UN-Sonderberichterstatter Muñoz hat im Deutschland-Report deutlich auf auf den Zusammenhang zwischen dem Zugang zu Bildung und der sozialen Herkunft verwiesen. Wenn Kinder in Armut aufwachsen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie in ihrer Schullaufbahn Benachteiligungen erfahren. Zu den Betroffenen gehören zu einem erheblichen Teil Migrantinnen und Migranten. Vor allem aber Flüchtlingskinder. Diese leben oft unter prekären sozialen Bedingungen.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrten Damen und Herren! Heute vor einem Jahr haben sich die Lehrerinnen und Lehrer der Rütli-Schule an die Politik gewandt und um Hilfe gebeten. Heute ist an der Rütli-Schule Tag der offenen Tür. Man hatte die Gelegenheit, sich einen Überblick zu verschaffen über die schulischen und außerschulischen Aktivitäten, die an der Rütli-Schule angeboten werden. Man konnte sich einen direkten Einblick verschaffen.Die Rütli-Schule wurde letztes Jahr zum Synonym für das bildungspolitische Auslaufmodell in Deutschland: das dreigliedrige Schulsystem.
(Beifall bei der LINKEN)
Es hat uns eindringlich gezeigt, wozu Perspektivlosigkeit und Armut führen können. Ich weiß, wovon ich rede. Ich wohne nur ein paar Straßen von der Rütli-Schule entfernt.
Ich will Ihnen eines sagen, meine Damen und Herren, vor allem Ihnen, Frau Ministerin:
(Ilse Aigner (CDU/CSU): Wer regiert denn in Berlin?)
Ich kann, will und werde mich nicht damit abfinden, dass wir in einem Land leben, in dem Zehnjährige bereits alle ihre Träume aufgegeben haben, weil sie wissen, dass aus Hauptschülern in diesem Lande nichts wird.
(Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): In Berlin?)
Das kann nicht unser bildungspolitischer Ansatz sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Recht auf Bildung ist nicht nur ein eigenständiges Menschenrecht, sondern auch ein zentrales Instrument, um andere Menschenrechte wahrnehmen zu können.
(Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Wie heißt der Kultusminister in Berlin?)
Umso kritikwürdiger ist es, wenn bestimmten Menschen dieses Recht teilweise oder ganz vorenthalten wird. Insbesondere auf diesen Zusammenhang hat auch Herr Muñoz in seinem Deutschland-Report deutlich hingewiesen. Wenn Kinder in Armut aufwachsen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie in ihrer Schullaufbahn Benachteiligungen erfahren. Umgekehrt mindert eine geringe Bildung die Chancen der Menschen, an der Gesellschaft zu partizipieren.
(Jörg Tauss (SPD): Das ist völlig richtig!)
Zu den Betroffenen zählen in unserer Gesellschaft auch die Kinder der Migrantinnen und Migranten, vor allem die Kinder der Flüchtlinge. Sie leben in prekären sozialen und ökonomischen Verhältnissen.
Weil Sie das immer wieder zu leugnen versuchen, möchte ich zur Illustration auf Folgendes hinweisen: Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund, die vorzeitig eingeschult werden, ist um etwa ein Drittel geringer, als es bei deutschen Kindern der Fall ist. Dagegen ist die Zahl der Zurückstellungen bei diesen Kindern etwa doppelt so hoch wie bei deutschen Kindern. Es machen doppelt so viele von ihnen keinen Schulabschluss, und es gehen doppelt so viele von ihnen auf die Hauptschule. Das hat auch Auswirkungen darauf, wie viele von ihnen die Fachhochschul- oder Hochschulreife erlangen, ob sie eine Berufsausbildung machen und wie das spätere Erwerbsleben verläuft.
(Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Wer regiert denn in Berlin?)
Ich möchte klarstellen: Die Linke teilt die Auffassung von Herrn Muñoz, dass es sich dabei nicht um ein ethnisches Problem handelt, sondern um ein soziales Problem. Begreifen Sie das endlich!
(Beifall bei der LINKEN Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Sagen Sie den Menschen doch mal, wer in Berlin regiert!)
Dass dem so ist, das wird an den eklatanten Unterschieden im Hinblick auf die Lesekompetenz der Schüler deutlich.
