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Reisen für alle – Für einen sozialen Tourismus

Rede von Ilja Seifert,

Rede zu TOP 50, Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Reisen für alle – Für einen sozialen Tourismus“, Drs. 17/11588; 17/13397 (Die Rede wurde zu Protokoll gegeben.)

Der Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Reisen für alle – Für einen sozialen Tourismus“ soll heute mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung von SPD und den Grünen abgelehnt werden. Warum eigentlich? Ist der Antrag nicht sinnvoll oder unnötig oder ist er nur schlecht gemacht?

Ich meine: Weder noch.

Der Antrag der LINKEN für einen sozialen Tourismus ist sinnvoll, weil dadurch alle Fraktionen im  Bundestag und im Tourismusausschuss sowie die Bundesregierung gezwungen wurden, sich mit dem Thema aktiv auseinander zu setzen. Ohne DIE LINKE hätte es die Debatten zum sozialen Tourismus, zur Förderung des Kinder- und Jugendtourismus sowie zum „Barrierefreien Tourismus“ in diesem hohen Haus in diesem Umfang und in dieser Intensität – mit Beteiligung der Betroffenen und ihrer Organisationen – nicht gegeben.

Der Antrag der LINKEN für einen sozialen Tourismus war nötig, weil das Thema – das mussten alle Fraktionen in der Diskussion eingestehen – wichtig ist. Wichtig, weil eben nicht alles „in Butter“ ist.

Und der Antrag der LINKEN ist auch inhaltlich gut. Dies wird u. a. an den Verrenkungen und Ausflüchten anderer Fraktionen bei ihrem Versuch, ihre Ablehnung oder Stimmenthaltung zu begründen, deutlich. Lächerlich ist zum Beispiel die Begründung, der Antrag richte sich mit seinen Forderungen zu sehr an die Länder und beachte nicht die Kompetenzverteilung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Dazu heißt es im Antrag der LINKEN: „Sofern die Bundesländer für die Realisierung einzelner Aufgaben zuständig sind, soll die Bundesregierung in geeigneter Weise an diese herantreten.“ Ähnliche Formulierungen finden sich übrigens massenhaft auch in Anträgen der Koalition wieder.

Unstrittig ist, dass Essen, Trinken, Kleidung, aber auch Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit zu menschlichen Grundbedürfnissen gehören. Gehört aber auch der Tourismus dazu? Ist die Forderung, allen Menschen Reisen zu ermöglichen nur dummes Gequatsche aus der linken Ecke? Ich meine: Nein.

Bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 heißt es im Artikel 24: „Jeder hat das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub.“

Und im Globalen Ethikkodex für Tourismus, beschlossen auf der Generalversammlung der UNWTO im Jahr 1999 heißt es im „Artikel 7 - Das Recht auf Tourismus“:

„1. Die Aussicht auf den unmittelbaren und persönlichen Zugang zur Entdeckung und zum Genuss der Ressourcen des Planeten ist ein Recht, das allen Bewohnern der Welt in gleicher Weise offen steht; die zunehmend extensive Beteiligung am nationalen und internationalen Tourismus sollte als eine der bestmöglichen Formen der Nutzung der ständig zunehmenden Freizeit angesehen und es sollten ihr keine Hindernisse in den Weg gelegt werden; … 4. der Tourismus von Familien, jungen Menschen und Senioren sowie Behinderten sollte gefördert und erleichtert werden.“

Das der Bundesverband der deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) erst im Dezember 2012, also 13 Jahre später den „Global Code of Ethics for Tourism“ unterzeichnete, sei hier nur am Rande erwähnt.

Immerhin, selbst in den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregierung vom Dezember 2008 (BT-Drs. 16/11594) finden sich die bemerkenswerten Sätze: „Ziel der Bundesregierung ist die Teilhabe aller Bevölkerungskreise am Tourismus. Auch Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finanziellen Einschränkungen sollen reisen können.“ wieder.

