Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder ist ein Jahr um. Gestern ist wieder ein Internationaler Tag gegen Rassismus vorübergegangen. Wieder ist eine Aktionswoche gegen Rassismus so gut wie vorüber. Wieder bleibt die Kritik an der Bundesregierung bestehen leider; ich wünschte es wäre nicht so.
Auf der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus 2001 in Afrika, in Durban, hatte sich die damalige rot-grüne Bundesregierung, die ja so antirassistisch war, verpflichtet, bis Ende 2003 unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft einen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus zu verabschieden. Dies ist bis heute, bis 2007, nicht geschehen. Wie schon im letzten Jahr steht also der Vorwurf, dass die Koalition nichts Substanzielles im Kampf gegen Rassismus zu bieten hat.
(Werner Dreibus (DIE LINKE): Hört! Hört!)
Der britische Soziologe und Begründer der Cultural Studies, Stuart Hall, sagte einmal:
Wenn man in einer Gesellschaft ohne antirassistische Politik lebt, ist man dazu verurteilt, in einer rassistischen Gesellschaft zu leben ...
Lassen Sie uns einen Blick darauf werfen, in was für einer Gesellschaft wir leben. Täglich werden Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihres Aussehens bedroht, diskriminiert, tätlich angegriffen. Rassistische Übergriffe und Propaganda gehören zum Alltag dieser Republik. Doch das ist nicht alles: Unabhängige Stellen gehen von mehr als130 Todesopfern rassistischer Gewalt seit 1990 aus.
Laut dem Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer und laut einer Studie der Herren Brähler und Decker für die Friedrich-Ebert-Stiftung ist Rassismus ein gesamtgesellschaftliches Problem. Zwischen 30 und 40 Prozent der Gesellschaft stimmen ausländerfeindlichen Statements zu. 15 Prozent meinen, die Deutschen seien anderen Völkern von Natur aus überlegen. Noch 10 Prozent sind der Ansicht, dass es „wertes und unwertes Leben“ gibt. Für die Bundesregierung ist dies offensichtlich kein hinreichender Grund, die Bekämpfung des Rassismus zu einer Priorität ihrer Arbeit zu machen. Rassismus wird zu einem Randproblem gemacht. Doch, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie müssen endlich wissenschaftliche Analysen zur Kenntnis nehmen.
Brecht hat einmal in „Leben des Galilei“ treffend formuliert:
Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Wer die Wahrheit kennt und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich denke, dass in diesem Sinne der Umgang der Bundesregierung mit dem Thema Rassismus schlampig ist. Die Linke ist der Überzeugung, dass ein großer Teil der Ursachen des Rassismus in der Politik liegt, nicht, wie in der gestrigen Presseerklärung der deutschen Ratspräsidentschaft behauptet, in der Globalisierung und Entstehung multiethnischer Gesellschaften
Wir sehen die Ursachen in der gesellschaftlichen Ungleichverteilung sozialer Ressourcen und politischer Rechte, die gezielt und gewollt Menschen aus der Gesellschaft ausgrenzt und diskriminiert. Das sind die Ursachen! Bestes und jüngstes Beispiel dafür ich erwähne es hier noch einmal ist die sozialchauvinistisch geführte Debatte zum Bleiberecht. Ein weiteres Beispiel ist, wie Sie immer wieder Verschärfungen im Zuwanderungsrecht gegenüber der Öffentlichkeit begründen.
(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das hatten wir doch schon eben!)
Man kann es nicht oft genug sagen, Herr Grindel.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Umgang mit Flüchtlingen in der Bundesrepublik Deutschland, etwa im Aufnahmeverfahren, bei der sozialen Versorgung und im gesamten System der Abschiebepraxis ist ein Spiegelbild des gesellschaftlich weitverbreiteten und akzeptierten Rassismus. Sogenannte Ausreisezentren und Abschiebeknäste sind Ausdruck einer rassistischen Asyl- und Immigrationspolitik.
(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Jetzt ist aber mal gut!)
Eine Sondergesetzgebung für Flüchtlinge, zum Beispiel das Asylbewerberleistungsgesetz, legitimiert diskriminierende und rassistische Praktiken in diesem Land: Hindernisse und Ausschlussmechanismen, beispielsweise auf dem Wohnungsmarkt, auf dem Ausbildungsmarkt und am Arbeitsmarkt. Es ist zu hoffen, dass der nationale Aktionsplan gegen Rassismus dank unserer zwei Kleinen Anfragen, die wir im Herbst letzten Jahres gemacht haben, und dank unseres Antrag endlich umgesetzt wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Doch mehr als Lippenbekenntnisse erwarten wir nicht. Warum wurde es tunlichst vermieden, Nichtregierungsorganisationen einzubeziehen? Das Scheitern der Durban-Follow-Up-AG im Forum gegen Rassismus ist der Bundesregierung zuzuschieben. Für einen transparenten Prozess fehlten verbindliche Absprachen, meinten die Nichtregierungsorganisationen. Die einzelnen Schritte auf dem Weg zu einem Aktionsplan waren überhaupt nicht definiert. Gerade kleinen Organisationen fehlte die finanzielle Unterstützung für eine ehrenamtliche Arbeit, die sich über Jahre hinzog. Die Organisationen wurden mit Terminzusagen immer wieder hingehalten, ohne dass ein Entwurf vorgelegt wurde.
Ich muss an dieser Stelle sagen: Es war eine Dreistigkeit, auf die erste Kleine Anfrage zu diesem Thema zu antworten, dass die Durban-Follow-Up-AG arbeiten würde. Bei der zweiten Anfrage haben wir ganz nebenbei festgestellt, dass sie seit zwei Jahren überhaupt nicht existiert.
Hinsichtlich des Aktionsplans gegen Rassismus gehört Deutschland zu den Schlusslichtern in der EU. 15 Länder haben längst einen Aktionsplan vorgelegt. Darunter sind sehr viele Länder, die Sie vielleicht gar nicht einmal so toll finden, zum Beispiel Irland, Tschechien, Belgien und Zypern. Wir hinken hinterher.
Die Linke fordert in ihrem Antrag von der Regierung, dass sie die Verpflichtung zu einem Aktionsplan nicht weiter aussitzt. Unter anderem fordern wir auch, dass er vor der Verabschiedung im Parlament in die Öffentlichkeit getragen wird
(Zuruf von der CDU/CSU: Das Parlament ist die Öffentlichkeit!)
und dass zu diesem Thema eine Expertenanhörung stattfindet.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)

Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus mit Verbänden gemeinsam erstellen
Rede
von
Sevim Dagdelen,