Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Primetime, kurz nach acht, „Tagesschau“-Zeit, spannendes Thema: Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen
Ich habe mal in den Koalitionsvertrag geschaut und gelesen, was dort steht. Ich zitiere:
"Wir stärken die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen: Investitionen in Ausbau der Barrierefreiheit im öffentlichen Raum und allen Bereichen des Alltags."
Das findet man da.
Offensichtlich haben Sie aber Barrierefreiheit noch nicht begriffen. Barrierefreiheit ist eben kein reines Thema der Behindertenpolitik. Und: Barrierefreiheit hilft allen. Bisher, liebe Große Koalition, haben Sie diesbezüglich leider nichts geliefert. Da wollen wir gern behilflich sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Mein Tipp in dieser Debatte: Gehen Sie doch mal mit offenen Augen durch Ihre Wahlkreise, oder lesen Sie Zeitung. Immer noch bestehen Barrieren; das wurde in den letzten Tagen immer wieder öffentlich. Ich nenne hier mal nur die Vorgänge bei der Deutschen Bahn: Personen mit Beeinträchtigungen konnten nicht mitgenommen werden, weil Behinderten-WCs nicht nutzbar waren. Ein anderes Beispiel ist der Kollege Ströbele, jetzt mit Rollator ausgestattet. Ihm wurde die Mitfahrt in Zügen der Deutschen Bahn verweigert. Das sind Barrieren.
In meiner Heimatstadt Leipzig habe ich die Feiertage genutzt und geschaut: Wie sieht es mit der Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr, nämlich bei Haltestellen, aus? Ich habe feststellen müssen, dass über die Hälfte genau dieser Haltestellen nach einer Umrüstung der Wartehäuschen nicht mehr barrierefrei sind. Auch das darf doch eigentlich nicht wahr sein.
Wie kann das alles sein? Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist seit über zehn Jahren in Kraft. Das war auch der Anlass, warum wir uns für zehn Anträge entschieden haben. Denn: Barrierefreiheit nutzt allen Menschen. Investitionen sind daher eine Investition in die Zukunft einer vielfältigen und solidarischen Gesellschaft.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es ist ein Unding, dass Barrierefreiheit noch immer keine Selbstverständlichkeit ist; deswegen heute unsere zehn Anträge. Die Linke fordert nämlich genau in diesen eine umfassende, menschenrechtskonforme Barrierefreiheit. Das umfasst die Komplexe Wohnen, Gesundheit, Pflege, Mobilität, Kultur, Sport, Medien und politische Teilhabe.
Zentrale Forderungen an die Bundesregierung aus den Anträgen der Linken sind unter anderem: Das Recht auf eine bezahlbare, menschenwürdige, diskriminierungsfrei zugängliche Wohnung muss im Grundgesetz verankert werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Ansteigen der Mieten muss verhindert werden, und barrierefreier sowie inklusiver Wohnraum muss geschaffen werden.
Eine Auflösung der unklaren Regelungen bei den Wahlassistenzen muss erreicht werden. Das Recht auf barrierefreie Kommunikation, beispielsweise durch Gebärdensprachdolmetschung oder in leichter Sprache, muss rechtsverbindlich werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Gleiches gilt für die barrierefreie medizinische Beratung, Behandlung sowie Versorgung einschließlich barrierefreier Informationsmaterialien.
(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Und: Wir brauchen mehr barrierefreie Schutzräume wie Frauenhäuser für Mädchen und Frauen mit Behinderung.
(Beifall bei der LINKEN)
Private Anbieter von öffentlich zugänglichen Gütern und Dienstleistungen müssen zur Herstellung von Barrierefreiheit gesetzlich verpflichtet werden.
(Beifall der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE])
Außerdem muss der ÖPNV vollumfänglich barrierefrei gestaltet werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles kostet Geld. Aber Die Linke sagt klar: Das Menschenrecht auf Barrierefreiheit kann nicht wegen Geldmangel beschränkt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Nur durch gesellschaftliche Umverteilung kann Barrierefreiheit finanziert werden. Am Ende hat doch jeder in der Gesellschaft etwas davon.
Ich möchte den ehemaligen Bundespräsidenten Gauck zitieren:
(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Was? Sie?)
"Ist denn wirklich in der ganzen Gesellschaft schon angekommen, dass wir in jeder Hinsicht und nicht nur räumlich „barrierefrei“ werden müssen? Zuerst im Kopf, aber dann sozusagen in allen Lebenslagen. Ist wirklich schon bei allen Menschen angekommen, dass alle Menschen nicht so sehr behindert sind, als dass sie behindert werden?"
Beweisen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das auch bei Ihnen angekommen ist, und stimmen Sie für unsere Anträge. Lassen Sie uns die Barrieren im Alltag für alle Menschen effektiv aufheben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)