssen Methoden zur unterstützten Entscheidungsfindung weiterentwickelt werden.

Die Linke sagt: Es wäre besser, wenn es gar nicht erst zur Betreuung kommt.

(Beifall bei der LINKEN)

Betreuungsvermeidende Hilfen sind in § 8 Absatz 2 Betreuungsorganisationsgesetz als sogenannte erweiterte Unterstützung angedacht, jedoch leider nur als Kannbestimmung; es besteht kein Rechtsanspruch auf erweiterte Unterstützung. Verstärkt wird das dadurch, dass eine Länderöffnungsklausel besteht, das heißt, demnach entscheiden die Länder selbst, ob sie dies überhaupt umsetzen. Es ist also nur eine Symbolgesetzgebung. Die gerichtlich angeordnete Betreuung darf aber nur die Ultima Ratio sein, da dies einen grundrechtsrelevanten Eingriff darstellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Welche weiteren Schwachstellen beinhaltet der vorliegende Gesetzentwurf? Erstens: Barrierefreiheit. Das Gesetz sieht adressatengerechte Ansprache vor, jedoch keine Pflicht zur barrierefreien Kommunikation. So kann Selbstbestimmung nicht verwirklicht werden. Barrierefreie Kommunikation muss verpflichtend enthalten sein.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zweitens. Zwangssterilisationen sind weiterhin vorgesehen. Die UN- Behindertenrechtskonvention verbietet das explizit. Der UN-Fachausschuss hält diese Praxis im Übrigen für nicht statthaft und hat bereits 2017 geschrieben – ich zitiere –: Der § 1905 Bürgerliches Gesetzbuch muss aufgehoben werden. Die Sterilisierung ohne die vollständige und informierte Einwilligung der Betroffenen muss gesetzlich verboten werden. Sämtliche Ausnahmen sind abzuschaffen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt lesen wir dazu in der Begründung des Ministeriums – ich zitiere –: Das zuständige Ministerium benötigt erst einmal hinreichende Tatsachenkenntnisse und wird ein Forschungsvorhaben zum Thema ausschreiben. – Was, bitte schön, hat die Bundesregierung die letzten drei Jahre gemacht, um derartige Grundrechtseingriffe zu verhindern?

(Beifall bei der LINKEN)

Warum, liebe Bundesregierung, ignorieren Sie die Fachstelle und die damalige Behindertenbeauftragte?

Weitere offene Fragen: Wie sieht es aus mit der Fortbildungspflicht für Berater und für Betreuer? Warum ist keine Regelung für Beratungs- und Beschwerdestellen enthalten? Betreuerbestellung findet weiterhin leider nur medizinisch und defizitorientiert statt.

Es bedarf daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, in den kommenden Wochen und den Ausschussberatungen noch einiger Arbeit und Verbesserungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)