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Regierung ohne Konzept für Bekämpfung von Familien-, Eltern- und Kinderarmut

Rede von Diana Golze,

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Schäuble! Sehr geehrte Frau Ministerin Schwesig!

Der Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, trägt den wunderbaren Titel „Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung“. Ja, zum quantitativen Ausbau trägt Ihr Gesetzentwurf sicherlich bei; denn Sie regeln detailliert die Aufteilung der neuen 550 Millionen Euro für die Aufstockung des Sondervermögens. Das ist sicherlich notwendige Verwaltungstechnokratie. Steht in dem Gesetzentwurf aber auch etwas zur Qualität?Lassen Sie uns doch einmal gemeinsam überlegen, was wir unter Qualität in Kitas verstehen. Sie haben dafür doch bestimmt auch Vorschläge?  Wenn die Kollegen der Union nicht gerade miteinander reden würden, würde ihnen vielleicht etwas einfallen.  Mir fällt zu diesem Thema zum Beispiel der Betreuungsschlüssel ein.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau.  Die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher hat sicherlich auch etwas mit Qualität zu tun, und vielleicht sogar deren Entlohnung.(Beifall bei der LINKEN)Wie wäre es mit Freistellungszeiten für das Leitungspersonal, Zeit für Vor- und Nachbereitung und Qualifizierungsmaßnahmen? Das alles hat etwas mit Qualität zu tun, würde ich sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Schauen wir nun aber einmal gemeinsam in den Gesetzentwurf.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ja, bitte!)

Wenn ich so viel Redezeit hätte wie die Rednerinnen und Redner der Koalition, könnten wir jetzt eine Lesepause einlegen; ich habe aber nur sechs Minuten.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das reicht gut für Sie!)

Deshalb nehme ich das an dieser Stelle einmal vorweg und zitiere aus Artikel 4 Kapitel 3 § 12, „Zweck der Finanzhilfen“. Da steht: Förderfähig „sind Neubau-, Ausbau-, Umbau-, Sanierungs-, Renovierungs- und Ausstattungsinvestitionen“. Weiter steht dort:Gefördert werden Investitionen, die der Schaffung oder Ausstattung zusätzlicher Betreuungsplätze dienen ...Von Qualität steht in diesem Gesetzentwurf nichts. Er wird seinem eigenen Anspruch nicht gerecht.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, viele Ihrer Vorbehalte gegenüber der frühkindlichen Betreuung bzw. Erziehung in Kitas, die Sie in den letzten Jahren hier vorgetragen haben, haben doch etwas mit der ganz konkreten Situation in Kitas zu tun, damit, wie Kita im Moment funktioniert. Vor diesem Hintergrund frage ich mich aber: Warum verweigern Sie sich dann der Diskussion über gute Kitas, über gute Qualität? Ich weiß, dass das in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle gespielt hat. Es war eine Forderung der SPD, ein Kitaqualitätsgesetz zu schaffen. Es kommt nicht, weil Sie Widerstand geleistet haben. Das, liebe Damen und Herren von der Union, kann ich nicht verstehen. Warum verweigern Sie sich einer Diskussion, die außerhalb dieser Mauern schon seit langem geführt wird?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Viele Verbände sitzen seit über einem Jahr zusammen und machen sich konkret Gedanken, wie eine qualitativ bessere Ausgestaltung aussehen könnte. Dafür hat sich ein breites Bündnis gefunden. Die Arbeiterwohlfahrt ist dabei, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und auch der Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder; sie alle sind sich einig. Viele Expertinnen und Experten sind angehört worden. Sie versuchen gemeinsam, Handlungsempfehlungen zu geben, und ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse dieser Debatte. Ich kann Ihnen nur empfehlen, diese Ergebnisse dann auch aufzugreifen und ernst zu nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Handlungsbedarf in Bezug auf ein Kitaqualitätsgesetz ist groß. Genau deshalb fordern wir in dem Antrag, den wir heute vorgelegt haben, eine Sachverständigenkommission. Die Erfahrungen aus der Praxis, das Know-how der Wissenschaft und die Expertise der Akteure vor Ort müssen zusammengeführt werden. Es muss ein gemeinsamer Handlungsvorschlag entwickelt werden. Wir sollten uns nicht mit Kleinigkeiten beschäftigen und am Ende vielleicht noch ein paar zusätzliche Kitaplätze schaffen. Das dürfen wir zwar nicht vergessen; aber wir brauchen den großen Wurf  was meine ich damit? , gesetzlich verbriefte Mindeststandards.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese liegen nach wie vor nicht vor. Wir brauchen aber grundlegende Kriterien für die Qualität in Kitas. Deren Formulierung steht natürlich zunächst einmal demjenigen an, der den Rechtsanspruch auf Kitabetreuung in das SGB VIII geschrieben hat, und das ist der Bund. Wir brauchen aber nicht nur einen Rechtsanspruch auf einen Platz, sondern auch einen Rechtsanspruch auf die Ausgestaltung dieses Platzes, auf die Qualität dessen, was wir da mit viel Geld ins Leben gerufen haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage Sie: Wie soll in strukturschwachen Regionen ein erhöhter Anteil an den Umsatzsteuereinnahmen so viel Geld einbringen, dass es neben all den anderen Verpflichtungen für mehr Plätze und mehr Qualität reicht? Wie soll eine Kommune wie zum Beispiel die, aus der ich komme  ich weiß genau, wovon ich rede; ich bin auch Stadtverordnete , die sich von einem Haushaltssicherungskonzept zum nächsten hangelt, zusätzliche Erzieherinnen einstellen, wenn sie gezwungen ist, jeden Cent, der übrig bleibt, in die Tilgung der Schulden zu stecken? Wir brauchen Pflichtaufgaben, auch bei der Qualität. Solange Investitionen in die Qualität der Kindertagesbetreuung keine Pflichtaufgabe sind, so lange wird sich im Leben von Eltern und Kindern leider nichts verbessern.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Finanzbedarf, der dafür notwendig ist, wird unterschiedlich hoch beziffert. Professor Dr. Stefan Sell hat in einem Beitrag mit dem Titel „Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen“ von 9 Milliarden Euro gesprochen, wenn wir die Vorgaben der OECD erfüllen wollen. Ob das durch Umbuchungen und durch die Entlastung, von der der Bundesfinanzminister hier gesprochen hat, zu schaffen ist, weiß ich nicht. Ich fürchte, dass die Freiräume, die dadurch bei Ländern und Kommunen entstehen, am Ende nicht ausreichen. Ich sage deshalb: Auch wir als Bund haben hier zusätzliche Möglichkeiten. Lassen Sie uns doch zum Beispiel die 1 Milliarde Euro, die gerade der Union so locker in der Tasche sitzt, um den Eltern ein Taschengeld dafür zu zahlen, dass sie ihre Kinder nicht in die Kitas bringen, für eine umfassende und durchdachte Qualitätsoffensive für Kitas einsetzen, statt sie beim Betreuungsgeld zu verschwenden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)