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Skandal: Keine 300€ Energiepauschale für Rentner, für Minister aber schon!

Rede von Amira Mohamed Ali,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! 38 Prozent der Menschen in Deutschland fällt es zunehmend schwer, die Dinge des täglichen Bedarfs zu bezahlen, man kann nicht mehr von einer Minderheit sprechen. Das sagte Anja Kohl vorgestern in der Sendung „Börse vor acht“.

Butter kostet inzwischen über 3 Euro, Sonnenblumenöl 5 Euro, Milch im Discounter schon 1,20 Euro. Frisches Obst und Gemüse werden zunehmend zum Luxusgut. „Eine solche Preissteigerung habe ich seit langer Zeit nicht mehr erlebt“, das sagte mir neulich eine 93‑jährige Dame aus meinem Wahlkreis. Zum Glück fahre sie kein Auto mehr, sagte sie; die Spritpreise heute könnte sie mit ihrer kleinen Rente nicht bezahlen. Das 9‑Euro-Ticket hält sie für eine gute Idee. Aber dort, wo sie wohnt, da fährt fast kein Bus. Und, nichts für ungut: Wenn man sich das Chaos bei der Umsetzung mal anschaut, dann könnte man meinen, Andi Scheuer sei noch im Amt.

(Beifall bei der LINKEN)

Von den 300 Euro Energiepauschale wird sie als Rentnerin auch nichts sehen – anders übrigens als die Ministerinnen und Minister der Bundesregierung. Auch Sie, Herr Scholz, bekommen die Energiepauschale – die alte Dame nicht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unglaublich!)

Wie abgehoben kann man eigentlich sein! Das ist doch wirklich ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Und da wundern Sie sich, dass viele Leute nicht mehr zur Wahl gehen? Weil sie das Vertrauen in Politik verloren haben. Solche Gesetze treiben die Spaltung der Gesellschaft voran, Herr Scholz; das müssen doch auch Sie inzwischen mal merken.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben seit über zwei Jahren mit den Auswirkungen der Coronapandemie zu kämpfen. Viele Menschen sind ausgelaugt. Die Bundesregierung hat immer noch keinen Plan. Herr Lauterbach fürchtet ja, dass im Herbst die Infektionszahlen wieder nach oben gehen könnten. Sind wir darauf eigentlich vorbereitet? Gibt es inzwischen zum Beispiel genug Personal in den Krankenhäusern? Ich werde es Ihnen sagen: Nein – woher soll es auch kommen! Sie haben nichts, aber auch gar nichts an den schlechten Arbeitsbedingungen der Pflegerinnen und Pfleger verbessert. Nicht mal den Pflegebonus haben alle bekommen. Aber von nichts kommt nun mal nichts, Herr Lauterbach.

(Beifall bei der LINKEN)

Viele Menschen blicken mit großer Sorge in die Zukunft. So unsicher wie jetzt war das Leben hierzulande lange nicht mehr.

Zwei Flugstunden von uns entfernt tobt Putins Krieg in der Ukraine. Seit über drei Monaten sterben dort Tag für Tag Menschen. Tausende sind auf der Flucht. Die weitere Entwicklung und auch die Auswirkungen sind vollkommen ungewiss.

Außerdem geht der Klimawandel weitgehend ungebremst voran. Auch er befördert die soziale Spaltung hierzulande und in der Welt. Fakt ist: Diese Bundesregierung gibt keine sozialen Antworten auf die Krisen unserer Zeit, und das geht so nicht, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Beginnen wir mit den steigenden Lebenshaltungskosten. Hier braucht es dringend eine wirksame staatliche Preisaufsicht für Lebensmittel und Energie, damit Schluss ist mit den Mondpreisen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es braucht Direktzahlungen, die die realen Preissteigerungen auch wirklich abfedern.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es braucht einen Schutzschirm für betroffene Unternehmen und Beschäftigte, gerade im Hinblick auf das bevorstehende Ölembargo, das die Lage ja deutlich verschärfen wird. Es braucht eine echte Offensive zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, besonders in Ballungsgebieten; denn Wohnraum darf kein Luxus sein. Das ist ein Menschenrecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Und ja, wir brauchen entschlossene Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel. Aber dafür muss man auch bereit sein, in Klimaschutz zu investieren, in die notwendige Transformation, vor allem in die Dekarbonisierung der Wirtschaft, in erneuerbare Energien zu investieren.

