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Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich

Rede von Clara Bünger,

Clara Bünger am Rednerpult des Bundestages

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, dass sie das Strafrecht auf den Prüfstand stellen will. Das begrüßen wir. Ankündigungen reichen aber nicht aus, Sie müssen die Vorhaben auch umsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Buschmann, Sie haben es selbst in einem Interview gesagt: Weniger Menschen sollen wegen sogenannter Ersatzfreiheitsstrafen in Haft kommen; denn wer zu einer Geldstrafe verurteilt wird und diese nicht bezahlen kann,

(Zuruf von der CDU/CSU: Bezahlen will!)

muss stattdessen ins Gefängnis. Andere Länder der EU sind hier viel weiter, und auch in Deutschland muss endlich etwas passieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Streichen Sie die Ersatzfreiheitsstrafen, zumindest für diejenigen, die gar kein Geld haben!

Die Ersatzfreiheitsstrafe ist mittlerweile zur häufigsten Form der Freiheitsstrafe geworden. Darauf weist auch der Jurist Ronen Steinke hin. 2019 saßen schätzungsweise 51 000 Personen hinter Gittern – allein aus dem Grund, weil sie eine Geldstrafe nicht zahlen konnten. Damit werden arme Menschen doppelt bestraft.

(Beifall bei der LINKEN)

Von Ersatzfreiheitsstrafen sind besonders häufig Menschen betroffen, die ohne Ticket im öffentlichen Verkehr fahren. Nach § 265a des Strafgesetzbuchs wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer sich die Beförderung durch ein Verkehrsmittel erschleicht. Zum Vergleich: Wer beispielsweise ohne Parkschein parkt, muss ein Bußgeld bezahlen, begeht aber keine Straftat. Alles andere wäre auch vollkommen unverhältnismäßig. Das ist beim Fahren ohne Fahrschein aber auch so; deshalb wollen wir diese Ungleichbehandlung abschaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

2020 gab es über 43 000 Verurteilungen wegen Fahrens ohne Fahrschein. Meistens geht es dabei um Geldstrafen. Trotzdem müssen Schätzungen zufolge jedes Jahr mehrere Tausend Menschen in den Knast, weil sie ohne Ticket gefahren sind. Und wen betrifft das? Nicht diejenigen, die einfach vergessen haben, sich ein Ticket zu kaufen, sondern arme und prekär lebende Menschen, Obdachlose und Suchtkranke, die sich kein Ticket leisten können und erst recht keine Geldstrafe bezahlen können. Ich will Ihnen noch sagen: Der damalige SPD-Politiker Karl Liebknecht hat den Begriff „Klassenjustiz“ geprägt. Natürlich hat sich seitdem viel gewandelt, aber eines hat sich nicht geändert: Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Das ist ungerecht, und das muss sich aus unserer Sicht ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei der Verfolgung von angeblichen oder vermeintlichen Schwarzfahrerinnen und Schwarzfahrern kommt es regelmäßig zu Gewaltexzessen. Ich nenne mal ein Beispiel: Im März 2021 wird ein Mann von einem Polizeihund der Bundespolizei gejagt und wird von Beamten überwältigt, gefesselt und zur Polizeiwache gebracht. Und was hatte dieser Mann getan? Er war nicht gewalttätig gegenüber anderen Menschen. Nein, er ist ohne Ticket im Regionalexpress gefahren. Das ist kein Einzelfall. Immer wieder kommt es hier zu Übergriffen. Dieser Umgang mit Menschen, nur weil sie sich kein Ticket leisten können, ist absolut unverhältnismäßig.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Deshalb werden wir zur Streichung des § 265a einen Gesetzentwurf einbringen.

2018 haben wir das gemeinsam mit den Grünen gefordert. Ich weiß, dass das für einige von Ihnen, wie der Kollegin Canan Bayram, ein wichtiges Thema ist. Ich bitte Sie, dass Sie uns an dieser Stelle unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN – Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Voll!)

Die Initiative Freiheitsfonds hat hier im Übrigen schon Großartiges geleistet. Die Aktivistinnen und Aktivisten sind nämlich der Meinung, dass man sich nicht auf die Politik verlassen kann. Das ist ja auch in gewisser Weise verständlich. Die Initiative befreit nämlich deutschlandweit Menschen aus dem Gefängnis, die wegen Fahrens ohne Fahrschein hinter Gittern sind. Sie haben bisher 305 Personen freigekauft, 24 051 Hafttage aufgelöst und dem Staat damit 3,6 Millionen Euro erspart, die die Inhaftierung der Menschen noch gekostet hätte. Vielen Dank an euch an dieser Stelle!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ersatzfreiheitsstrafen sind nämlich nicht nur ungerecht, nein, sie sind auch noch teuer für die Steuerzahler/-innen. Wenn wir den § 265a streichen, dann sorgen wir nicht nur für eine enorme Entlastung bei den Gerichten, sondern auch in den Justizanstalten. Außerdem würde man einen Paragrafen, den die Nazis 1935 aus sozialdarwinistischen Gründen eingeführt haben, aus dem StGB entfernen. Dafür ist es wirklich höchste Zeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Um die Ungleichbehandlung im Recht zu verringern, braucht es natürlich mehr als das; das ist klar. Es braucht auch eine gut ausgestattete Justiz. Der Personaletat im Haushaltsplan sollte daher noch viel deutlicher aufgestockt werden, und es sollte in jedem Strafverfahren Pflichtverteidiger/-innen für alle geben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)