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Hoffentlich erleben wir tatsächlich eine Revolution im Iran

Rede von Gregor Gysi,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Ideologien und Religionen versuchen, die Menschen zu entindividualisieren. Immer wieder geht es darum, dass die Menschen sich nach einschränkenden Moralvorstellungen und Verhaltensweisen zu bewegen haben. Eigentlich müsste der Grundsatz gelten: Jede und jeder darf sein, wie sie oder er will; es gibt nur eine Grenze: wenn dadurch Rechte anderer verletzt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass dies nicht so ist, führte in der Menschheitsgeschichte zu schweren Auseinandersetzungen einschließlich Religionskriegen. Die evangelische Kirche hat sich in der Reformation von der katholischen getrennt, sich demokratischer strukturiert und Schritt für Schritt Chancengleichheit für Frauen hergestellt: Sie dürfen Pastorinnen und Bischöfinnen werden. Natürlich hat sich auch die katholische Kirche entwickelt; aber nach wie vor werden Frauen vom Pastoren-, Bischofs-, Kardinals- und Papstamt ausgeschlossen. Eine Gleichstellung der Frauen fehlt auch im Judentum, wenn ich daran denke, wie der Aufenthalt in Synagogen für Frauen und Männer geregelt ist.

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wird das jetzt? – Marianne Schieder [SPD]: Sind Sie sicher, dass Sie bei der richtigen Rede sind?)

Und im Islam fehlt die Gleichstellung erst recht.

Ganz schlimm wird es aber erst dann, wenn eine Religion zum Machtmissbrauch genutzt wird. Genau das erleben wir bei dem „Islamischen Staat“, bei anderen bestimmten Sekten, seit geraumer Zeit gerade auch im Iran. Bestimmte Männer missbrauchen Religion, um eigene Herrschaftsverhältnisse zu sichern. Wie kommen diese Kerle eigentlich dazu, den Frauen vorzuschreiben, wie sie sich zu kleiden haben? Noch nie haben die Frauen den Männern dies vorgeschrieben, und nun wird gerade im Iran eine Frau in Haft wegen angeblich falscher Kleidung getötet. Wieso verletzt die Führung des Iran das Menschenrecht auf Gleichstellung von Frau und Mann? Eine Mehrheit im iranischen Parlament will gegen alle inhaftierten Protestierenden Todesurteile verhängen. 14 000 sind inhaftiert – ungeheuerlich! Selbst Kinder werden bei den Protesten getötet. Schon in den 80er-Jahren mussten wir erleben, dass im Iran Tausende Demokratinnen und Demokraten hingerichtet wurden. Der Mut der jetzt Protestierenden im Iran ist bewundernswert.

(Beifall bei der LINKEN)

Wann, wenn nicht jetzt, ist es Zeit für eine feministische Außenpolitik, die solidarisch mit den Protestierenden ist? Doch was macht die deutsche Botschaft im Iran? Sie versagt Touristenvisa aus der Furcht, dass die Iranerinnen einen Asylantrag in Deutschland stellen könnten.

In Bayern, wo die CSU regiert, wurde ein iranischer Asylbewerber unter falschem Vorwand in die Passauer Ausländerbehörde bestellt und festgenommen, weil man ihn noch am 5. Oktober abschieben wollte, drei Wochen nach dem Beginn der Proteste. Zum Glück hat die öffentliche Aufmerksamkeit dies verhindert.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Mindeste ist, dass wir Iranerinnern und Iranern, die vor dem Regime geflohen sind oder jetzt fliehen, umfassenden Schutz gewähren. Die Gewalttaten des Regimes müssen unter UN-Hoheit untersucht werden. Die Täter dürfen sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlen, und sie müssen generell zur Verantwortung gezogen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen unsere politischen und wirtschaftlichen Beziehungen nutzen, damit im Iran das Verhältnis zur Gewalt und zu den Frauenrechten grundsätzlich verändert wird. Hoffentlich erleben wir tatsächlich eine Revolution.

(Beifall bei der LINKEN)