All das muss aber auch einhergehen mit klaren Perspektiven und einer Sicherung von Arbeitsplätzen. Klimaschutz kann nur gelingen, wenn er sozial gerecht ist; das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber was macht stattdessen die Bundesregierung? Für keines der aufgezeigten Probleme sind im Haushalt auch nur ansatzweise genügend Mittel eingestellt. Im Bereich „sozialer Wohnungsbau“ wissen Sie ja nicht mal, wie viel Mittel Sie einstellen müssten, um Ihre Zahl von 100 000 Sozialwohnungen pro Jahr zu erreichen; das hat eine Anfrage meiner Kollegin Caren Lay aufgedeckt. Das ist doch wirklich ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die explodierenden Energiekosten gibt es löchrige Entlastungspäckchen – die realen Mehrkosten werden nicht mal im Ansatz ausgeglichen. Einmalig bis zu 300 Euro! Das ist lächerlich. Studierende sowie Rentnerinnen und Rentner gehen, wie gesagt, komplett leer aus. Das ist einfach unerhört!

Hubertus Heil will jetzt mit einem sozial gestaffelten Klimageld nachbessern. Schön! Aber davon müssen Sie, Herr Heil, erst mal Ihr eigenes Kabinett überzeugen; da kommt ja jetzt schon eine Menge Gegenwind. Und selbst wenn das kommen sollte, dann frühestens Anfang nächsten Jahres. In welcher Höhe? Keiner weiß es. Das ist doch wirklich absurd, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei all dem fragt man sich doch zu Recht: Für wen machen Sie eigentlich Politik, meine Damen und Herren von der Ampel? Für die 38 Prozent der Menschen in unserem Land, die kaum noch über die Runden kommen, sicher nicht.

Aber es gibt durchaus Leute, die von Ihrer Politik profitieren. Die Aktionäre von Energiekonzernen zum Beispiel freuen sich gerade über Rekordgewinne. Der Ölmulti Shell hat gerade verkündet, dass seine Gewinne um 43 Prozent gestiegen sind. Man könnte diese krassen Krisengewinne steuerlich abschöpfen. Das macht Italien zum Beispiel. Wir haben das als Linke hier mehrfach eingebracht. Mit diesen steuerlichen Mehreinnahmen könnte man die Menschen entlasten. Aber das scheint für Sie unvorstellbar. Ich finde das unglaublich.

(Beifall bei der LINKEN)

Wissen Sie, alle Superreichen in Deutschland können sich darauf verlassen, dass diese Bundesregierung ihnen unter keinen Umständen an das prall gefüllte Bankkonto geht, und zwar egal, wie groß die Not ist. Denn wo ist sie, die Vermögensteuer, liebe SPD, liebe Grüne? Im Wahlkampf waren Sie doch noch voll dafür, da haben Sie noch verstanden, dass zum Beispiel der Lidl-Chef Schwarz, dessen Vermögen in einem Jahr um sage und schreibe 16 Milliarden Euro gestiegen ist, selbstverständlich einen angemessenen Anteil davon fürs Gemeinwohl zurückführen müsste. Aber seit Sie in der Regierung sind, kein Wort mehr von einer Vermögensteuer!

Und bei wem knallen in diesen Wochen die Sektkorken so richtig? Genau: bei den Aktionären der Rüstungskonzerne; weil Sie an diesem Freitag allen Ernstes unser Grundgesetz ändern wollen, um ein 100 Milliarden schweres Aufrüstungsprogramm hineinzuschreiben. Seit der bloßen Ankündigung dieses Aufrüstungsprogramms ist der Aktienkurs von Rheinmetall bereits um 100 Prozent gestiegen. Merken Sie was? 100 Milliarden Euro für Rüstung!

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Und das, obwohl der Wehretat bereits heute bei 50 Milliarden Euro pro Jahr liegt. Er ist Jahr für Jahr gestiegen. Es ist einfach falsch, zu behaupten, dass da abgewirtschaftet wurde. Jahr für Jahr ist er angestiegen. Trotzdem behaupten Sie, die 100 Milliarden wären notwendig, um die Bundeswehr fitzumachen. Um es mal klar zu sagen: Natürlich muss die Bundeswehr in der Lage sein, ihren grundgesetzlichen Auftrag – die Landesverteidigung – zu erfüllen. Aber dass sie das heute nicht kann, das liegt nicht an zu wenig Geld. Auch der Bundesrechnungshof sagt, man müsse klären, ob nicht andere Gründe ursächlich sind für die mangelnde Einsatzbereitschaft, zum Beispiel strukturelle Defizite

