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Ankündigungen und schöne Worte reichen nicht aus, Herr Scholz!

Rede von Amira Mohamed Ali,

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Scholz, in Ihrer Rede fanden Sie wieder Worte des Dankes für die Pflegerinnen und Pfleger; auch Ankündigungen hat man wieder gehört. Das kennen die Pflegerinnen und Pfleger bereits zur Genüge aus Ihrer Zeit als Vizekanzler. Ankündigungen reichen nicht aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben einen Pflegebonus versprochen. Er soll erst im nächsten Jahr kommen. Dabei haben wir letzte Woche hier beantragt, dass er sofort kommen soll, und zwar für alle. Sie haben das abgelehnt. Außer der Linken hat keine Fraktion in diesem Hause unserem Antrag zugestimmt. Ich muss sagen: Ich finde das unglaublich.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Begründung ist, Sie bräuchten noch Zeit, um genau zu klären, wer den Pflegebonus bekommen soll und wer eben nicht. Mit anderen Worten: Sie wollen gerade nicht alle Pflegerinnen und Pfleger bedenken. Da frage ich Sie: Warum denn nicht? Wir wissen doch, dass im gesamten Gesundheitswesen die Pflegerinnen und Pfleger seit Jahren an der Belastungsgrenze arbeiten. Und hier können Sie nicht einfach mal sagen: „Alle bekommen etwas“? Wissen Sie: Diese Aufmerksamkeit, diese Genauigkeit wünsche ich mir in Zukunft mal, wenn es darum geht, Steuerschlupflöcher für Großkonzerne oder Multimillionäre zu stopfen, oder wenn es darum geht, Korruptionsskandale in der Politik aufzudecken.

(Beifall bei der LINKEN)

Kolleginnen und Kollegen, im Gesundheitsbereich muss sich wirklich grundlegend etwas ändern. Es ist längst Zeit, zu klotzen und nicht immer nur zu kleckern, Herr Scholz.

(Beifall bei der LINKEN)

Aktuell können rund 4 000 Intensivbetten weniger betreut werden als Anfang des Jahres. Und warum? Weil noch mehr Pflegerinnen und Pfleger ausgebrannt und ernüchtert ihren Beruf an den Nagel gehängt haben. Sie halten diese Zustände einfach nicht mehr aus. Pflegerinnen und Pfleger müssen doch jetzt aktiv für den Beruf zurückgewonnen werden! Unser konkreter Vorschlag lautet: 10 000 Euro Prämie für alle, die zurückkehren, und auch für alle, die geblieben sind. Das ist eine sinnvolle Maßnahme; das sollten Sie umsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem muss das Gesundheitssystem insgesamt endlich wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Das heißt allem voran: Schluss mit dem zerstörerischen Fallpauschalensystem!

(Beifall bei der LINKEN)

Denn was bedeutet das konkret? Überall da, wo jemand mehr Hilfe und Behandlung braucht als der Durchschnitt, müssen die Mehrkosten an anderer Stelle wieder hereingeholt werden. Ich kann es nicht anders sagen: Diese Logik, dass sich im Gesundheitswesen im Ergebnis alles rechnen muss, die ist einfach pervers.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Lauterbach – er ist heute nicht da –, Ihre medizinische Expertise in allen Ehren, aber Sie haben das damals mit eingeführt, als Sie die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt beraten haben. Sie haben dabei mitgemacht, als unser Gesundheitssystem auf Profit getrimmt wurde. Jetzt ist die Chance da. Lernen Sie aus diesen Fehlern! Im Gesundheitssystem darf es nur um eines gehen: um die Gesundheit der Menschen.

(Beifall bei der LINKEN)

Viele sind mit dem Coronamanagement unzufrieden. Wir erleben Chaos, schlechte Kommunikation. Was ist Ihr Plan? Herr Scholz, Sie haben gesagt: „Unsere Gesellschaft ist nicht gespalten.“ Das ist sie leider doch. Sie ist sozial gespalten; das müssen Sie doch endlich einmal sehen. Dass viele den letzten Rest Vertrauen in die Politik verlieren, müssen Sie auch sehen. Damit meine ich ausdrücklich nicht die Coronaleugner, die den Boden der Realität vollkommen verlassen haben, angeführt von Rechtsradikalen, mit Fackeln durch die Straßen laufen, Menschen bedrohen. Das ist völlig inakzeptabel. Hier ist jedes Verständnis fehl am Platz.

(Beifall bei der LINKEN)

Was ich meine, ist der Skandal, wie viele Menschen nach wie vor im Regen stehen gelassen werden: immer noch die Lehrerinnen und Lehrer, die Schülerinnen und Schüler, die Rentnerin, die es nicht schafft, einen Boostertermin zu ergattern, weil sie kein Internet hat. Wer sich heute impfen oder testen lassen möchte, steht tatsächlich vielerorts buchstäblich im Regen – in den langen Schlangen vor den Test- und Impfzentren. Das geht doch so nicht.

