Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor nunmehr zwölf Jahren hat die Bundesregierung eine Große Anfrage der SPD zum Zustand der Meere beantwortet. Die Antwort war schockierend: Die Ozeane waren vielerorts leergefischt. Im Zuge der Debatte über die EU Meeresstrategie-Richtlinie hat nun die Linke um Auskunft gebeten. Zunächst einmal herzlichen Dank an die Referentinnen und Referenten der beteiligten Ministerien für die sorgfältige Beantwortung. Was hat sich nun seit 1995 getan? Es gibt einige wenige positive Signale. So wird beispielsweise der Pazifiklachs bei Alaska gut bewirtschaftet. In einem vernünftigen Zustand befindet sich dort auch der Seelachs. Erholt hat sich zudem das Heringsvorkommen in Nord- und Ostsee. Dennoch ist die Bilanz der Eingriffe in die Meereswelt katastrophal. In den letzten 100 Jahren sind die Bestände vieler Fischarten um fast 90 Prozent zurückgegangen. Es ist schizophren: Während Millionen Tonnen wertvoller Meerestiere als Beifänge ungenutzt und tot über Bord gehen, sitzen Millionen von Küstenbewohnern in Afrika vor leeren Tellern. Die Trawler der Industriestaaten fischen ihnen die Meere leer, legal und illegal. Allein der illegale Fang weltweit wird auf einen Wert zwischen 4 und 9 Milliarden US-Dollar geschätzt. Illegal wird auch vor unserer Haustür gefischt. Im östlichen Teil der Ostsee befindet sich der Dorschbestand auf einem historischen Tiefstand, heißt es.
(Holger Ortel [SPD]: Falsch!)
Schätzungen zufolge werden bis zu 45 Prozent mehr Dorsche an Land gebracht, als es die offiziellen Zahlen hergeben.
(Holger Ortel [SPD]: Das ist richtig!)
Dennoch werden die Dorschfangquoten durch den EU-Fischereiministerrat seit Jahren deutlich höher angesetzt, als von Wissenschaftlern empfohlen. Ich sage Ihnen: Das muss endlich ein Ende haben.
(Beifall bei der LINKEN)
In der Nordsee haben in den vergangenen Jahren neben dem Kabeljau auch die Nordseescholle und die Nordseeseezunge stark gelitten. Vom Großen Thunfisch dürften im Mittelmeer und im Ostatlantik legal eigentlich nur 32 000 Tonnen jährlich gefangen werden. Real ist es rund das Doppelte. Auch hier sind es vor allem europäische Fischereiunternehmen, die die Bestände für Sushibars in Tokio oder Berlin-Mitte plündern. Weil die Meere der Nordhalbkugel vielerorts leergefischt sind, fahren Fangflotten in den Süden. Hier räumen sie die einst üppigen Fischgründe aus, insbesondere an den flachen Küsten Westafrikas. So rauben die Industrieschiffe den Kleinbauern in Ghana oder dem Senegal die wichtigsten Proteinlieferanten für ihre Familien. Die Flotten wandern nicht nur in den Süden, sondern auch in die Tiefe. Leider konnten sich Union und SPD seinerzeit in ihrem Antrag zu dem Thema nicht zu einer klaren Forderung nach einem Moratorium für die zerstörerische Grundschleppnetzfischerei durchringen.
(Holger Ortel [SPD]: Das sagen Sie mal den Küstenfischern!)
Wenn wir der Meeresumwelt helfen wollen, die im Übrigen auch durch die Versauerung infolge der CO2-Emissionen gestresst ist, so müssen wir die Weltmeere als Ökosystem begreifen. Das muss auch der Geist der neuen EUMeeresschutz-Richtlinie sein. Die Forderungen der Linken dazu finden Sie in unserem Entschließungsantrag. Zudem müssten mehr Wissenschaftler und Umweltorganisationen in Fischereiaufsichtsgremien sitzen. Schließlich muss weltweit die Anzahl der Fangschiffe verringert werden. Greenpeace und andere fordern seit langem, Meeresschutzgebiete einzurichten, in denen Fischerei und Rohstoffabbau verboten werden. Konkrete Vorschläge gibt es für Nord- und Ostsee sowie für die außereuropäischen Meere. Die Bundesregierung scheint dazu gar keine Haltung zu haben. Das ist sehr schade. Dieses kurzsichtige Herangehen schadet nicht nur der Umwelt und dem Tourismus, sondern auch der Fischerei.
Ich sage Ihnen auch, warum das so ist. Beispielsweise in Neuseeland waren die Fischer einst die stärksten Gegner, als es darum ging, Meeresschutzgebiete einzurichten. Nunmehr gehören die Fischer zu den Verteidigern dieser ökologischen Oasen; denn die dort rasant anwachsenden Bestände besiedeln auch das umgebende Meer. Die Refugien sind also nicht nur Eckpfeiler im modernen Schutz der Ökosysteme,
sondern auch Wirtschaftsfaktoren. Umweltschutz und zugleich volle Netze - was wollen wir mehr?
Angesichts dessen ist es vollkommen unverständlich, dass lediglich 0,01 Prozent der Meeresfläche Schutzgebiete sind. Benötigt werden zwischen 30 und 50 Prozent. Solange Sie hier nichts ändern, bleibt ein nachhaltiger Meeresschutz leider Illusion. Tun Sie also bitte etwas, meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei der LINKEN)

Meeresumwelt strenger schützen!
Rede
von
Eva Bulling-Schröter,