(Beifall bei der LINKEN)

bei der Organisation der Bundeswehr. Wir wissen doch, dass es ein eklatantes Missmanagement gibt, und das ist auch der Grund für die Probleme, nicht zu wenig Geld. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Um es ganz klar zu sagen: Dieses Sondervermögen ist gegenüber den Millionen Menschen in unserem Land, die existenzielle Sorgen und Nöte haben, einfach eine Unverschämtheit; ich kann das nicht glauben.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber auch friedenspolitisch ist es verheerend. Eine Aufrüstungsspirale macht die Welt nicht friedlicher – das wissen wir doch –, das Gegenteil ist der Fall. Dass die Union und die FDP mit so einer Politik keine Probleme haben, ist keine Überraschung. Aber, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie kommen aus der Tradition von Willy Brandt. Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie kommen doch aus der Friedensbewegung.

(Bruno Hönel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie damit insinuieren?)

100 Milliarden Euro für Aufrüstung ins Grundgesetz schreiben, das ist doch Irrsinn. Machen Sie da doch nicht mit!

(Beifall bei der LINKEN)

Übrigens – das möchte ich auch einmal sagen –: Gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete zu sein, insbesondere gegen die Lieferung schwerer Waffen, das hat nichts mit Pazifismus zu tun – wie Herr Habeck das hier vor Kurzem einmal dargestellt hat –, es hat etwas mit Vernunft zu tun. Russland ist die größte Atommacht der Welt. Mit militärischen Mitteln ist dieser Krieg nicht zu gewinnen. Es braucht Deeskalation, es braucht Diplomatie, es braucht wirksame Sanktionen gegen die russische Führung,

(Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

gegen die mächtigen Oligarchen, damit der Krieg möglichst schnell endet. Da sind die Mittel längst noch nicht ausgeschöpft, und das wissen Sie auch.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Bruno Hönel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Ja, ich weiß, das hören Sie ungern; es ist aber die Wahrheit.

Herr Lindner, Sie haben versprochen, unter Ihnen als Finanzminister werde es keine neuen Schulden geben. Was Sie hier aber irreführend als „Sondervermögen“ bezeichnen, ist in Wirklichkeit nichts anderes, es sind neue Schulden, plötzlich geht das.

Für alles andere soll aber ab 2023 die Schuldenbremse wieder gelten, diese Schuldenbremse, wegen der es seit Jahren immer wieder heißt, es sei kein Geld da, die Schuldenbremse, wegen der Städte und Gemeinden immer öfter Schwierigkeiten haben, öffentliche Schwimmbäder, Bibliotheken, Jugendklubs oder sogar Frauenhäuser offenzuhalten, die Schuldenbremse, wegen der es bei Straßen, Brücken und Schienennetz einen verheerenden Investitionsstau gibt – von schnellem Internet will ich gar nicht anfangen.

Herr Lindner sagt: „Wir müssen an unsere Kinder und Enkel denken“; deshalb bräuchte es die Schuldenbremse.

(Bruno Hönel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt Ihr Ostbeauftragter?)

Aber das ist volkswirtschaftlich leider völliger Unsinn; denn selbst die sprichwörtliche schwäbische Hausfrau, die Angela Merkel damals als Kronzeugin für die Einführung der Schuldenbremse bemüht hat, als Sinnbild für eine ordentlich wirtschaftende Person, würde einen Kredit aufnehmen, um ihr kaputtes Dach zu sanieren, statt es einfach reinregnen zu lassen, insbesondere in Nullzinszeiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, wir müssen an unsere Kinder und Enkel denken. Deshalb dürfen wir ihnen kein verfallendes Haus hinterlassen. Das ist doch die Wahrheit, Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen Investitionen für unsere Zukunft, zum Beispiel für den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien. Herr Habeck, meinten Sie das eigentlich mit „progressiver Politik“, wenn für Aufrüstung 100 Milliarden Euro bereitgestellt werden, die Investitionen in erneuerbare Energien aber unter dem Vorbehalt der Schuldenbremse stehen oder wenn Sie Ihre Umweltziele einfach aufgeben und sich für Fracking-Gasterminals einsetzen oder wenn Sie zulassen, dass das Weltnaturerbe Wattenmeer durch Gasbohrungen gefährdet wird? Wie erklären Sie das eigentlich Ihren Wählerinnen und Wählern? Das ist mir ein Rätsel.

Ich denke, es ist klar geworden, warum wir diesem Haushalt nicht zustimmen können. Er ist nicht sozial und zutiefst ungerecht, und dazu können wir als Linke niemals Ja sagen.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])