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Opfer von Zwangsverheiratungen nicht instrumentalisieren, sondern schützen

Rede von Sevim Dagdelen,

Zwangsverheiratung stellt ein Höchstmaß an Gewalt dar. Das immer wieder deutlich zu machen, darf aber kein Selbstzweck sein. Leider ist diese Debatte symptomatisch dafür, wie zumeist über Integrationspolitik debattiert wird, nämlich weitgehend losgelöst von gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen. Deshalb fordert die Linke aufenthaltsrechtliche Verbesserungen und die Schaffung angemessener Hilfsangebote für die Betroffenen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle sind uns in diesem Hohen Hause einig: Zwangsverheiratung stellt ein Höchstmaß an Gewalt dar. Das immer wieder deutlich zu machen, darf aber kein Selbstzweck sein. Leider ist diese Debatte symptomatisch dafür, wie zumeist über Integrationspolitik debattiert wird, nämlich weitgehend losgelöst von gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen. Dabei ist die sozioökonomische Lage der entscheidende Grund für Zwangsverheiratungen. Das sieht selbst die Bundesregierung so. Die Ursachen von Zwangsverheiratung einseitig als ethnisch, religiös oder kulturell zu erklären, hält sie ebenfalls für falsch, nachzulesen in der gestrigen Antwort auf die kleine Anfrage meiner Fraktion zu diesem Thema.
Leider ist die Debatte aber gerade vonseiten der Union nicht so differenziert geführt, dafür aber umso mehr instrumentalisiert worden. Es handelt sich um ein Manöver zur Ablenkung vom integrations- und sozialpolitischen Versagen der bisherigen Bundesregierungen.
(Beifall bei der LINKEN)
Zwangsheirat wurde als ein Grund mehr genutzt, um besonders muslimische Migrantinnen und Migranten verallgemeinernd als rückschrittlich oder minderwertig zu stigmatisieren. Bei vielen haben die einseitigen Schuldzuweisungen eher eine Abwehrhaltung ausgelöst. Der Aufklärungs- und Präventionsarbeit ist somit ein Bärendienst erwiesen worden, vor allem aber auch den betroffenen Frauen.
Gerade jene, die seit Jahren in diesem Haus Gleichstellungsmaßnahmen konsequent verhindern, machen sich plötzlich Sorgen um Frauenrechte. Die Notlagen von Frauen werden instrumentalisiert und funktionalisiert. So begrenzt die Bundesregierung den Ehegattennachzug. Sie versteht das natürlich vor allem als präventive Maßnahme zur Verhinderung von Zwangsverheiratungen. Dabei spricht sie noch von präventiver Integration. Das vorgegebene Motiv ist aber mehr als scheinheilig; denn mit dieser Maßnahme wird kein einziger Fall von Zwangsverheiratung verhindert. Was hier als Opferschutz getarnt wird, zielt ganz einfach auf die Verhinderung von Einwanderung. Ihr Wunsch scheint sich zu erfüllen. Wie der Antwort auf meine schriftliche Frage zu entnehmen ist, ging der Ehegattennachzug infolge der Neuregelungen insgesamt um 40 Prozent und aus der Türkei um mehr als zwei Drittel genau 67,5 Prozent zurück. Selbst die Bundesregierung macht in ihrer Antwort klar, dass das sehr wohl mit dem EU-Richtlinienumsetzungsgesetz vom Sommer letzten Jahres zu tun hat. Das zeigt: Ihnen geht es nicht um den Schutz von Frauen.
(Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Unverschämt, was Sie hier sagen!)
Faktisch kann das Gesetz jetzt nämlich bei bestimmten Konstellationen sogar dazu führen, dass sich die Lage dieser Frauen noch verschärft. So könnten sie sich genötigt sehen, schnellstmöglich ein Kind zu gebären. Nach der Geburt können sie als Mutter eines deutschen Kindes auch ohne Sprachtest hier einreisen.
Zwangsweise verheiratete Frauen müssen vor den Konsequenzen einer Scheidung geschützt werden. Das haben wir immer wieder gesagt. Unter den Fraktionen besteht auch weitgehend Einigkeit, abgesehenen von der CDU/CSU-Fraktion, dass aufenthaltsrechtliche Verbesserungen für Betroffene notwendig sind. Das haben alle Sachverständigen bei der Anhörung im Juni 2006 gesagt. Allerdings ist sich die SPD leider auch beim Thema Zwangsverheiratungen treu geblieben. Erst stimmt sie den aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen im Richtlinienumsetzungsgesetz zu, im Nachhinein fordert sie dann auf ihrem Hamburger Parteitag im Oktober 2007 aufenthaltsrechtliche Verbesserungen. Eine klare Linie bei der SPD wie immer.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Aber der Handlungsbedarf liegt klar auf der Hand. Die Sachverständigen sind sich einig. Wir brauchen starke, vor allen Dingen aber gestärkte Frauen. Deshalb fordert die Linke aufenthaltsrechtliche Verbesserungen und die Schaffung angemessener Hilfsangebote. Die Betroffenen und auch die Bedrohten müssen aus ihrer Zwangsehe ausbrechen oder sich dem Willen ihrer Familie verweigern können. Opfer von Zwangsverheiratung müssen die Möglichkeit haben, als Nebenklägerin aufzutreten; denn dann könnten sie auch aktiv am Prozess teilnehmen. Sie würden über besondere Verfahrensrechte verfügen. Zudem müsste es doch allgemein einleuchten, wie notwendig zum Beispiel die Anonymisierung der Adresse der Betroffenen ist. Wir haben in unserem Antrag Vorschläge zu den Verfahrensregelungen gemacht.
Wer Frauen schützen will, darf Schutzregelungen nicht vom Aufenthaltsstatus abhängig machen, wie das im Moment der Fall ist. Deshalb müssen diese auch für Frauen ohne gesicherten Aufenthaltstitel gelten. Für den Schritt aus Unterdrückung und Abhängigkeit brauchen diese Frauen Ermutigung und Rechtssicherheit.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Dafür müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ich möchte an die Bundesregierung appellieren. Wir haben im Dezember 2005 diese Debatte zum ersten Mal geführt. Seit dieser Zeit bin ich Mitglied dieses Hauses. Jetzt haben wir Februar 2008. Nichts ist geschehen, außer einer Verschlechterung der Lage der betroffenen und bedrohten Frauen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, Sie müssen bitte dringend zum Ende kommen.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Ich fordere Sie auf: Lassen Sie endlich den Sachverstand entscheiden! Hören Sie auf die Sachverständigen und die Vertreter der Beratungsprojekte, die seit Jahren in diesem Bereich arbeiten!
Danke sehr.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))