Wie „ernst“ dies gemeint war, erklärte mir bzw. dem Bundestag der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze (CDU) auf meine Frage vom 6. Oktober 2010 zu den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregierung und den Hartz IV-Regelsätzen (Drucksache 17/3113, Frage 16). Seine Antwort: „Vorrangiges Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist nicht in erster Linie die Umsetzung der tourismuspolitischen Leitlinien, sondern die schnellstmögliche Eingliederung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in den Arbeitsmarkt… Bei der Entscheidung …wurde… die Position „Übernachtungen“ nicht als regelbedarfsrelevant berücksichtigt. Diese Ausgaben sind dem Bereich Urlaub zuzuordnen, der als nicht existenzsichernd anzusehen ist und folglich für den Regelbedarf nicht zu berücksichtigen ist.“

Das dies kein Ausrutscher war, zeigt sich auch in den Aktivitäten und den Ergebnissen der Bundesregierung und der Bundesländer in der Tourismuspolitik. Unbestritten, es gibt eine Reihe von Aktivitäten, es gibt Förderungen für den internationalen Jugendaustausch und Förderungen für Jugendherbergen und Familienheimstätten durch den Bund. Aber reichen diese Aktivitäten? Reicht es nicht, dass Deutschland Reiseweltmeister ist und die Tourismuswirtschaft immer neue Rekorde bei Übernachtungen und Umsätzen vermeldet?

Ich meine: Nein, es reicht nicht.

Der Superlativ „Reiseweltmeister“ sagt nichts über die soziale Struktur des deutschen Tourismus aus. Seit einigen Jahren spiegelt sich die Vertiefung der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft verstärkt auch im Tourismus wider.

Ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung kann nicht in den Urlaub fahren. Nach der 28. Deutschen Tourismusanalyse der Stiftung für Zukunftsfragen lag die Reiseintensität, also der Anteil der Bevölkerung ab 14 Jahren, welcher mindestens eine Urlaubsreise mit einer Dauer von wenigstens fünf Tagen unternommen hat, im Jahr 2011 bei 53 Prozent. Bereits im Jahr 2010 konnte sich nur noch jeder Fünfte der Geringverdienenden eine Urlaubsreise leisten. Nur gut jede zweite Familie verreiste im Jahr 2010 für mindestens fünf Tage. Seit dem Jahr 1990 ist das ein Rückgang um 11 Prozent. In sechs von 16 Bundesländern wurden in den letzten Jahren die finanziellen Mittel zur Förderung der Familienerholung völlig gestrichen. Im Jahr 2009 waren Urlaubsreisen für mehr als ein Fünftel (22 Prozent) der Haushalte, in denen Kinder unter 16 Jahren lebten, finanziell unerschwinglich. Das sind die Zahlen. Was das im einzelnen für Familien, insbesondere die Kinder und Jugendlichen bedeutet, spüre ich bei meinen Gesprächen in der Oberlausitz. Eine wundervolle Urlaubs-Region mit interessanten Kulturstätten und einer abwechslungsreichen Landschaft, gleichzeitig aber auch eine Region, die zu den ärmsten in Deutschland gehört.

Die Schaffung von mehr Reisemöglichkeiten für Menschen mit geringerem Einkommen, für Menschen mit Behinderungen sowie Menschen mit Migrationshintergrund wäre nicht nur ein bedeutender sozialer Fortschritt, sondern könnte dazu beitragen, Arbeitsplätze zu schaffen und die ökonomischen Effekte des Tourismus weiter zu vergrößern. Diese Orientierung findet sich auch in einer Reihe von EU-Dokumenten. So beschloss die Europäischen Tourismuskonferenz am 14./15. April 2010 in Madrid: „Die Kommission sollte Bevölkerungsgruppen mit eingeschränkter Mobilität und gesellschaftlich und/oder wirtschaftlich Benachteiligten den Zugang zu Urlaubsmöglichkeiten erleichtern, gleichzeitig eine bessere und langfristigere Nutzung der touristischen Infrastruktur, die Durchführung touristischer Aktivitäten in den jeweiligen Regionen über einen längeren Zeitraum und die Stärkung des Gefühls einer Unionsbergerschaft fördern.“ Zu nennen wäre hier auch noch die von der EU ebenso wie von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention, insbesondere der Artikel 30 - Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport.

Deswegen bleibt für DIE LINKE das Thema „REISEN FÜR ALLE“, insbesondere für Familien, Kinder und Jugendliche (hier meinen wir Urlaubsreisen und Schulfahrten!), Seniorinnen und Senioren sowie Menschen mit Behinderungen, ganz oben auf der tourismuspolitischen Agenda.