(Zuruf des Abg. Jörg Tauss (SPD))
Ich möchte Ihnen eines sagen, Herr Tauss: Wenn Sie darauf verweisen, dass Sie das schon seit PISA I und PISA II wissen, und wenn Ihnen jetzt auch der Muñoz-Bericht bekannt ist, dann muss ich Sie darauf aufmerksam machen,
(Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Wer ist denn in Berlin Bildungssenator?)
was Brecht in „Das Leben des Galilei“ geschrieben hat: Wer die Wahrheit nicht weiß, ist ein Dummkopf, aber wer die Wahrheit kennt und sie einfach verleugnet, ist ein Verbrecher.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte Sie auffordern, diese Wahrheiten endlich anzuerkennen und Konzepte zu entwickeln.
(Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Wie heißt denn der Senator? Sagen Sie das doch mal! Jörg Tauss (SPD): Es gibt bereits Ganztagsschulen und Ähnliches!)
Selbstverständlich sind auch wir für die Ganztagsschule und für die Einführung eines Rechtsanspruchs auf kostenlose Kita- und Kindergartenplätze, und das nicht erst seit letztem Jahr.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Macht es doch in Berlin! Das ist doch verlogen, sich hier hinzustellen und so etwas von sich zu geben!)
Machen Sie uns das erst einmal nach.
Ich möchte mit Blick auf unsere lieben Zuschauerinnen und Zuschauer sagen, dass man, wenn man sich die Liste der Rednerinnen und Redner ansieht, auf eine Unart aufmerksam wird: Herr Staatssekretär Andreas Storm ist anwesend, hat seine Rede aber zu Protokoll gegeben. Herr Jörg Tauss von der SPD ist anwesend, hat seine Rede aber auch zu Protokoll gegeben. Gleiches gilt für Herrn Swen Schulz. Wenn Sie hier im Parlament anwesend sind und an dieser Debatte teilnehmen können, dann sollten Sie auch mit uns über den überaus wichtigen Bericht von Herrn Muñoz debattieren.
(Dr. Claudia Winterstein (FDP): Wer hat seine Rede denn zuerst zu Protokoll gegeben? Sagen Sie das doch auch einmal, Frau Kollegin!)
Sehr geehrte Damen und Herren, es sind nicht nur die Kinder der Migrantinnen und Migranten, deren Menschenrecht auf Bildung in Deutschland beschnitten wird. Das selektive Bildungssystem der Bundesrepublik grenzt auch Menschen mit Behinderungen aus. Herr Muñoz hat am 19. Februar 2007 einen gesonderten Bericht zur Situation der Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen vorgelegt. Vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf forderte er die deutsche Politik auf, endlich die Probleme der Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen und des Abschiebens dieser Kinder und Jugendlichen in Sonderschulen aufzugreifen und geeignete Schritte zu unternehmen, um gerechte und gleiche Lernbedingungen zu schaffen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Um für alle Kinder und Jugendlichen einen diskriminierungsfreien Zugang zu Bildung sicherzustellen, bedarf es eines Bildungssystems, das an den individuellen Bildungsbedürfnissen anknüpft.
(Ilse Aigner (CDU/CSU): Jetzt wissen wir aber immer noch nicht, wer in Berlin regiert! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Dann fangt doch in Berlin damit an!)
Eine Abschiebung und Aussonderung der Kinder von Migrantinnen und Migranten in Sonderschulen aufgrund fehlender bzw. mangelhafter Sprachkenntnisse ist nicht hinnehmbar. Ebenso ist es nicht hinnehmbar, dass Kinder mit motorischen Behinderungen allein deshalb, weil die entsprechenden Vorrichtungen fehlen, abgeschoben und ausgegrenzt werden.
(Beifall bei der LINKEN Michael Kretschmer (CDU/CSU): Die Redezeit ist zu Ende, Frau Präsidentin!)
Ziel muss ein Bildungssystem sein, das die Individualität und die unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder zum Ausgangspunkt der Pädagogik macht und ihre individuelle Förderung damit verbindet, dass mit- und voneinander gelernt wird.
Abschließend möchte ich noch kurz anmerken
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das geht wirklich nicht mehr, Kollegin Dağdelen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist kein Grund für Beifallsbekundungen, sondern schlicht der Geschäftsordnung und der Verabredung zwischen den Fraktionen geschuldet.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Danke.
(Beifall bei der LINKEN)