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Bundesregierung schlicht und deutlich überfordert

Rede von Gregor Gysi,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten heute zu Recht ein Gedenken an Michail Gorbatschow, der einen großen Beitrag dazu geleistet hat, dass der Kalte Krieg friedlich beendet wurde. Gerade wir Deutschen verdanken ihm viel.

Es ist aber eine ungeheure Tragik, dass bei allen Verheerungen, die es während des Kalten Krieges gab, die Stabilität größer war als heute. Allein Russland die Schuld dafür zu geben, ist falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade auch der Westen hat zur Destabilisierung beigetragen. Trotzdem sind wir uns einig, dass der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine scharf verurteilt werden muss.

(Beifall bei der LINKEN – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Na immerhin!)

Aber wie soll der Krieg beendet werden? Das geht nur über einen Kompromiss zwischen der Ukraine und Russland, und dafür muss diplomatisch vermittelt werden. Unsere Außenpolitik versagt diesbezüglich vollständig. Der Vermittler zwischen Russland und der Ukraine ist die Türkei, die als NATO-Mitglied gerade völkerrechtswidrige Kriege gegen Syrien und den Irak führt und außerdem noch Griechenland bedroht.

(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Ein Diktator hilft dem anderen!)

Wäre das Einnehmen der Vermittlungsrolle nicht eigentlich eine Aufgabe des Bundeskanzlers Scholz

(Beifall bei der LINKEN)

und des französischen Präsidenten Macron und eben nicht des Präsidenten Erdogan?

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Vermittler! Das ist ein Handlanger von Putin!)

Sie wissen, dass ich aus historischen Gründen dagegen bin, dass Deutschland an Kriegen verdient und Waffen exportiert. Aber unabhängig davon kann man sich doch nicht nur auf Waffenlieferungen konzentrieren und auf eine diplomatische Lösung verzichten.

(Beifall bei der LINKEN – Jürgen Coße [SPD]: Haben Sie eben nicht zugehört?)

Ich habe immer Sanktionen gegen die russische Führung und gegen die russischen Oligarchen unterstützt; aber ich verstehe die Sanktionen gegen die russische Bevölkerung nicht.

(Gabriele Katzmarek [SPD]: Wir können es Ihnen erklären!)

Sie hat den Krieg nicht beschlossen. Warum soll sie darunter leiden? Warum ist es überhaupt Ziel unserer Regierung, dass die russische Bevölkerung leidet?

(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Haben Sie sich mal die Sanktionen angeguckt? Die Wirtschaft leidet!)

Sollte die naive Hoffnung dahinterstecken, dass sich die Bevölkerung dann gegen Putin stellt, muss ich Ihnen sagen, dass die Medienwelt in Russland von Putin und nicht von uns bestimmt wird. Er wird wohl eher dafür sorgen, dass eine Stimmung gegen uns entsteht.

Von Anfang an habe ich gefragt, welche Gegenmaßnahmen gegen uns und gegen andere von Putin eingeleitet werden können. Ich habe darauf hingewiesen, dass ein Drittel des weltweiten Getreideexports aus Russland und der Ukraine kommt und dass doch die Gefahr besteht, dass dieser beeinträchtigt wird. Tatsächlich wurde er ja beeinträchtigt, bis ein Kompromiss über den Generalsekretär der UNO, Guterres, und eben Präsident Erdogan erreicht wurde, nicht etwa über uns.

Und ich habe darauf hingewiesen, dass Russland, wenn es andere Kunden für Erdöl und Erdgas finden sollte, den Hahn zu uns auch zudrehen kann. Nun sagen die Besserverdienenden, dass man das in Kauf nehmen muss, dass wir einen Preis zu bezahlen haben. Das stimmt. Das ist für Bundestagsabgeordnete zum Beispiel kein Problem. Aber es gibt viele, die sich das beim besten Willen nicht leisten können. Was Sie da an Hilfe anbieten, ist unzureichend und Flickschusterei.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie vergessen viele Gruppen, zum Beispiel die Menschen in Privatinsolvenz, wo jeder zusätzliche Betrag an den Insolvenzverwalter geht. Sie vergessen die Freiberuflerinnen und Freiberufler, darunter sehr viele Künstlerinnen und Künstler, die sich das beim besten Willen nicht leisten können. Sie vergessen auch die Soloselbstständigen und die kleinen und mittleren Unternehmen. Bisher haben Rentnerinnen und Rentner noch gar nichts bekommen.

(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Das stimmt ja nicht! Natürlich haben Rentnerinnen und Rentner was bekommen!)

Das soll nun durch einen Einmalbetrag geändert werden. Aber der reicht nicht hin und nicht her.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem vergessen Sie die große Gruppe der Normalverdienenden, die sich die Inflation, die Preissteigerungen bei Lebensmitteln und Energie, ebenfalls nicht leisten kann. Deshalb wäre es wichtig, über bestimmte Sanktionen neu nachzudenken, um andererseits die Energieversorgung unserer Bevölkerung in vollem Umfang zu sichern.

(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Es gibt gar keine Sanktionen gegen Energie!)

Ferner fehlt mir jede Perspektive Ihrer Politik. Wie soll eigentlich eine neue Friedensordnung weltweit und in Europa aussehen? Sie müssen immer bedenken, dass es ohne und gegen Russland eine solche nicht geben kann. Wenigstens Vorschläge der Regierung, Ideen müsste man erwarten; aber sie fehlen. Sie, Frau Außenministerin, wollten eine Außenpolitik zur Vermeidung des Klimawandels betreiben, was ohne und gegen Russland auch nicht geht. Es tut mir leid, aber ich habe insgesamt den Eindruck, dass die Regierung überfordert ist.

(Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Uns tut leid, dass Ihre Rede genauso klingt wie vor dem Ukrainekrieg! Das tut uns leid! – Jamila Schäfer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn Ihr Vorschlag?)

Wir erleben eine Konkurrenz zwischen den USA, China und Russland. Wir Europäerinnen und Europäer sind daran interessiert, nicht unter dieser Konkurrenz zu leiden. Das wird aber in der Außenpolitik nicht deutlich. Ich erinnere daran, dass die Mehrheit der Staaten nicht demokratisch strukturiert ist. Es gibt das berühmte Bündnis BRICS, bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Die Bevölkerung dieser Staaten macht zusammen deutlich mehr als die Hälfte der Menschheit aus. Und nun wird auch noch die Konkurrenz zwischen den USA und China dramatisch zugespitzt.

Wir sind keine Weltmacht, aber können und müssen einen Beitrag dazu leisten, die Demokratie und Stabilität in unserem Land und in der EU zu erhalten. Das Ganze darf nicht aus dem Ruder laufen, damit wir nicht in den dritten Weltkrieg geraten. Dazu muss die Diplomatie im Unterschied zu jeder Kriegspolitik weltweit deutlich gestärkt werden, auch durch unsere Bundesregierung.

(Beifall bei der LINKEN)