Ich meine auch die Gastronomie, den Einzelhandel, die Kulturschaffenden. Die müssen doch endlich ganz konkret wissen, wie es für sie weitergehen soll. Hier braucht es endlich Sicherheit und Planungssicherheit. Auch hier: Ankündigungen, blumige Versprechen. Das können die Leute nicht mehr hören. Wir brauchen konkrete Lösungen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die braucht es auch für das Problem, dass seit geraumer Zeit praktisch alles teurer wird: Lebensmittel, Energie, Miete. Bloß die Löhne, die steigen nicht entsprechend. Ihre Antwort darauf ist der höhere Mindestlohn von 12 Euro. Höherer Mindestlohn ist gut, aber das reicht doch nicht. Was sagen Sie denn zum Beispiel der Paketbotin mit 13 Euro Stundenlohn, aber ohne Tarifvertrag? Wir wissen, dass unsichere, schlecht bezahlte Arbeit direkt in die Altersarmut führt. Sie werben mit stabilen Renten, ja gut. Aber dagegen, dass vielen Menschen in diesem Land die Rente eben nicht zum Leben reicht, dass sie viel zu niedrig ist und vielen die Altersarmut droht, tun Sie nämlich leider nichts. Es gibt kein Konzept gegen niedrige Renten. Das geht so nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch ein Mietenstopp ist nicht vorgesehen, und das erpresserische Hartz-IV-System, durch das die Betroffenen seit Jahren an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, soll im Ergebnis bleiben. Es bekommt einen schöneren Namen. Aber diese Scharade machen wir nicht mit, Kolleginnen und Kollegen. Das möchte ich einmal ganz klar sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die steigenden Energiekosten sind für immer mehr Menschen ein ernsthaftes Problem; das müssen Sie doch bitte endlich sehen. Was wir brauchen, ist ein sofortiger Preisstopp der Energiekosten für Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich bin sofort dabei, wenn es heißt, dass Konzerne, die viel Energie verbrauchen, durch klare Regelungen dazu gezwungen werden, ihren Verbrauch zu reduzieren; das ist sehr sinnvoll. Aber Ihre Energiepolitik führt dazu, dass sich immer mehr Menschen ernsthafte Sorgen darüber machen müssen, über die Feiertage in dunklen, kalten Wohnungen zu sitzen. Das geht doch so nicht!

(Beifall bei der LINKEN)

Insgesamt geht es nicht, dass das normale Leben immer teurer und teurer wird, besonders wenn die Löhne nicht entsprechend steigen.

Außerdem: Völlig inakzeptabel ist, dass das, was alle drei Ampelparteien noch im Wahlkampf versprochen haben, eben nicht kommen soll, nämlich dass kleine und mittlere Einkommen endlich steuerlich entlastet werden; davon ist keine Rede mehr. Liebe Grüne, liebe SPD, von Ihren Wahlkampfversprechen, dass endlich die Multimillionäre und Milliardäre steuerlich zur Kasse gebeten werden sollen, auch davon hört man leider nichts mehr. Herr Scholz, wenn Ihre sogenannte gerechte Steuerpolitik ein Buch wäre, dann wäre es ein Buch mit leeren Seiten, aber mit einem zufrieden lachenden Christian Lindner vorne drauf.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Außenpolitik. Wie Deutschland hier agiert, ist von großer internationaler Bedeutung. Wir erleben momentan Konflikte innerhalb Europas. Insbesondere der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine macht uns große Sorgen. Doch statt mäßigender Töne und Bemühungen um Verhandlungen hört man aus Ihrem Außenministerium vor allem verschärfende Töne. Was unser Land außenpolitisch braucht, ist aber eine Politik, die wieder konsequent den Dialog und die Entspannung ins Zentrum setzt, eine Außenpolitik im Sinne von Willy Brandt, nicht im Geiste von Joschka Fischer.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn es Ihnen mit der Frage der Menschenrechte und der Pressefreiheit wirklich ernst ist, dann zeigen Sie das bitte im Fall des Journalisten Julian Assange. Sie wissen, ihm droht die Auslieferung aus Großbritannien in die USA, wo ihn eine lebenslange Haft erwartet, weil er Kriegsverbrechen des US-Militärs im Irak und in Afghanistan öffentlich gemacht hat. Mitglieder Ihrer Regierung haben noch vor Kurzem den Appell für seine sofortige Freilassung unterzeichnet. Darum fordere ich Sie auf: Geben Sie Julian Assange politisches Asyl in Deutschland!

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)