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30 Jahre Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur - Bundestag erinnert

Rede von Sören Pellmann,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 12. März 1992 setzte der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ ein. 1995, drei Jahre später, folgte eine zweite Enquete-Kommission. Wir begrüßen es als Linke ausdrücklich, dass wir heute an beide Kommissionen erinnern.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir als Die Linke sind und bleiben in besonderer Verantwortung.

(Beatrix von Storch [AfD]: Mauermörderpartei!)

Richtig und notwendig – so bezeichnete Dietmar Keller, der damalige Obmann der PDS, diese Enquete-Kommission. Ja, diese parlamentarischen Kommissionen, auch mehrheitlich ostdeutsch besetzt, waren Meilensteine in der Aufarbeitung – trotz des parteipolitischen Einflusses. Denn auch den gab es. Insbesondere sei an die Bundestagswahlkämpfe 1994 und 1998 erinnert.

Ja – das gehört zum Erinnern dazu –, die PDS sah und Die Linke sieht, wie auch viele Ostdeutsche, noch heute Aspekte zur deutsch-deutschen Geschichte und zur DDR anders als damals die Mehrheit in der Enquete-Kommission, die die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag abgebildet hat. Aber unzweifelhaft gilt, erstens, vor allem und zuallererst die Entschuldigung bei den Opfern der damaligen Zeit,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

zweitens, die Feststellung „Die DDR ist zu Recht gescheitert“ und, drittens: Die Hauptverantwortung für das, was von diesem System begangen wurde, trägt die SED.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an die damaligen Debatten erinnern. Es gibt zum Beispiel zwei Aspekte, die wir anders sahen und sehen:

Erstens. In der Aufarbeitung ging es auch um die Frage der Legitimität des Versuches, nach dem Zweiten Weltkrieg ein anderes Deutschland aufzubauen. Diese Legitimität war da. Diese Legitimität war im Ausgang des Zweiten Weltkrieges begründet. Wir dürfen niemals vergessen – auch nicht in diesen Tagen, nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine –: Ohne die Sowjetunion und die Rote Armee wäre Europa, wäre Deutschland vom Hitler-Faschismus nicht befreit worden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Auch deshalb ist dieser Versuch, der spätestens nach dem Mauerbau zu Recht gescheitert ist, nicht im Ansatz zu vergleichen mit dem NS-Regime. So waren aber die Debatten um die sogenannte zweite deutsche Diktatur. Das hat sich zum Glück verändert.

Im Übrigen hat die Gruppe der PDS im Deutschen Bundestag damals neben der Mitarbeit in der Enquete-Kommission auch eine eigene Schriftenreihe herausgegeben, immerhin elf Bände. Andere Blockparteien könnten sich daran ein Beispiel nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zudem gab es auch eine alternative Enquete-Kommission im Osten; auch das war wichtig. Die PDS, die einen beträchtlichen Teil der ostdeutschen Bevölkerung vertreten hat, hat ihren Verdienst an der Aufarbeitung, der Einheit und dem Zusammenwachsen unseres Landes. Auch das sollte heute anerkannt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im schon benannten Entschließungsantrag zum Abschlussbericht der Kommission 1994 hieß es damals:

"Die politisch-moralische Verurteilung der SED-Diktatur bedeutet keine Verurteilung"

– keine Verurteilung –

"der ihr unterworfenen Menschen, im Gegenteil."

Wenn wir heute an die Zeit der Aufarbeitung erinnern, müssen wir uns aber auch fragen, ob wir diesem Ziel in den vergangenen 32 Jahren immer gerecht geworden sind. Ich erinnere zum Beispiel an den kompletten Personalwechsel nach der Wende in den Spitzenjobs der ostdeutschen Gesellschaft oder daran, dass Hunderttausende Rentnerinnen und Rentner ihre Ansprüche aus DDR-Zeiten bis zum heutigen Tag nicht anerkannt bekommen.

Ja.

Danke, dass Sie die Frage zulassen. – Da das wichtig ist, möchte ich kurz nachfragen, ob ich Sie richtig verstanden habe: Ist es so, dass Sie sagen, bis zum Mauerbau 1961 war es ein legitimer Preis für Ihr politisches Anliegen, einen ideologisch anders ausgerichteten Staat zu bilden, dass es keine freien und geheimen Wahlen gab, in denen die Bevölkerung im Osten unseres Landes der SED jemals ein Mandat dafür erteilt hätte, die Geschicke dieses Landes zu bestimmen? Ist das legitim Ihrer Meinung nach, oder wollen Sie behaupten, dass es damals freie und geheime Wahlen gab?

Frau Kollegin, genau da haben Sie mich natürlich falsch verstanden. Ich habe gar nicht gesagt, dass es bis 1961 irgendwie einen demokratischen Versuch des Staates gab. Es ist allgemein bekannt – auch das hat ja der Bericht der Enquete-Kommission mehrfach zutage getragen –, dass es eben undemokratische Strukturen gab, dass Wahlen nicht demokratisch stattgefunden haben, dass Repressionen zu ertragen waren. Meine Partei und ihre Vorgängerpartei, der ich nie angehörte, haben sich für viele dieser Verfehlungen auch deutlich entschuldigt. Ich hätte mir gewünscht, dass sich die, die das System der DDR mitgetragen haben, auch im Block, auch entschuldigt hätten. Das vermisse ich allerdings bis heute.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erinnerte an den Personalwechsel und an das, was die Renten betrifft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Erinnern für die Zukunft“, so lautet der Titel unserer Debatte. Was könnte das heute heißen? Die Geschichte der Ostdeutschen ist mehr als SED-Diktatur. Das gilt im Übrigen auch für die Zeit vor 1989. Aber was ist mit der Zeit nach 1989? Die damalige Kommission kann Vorbild sein für eine Nachwende-Enquete-Kommission, die wir dringend im Bundestag brauchen. Die Fehler der Einheit und der 90er-Jahre gehören endlich parlamentarisch aufgearbeitet. Die beiden Untersuchungsausschüsse zur Treuhand waren keine Wahrheitskommissionen. Das konnten sie auch deshalb nicht sein, weil erst heute die Akten dazu zugänglich sind.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss: Ich möchte Robert Grünbaum von der Bundesstiftung, die 1998 als Konsequenz gegründet wurde, noch zum Abschluss zitieren:

"Vielleicht hätte man die herausragende Lebensleistung der Ostdeutschen, nämlich 40 Jahre in einer Diktatur gelebt zu haben und dann einen gesellschaftlichen Umbruchsprozess sondergleichen bewältigt zu haben, in den zurückliegenden 30 Jahren stärker würdigen müssen."

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)