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Selbstbestimmung ist eine Voraussetzung für den Frieden

Rede von Wolfgang Gehrcke,

Text einer nicht gehaltenen Rede - ausgeschlossen von der Sitzung des Parlaments

Nicht gehaltene Reden können nicht im Nachhinein gehalten werden, zumal eine Rede auch den Sinn hat, auf Argumente anderer zu antworten. Bis zu unserem Rauswurf waren wenig überzeugende Argumente zur Begründung des Antrages der Bundesregierung eingebracht worden. Das ist kein Zufall, es gibt solche Argumente nicht. FDP-Stinner fuhrwerkte nach gehabtem antikommunistischen Muster. Die CDU-Geheimwaffe Schockenhoff war extra dafür eingesetzt, das Plenum des Bundestag in Schlaf zu versetzen und SPD-Steinmeier stimmte der Bundesregierung zu, wollte aber nicht, dass die Zustimmung so genau wahrgenommen wird. Kein intellektueller Anreiz für eine wirkliche Debatte.

Die Absicht der Fraktion DIE LINKE ist eindeutig: Schluss mit dem Krieg in Afghanistan! Das Töten und Morden, der Krieg muss endlich aufhören! Die Menschen in Afghanistan müssen endlich eine Chance erhalten, ihren eigenen Weg zu gehen. Das heißt, Selbstbestimmung ist eine Voraussetzung für den Frieden. Das wollen wir unterstützen. Schluss mit dem Töten und Morden. Selbst- statt Fremdbestimmung - alles andere ist nicht wichtig.

Die Konferenz in London war keine Friedenskonferenz. Der Antrag der Bundesregierung, mehr Soldaten zu entsenden, ist kein Schritt zum Frieden. Mehr Soldaten bedeuten mehr Widerstand, stärken in Afghanistan das Gefühl, dass das Land besetzt ist. Die Eskalation des Krieges geht in die nächste Runde.

Mit der Londoner Konferenz wurde eine neue Afghanistanstrategie angekündigt. Diese Strategie heißt im Kern Aufstandsbekämpfung mit immer mehr Soldaten und immer moderneren, furchtbaren Waffen. Diese Strategie kann nicht zum Frieden führen.

Sofort nach der Londoner Konferenz begann die Großoffensive der NATO in Afghanistan. Ich behaupte, dieses Zusammentreffen ist nicht zufällig. Die Bundesregierung hat davon gewusst und es dem Parlament verschwiegen. So bleibt die Wahrnehmung, die NATO redet vom Frieden, die Bundesregierung ebenfalls - tatsächlich wird der Krieg verschärft. Jeden Tag lesen und hören wir Nachrichten über zivile Tote in Afghanistan. Selbst die Regierung Karsai protestiert gegen diese Kriegsführung.

Verehrte Abgeordnete, meine Kollegin Christine Buchholz hat ihnen zu Recht gesagt: Wer Ja sagt zum Antrag der Bundesregierung über nimmt Verantwortung für weitere Tote. Wollen Sie das?

In den vergangenen Tagen war zu lesen, dass US-Verteidigungsminister Gates einen „Weckruf“ an die Menschen in Europa von sich gegeben hat. Er behauptete: In Europa seien große Teile der Öffentlichkeit und der politischen Klasse militärischer Gewalt und damit verbundenen Risiken abgeneigt. Ich sage: Bravo dass das so ist! Es ist wichtig, dass große Teile der Öffentlichkeit mit dem Krieg und der Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan nicht einverstanden sind. In diesem Zusammenhang will ich gerade den Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen sagen: Ihre Parteien waren einmal wichtig für die Friedensbewegung. Wohin hat Sie Ihre Entscheidung, Krieg als Mittel der Politik zu akzeptieren, gebracht? Der SPD-Fraktionsvorsitzende, Frank-Walter Steinmeier hat sich bald flehentlich an die Bundesregierung gewandt, doch von ihr bestätigt zu bekommen, dass in dem Antrag, weitere Soldaten nach Afghanistan zu entsenden, Forderungen der SPD eingegangen sind. Welche? Dass jetzt statt Stabilisierung von Aufstandsbekämpfung die Zielsetzung ist? Welcher Fortschritt ist das? Dass verbal von Exit getönt, aber tatsächlich der Krieg verschärft wird, ist das sozialdemokratisch? Ist es sozialdemokratisch, den Krieg und zivile Hilfe immer enger miteinander zu verknüpfen? Oder wäre es nicht sozialdemokratisch, endlich zu Willy Brandt zurückzukehren und Krieg als ultima irratio abzulehnen? Das aber heißt: Deutsche Soldaten abziehen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD - seien sie solidarisch mit den Sozialdemokraten der Niederlande. Mit deren Beharren auf den Abzug der niederländischen Truppen, selbst um den Preis, dass die Regierung daran zerbrochen ist, haben sie ein Zeichen gesetzt, dass es auch anders geht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wenn sie den Wahlkampf der Sozialdemokraten in den Niederlanden unterstützen wollen, müssen sie jetzt in Deutschland mit Nein stimmen.

DIE LINKE jedenfalls will das politisch einlösen, wovon US-Verteidigungsminister Gates Europa befreien will: Wir wollen, dass die Öffentlichkeit in Europa weiter und entschlossen Nein zu Kriegen sagt.

Es gibt für Afghanistan einen Weg zum Frieden, das ist der Weg der Verhandlungen. Deswegen sollte der Deutsche Bundestag die Regierung Karsai auffordern, konsequent Verhandlungen zwischen den Kriegsgegnern anzustreben und zu verwirklichen. Frieden muss man mit seinen Feinden schließen.

Die Hilfe für Afghanistan muss fortgesetzt werden, die Gelder müssen vom Militär, von der Zerstörung zum zivilen Aufbau umgeleitet werden.

Ziviler Aufbau und Militär, Zivilgesellschaft und Krieg dürfen nicht miteinander verbunden werden. Der zivile Aufbau darf nicht als Mittel des Krieges erscheinen und so eingesetzt werden. Wenn die Afghaninnen und Afghanen über ihr Schicksal selbst entscheiden und entscheiden können, wird es besser gelingen, zu tatsächlichen, tragfähigen Schritten in Richtung Demokratie, Frauenrechte und Sicherheit zu kommen.

Frieden in Afghanistan wird sich positiv auf die Stabilität in den Nachbarländern auswirken. Regionale Sicherheit wäre ein bedeutender Schritt für ganz Zentralasien. Der Schlüssel für alles ist der Abzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan. Deswegen ist der Abzug der Bundeswehr kein Moment der Destabilisierung, sondern ermöglicht erst eine tatsächlich neue Strategie: Die Afghanisierung des Friedens und nicht die Afghanisierung des Krieges.