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Moratorium für Stuttgart 21

Rede von Ulrich Maurer,

Sie müssen sich stattdessen einmal die Frage stellen, warum die Mehrheit der Bevölkerung meiner Heimatstadt dieses wunderbare Geschenk gar nicht haben will. Das würde Sie ernüchtern. Ich will Ihnen erklären, warum.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin von dieser Bildersprache, die ich jetzt gehört habe, wirklich ergriffen: schön, wunderbar, Zukunftsprojekt. Wenn ich das Wort von den blühenden Landschaften nicht schon einmal gehört hätte, dann wäre ich davon besonders ergriffen gewesen.


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Sie müssen sich stattdessen einmal die Frage stellen, warum die Mehrheit der Bevölkerung meiner Heimatstadt dieses wunderbare Geschenk gar nicht haben will. Das würde Sie ernüchtern. Ich will Ihnen erklären, warum.
Vor 17 Jahren, als es erdacht wurde, hatte die Vorstellung, den Siedlungsdruck von ökologischen Freiflächen weg aufs Bahngelände zu lenken, eine gewisse städtebauliche Faszination. Ich bin ihr auch eine Zeit lang erlegen und vom Saulus zum Paulus geworden.


(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh ja! Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt!)


Aber ja. Frau Kumpf, Sie sollten auch vom Saulus zum Paulus werden. Das wäre ganz schön und hätte Ihrer Partei in Stuttgart in den zurückliegenden Jahren sehr geholfen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben ihr aber nicht geholfen. Das ist aber nicht der Punkt.
Diesen Bahnhof schenken Sie einer Stadt, die ihn erheblich kofinanziert, die nach ihren eigenen Angaben einen Instandhaltungsrückstand bei ihren Schulgebäuden von 327 Millionen Euro hat, in der in einem Gymnasium die Decke eingefallen ist und die die Hauptstadt der Kurzarbeit ist. Ich sage Ihnen: Die Bevölkerung dieser Stadt ist mehrheitlich gegen dieses Projekt, weil sie andere Sorgen hat, als ein Milliardengrab mit schönen Dingen vor ihren Augen erblühen zu sehen.


(Beifall bei der LINKEN Zuruf von der CDU/CSU: Ganz falsch!)


Warum die Mehrheit des Gemeinderats Hunderte von Millionen Euro dafür ausgibt, während er gleichzeitig soziale und kulturelle Leistungen kürzt und, wie gesagt, noch nicht einmal in der Lage ist, seine Schulgebäude zu reparieren, versteht die Bevölkerung nicht, und wir verstehen das auch nicht.
Dieses Projekt wird auch keine Beglückung für den öffentlichen Verkehr werden, sondern es wird zu einer Benachteiligung kommen. Wenn Sie sich in unserem Land auskennen würden, dann würden Sie die Langsamfahrstellen kennen und wissen, wie sehr wir bei Projekten des öffentlichen Nahverkehrs zurückhängen. Sie würden dann wissen, dass dieses Bahnhofsprojekt zulasten des Ausbaus der Rheintalschiene gehen wird.
(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Das ist doch Quatsch!)
Sie würden dann auch wissen, dass dieses Projekt zulasten der Elektrifizierungsmaßnahmen in Baden-Württemberg und beispielsweise auch der Südbahn gehen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie können das Geld in diesen Zeiten nicht zweimal ausgeben. Sie haben auf dem Altar der Banken Milliarden Euro verbrannt, und wir stehen in der größten finanzpolitischen Misere. In einer solchen Situation geht es nicht darum, schöne Bahnhöfe zu bauen, sondern es geht darum, den realen schienengebundenen Personenverkehr und insbesondere den Nahverkehr zu verbessern. Das sind die Zeichen der Zeit, die Sie nicht erkannt haben.


(Beifall bei der LINKEN - Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Das ist rot-grüner Populismus!)


Es geht auch nicht, dass Sie die öffentlichen Kassen ausplündern, um ein Prestigeobjekt durchzusetzen und in einer Machtdemonstration Recht zu behalten. Schon gar nicht geht es, dass Sie die Bilanzen solcher Projekte frisieren. So, wie die Bilanz der Bahn für den Börsengang frisiert worden ist, wird auch dieses Projekt wunderbar rauf-, runter- und schöngerechnet,


(Patrick Döring (FDP): Straftatbestand!)


als ob wir nicht das Erlebnis gehabt hätten, dass der Leipziger Kopfbahnhof mittlerweile das Doppelte kostet, und als ob wir nicht mitbekommen hätten, dass ursprünglich einmal mit 4,9 Milliarden Euro gerechnet wurde, die sich in kurzer Zeit wunderbarerweise auf 4,1 Milliarden Euro zurückverwandelt haben. Das haben wir alle natürlich gemerkt, und das hat auch die Bevölkerung dieser Stadt gemerkt.
Deswegen sage ich Ihnen: Dies ist ein Projekt der Verschwendung öffentlicher Mittel in schwierigen Zeiten. Dies ist ein Projekt zulasten des schienengebundenen Verkehrs.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dies ist ein Prestigeprojekt, das gegen die Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt werden soll. Deswegen bin ich dafür, um in Ihrer Bildersprache zu bleiben, dass wir die Signale von Grün auf Rot stellen.


(Beifall bei der LINKEN - Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Bravo! Bravo! Bravo!)