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Martina Renner: Fehler der Sicherheitsbehörden – umfassende Aufklärung verweigert

Rede von Martina Renner,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren der demokratischen Fraktionen! Der 1. Untersuchungsausschuss dieser Legislatur ist mit der Aufgabe angetreten, die Hintergründe des Anschlags auf dem Breitscheidplatz lückenlos aufzuklären. Wir hatten den Anspruch, die im Vorfeld des Anschlags begangenen Fehler der Sicherheitsbehörden konkret zu benennen. Und wir hatten den Auftrag, Vorschläge zu unterbreiten, wie die Sicherheit in diesem Land verbessert werden kann. Die Bundesregierung gab den Hinterbliebenen der zwölf Getöteten und den vielen Verletzten ein Versprechen: die Aufklärungsarbeit des Ausschusses uneingeschränkt zu unterstützen.

Wir haben als Ausschuss festgestellt: Der Attentäter war vor der Tat in islamistische Strukturen in Deutschland eingebunden. Er hat mit den relevantesten Personen der Szene engsten Kontakt gehabt. Er hat versucht, sich die zur Durchführung der Tat notwendigen Mittel zu beschaffen, und er hat monatelang auf den Moment gewartet, diesen Anschlag zu begehen. Die Zuständigen hatten von all diesen Dingen Kenntnis und haben dennoch nicht rechtzeitig gehandelt.

Aufseiten der Polizei wurden durchweg – das gilt für die LKA wie auch für das Bundeskriminalamt – falsche Bewertungen vorgenommen und fahrlässig die notwendigen Maßnahmen nicht getroffen. Die Geheimdienste hatten mehr Informationen über den Attentäter und sein Umfeld, als unmittelbar nach dem Anschlag und auch bis heute von ihnen zugegeben.

Der Attentäter des Anschlages hat nicht alleine gehandelt. Er wurde vor seiner Tat in Deutschland ideologisch geschult, logistisch wie finanziell unterstützt. Er war kein Einzeltäter. Dass dies herausgearbeitet wurde, ist Verdienst der demokratischen Opposition im Untersuchungsausschuss.

(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber die Sicherheitsbehörden klammern sich an dieses Bild des Einzeltäters. Warum eigentlich? Wenn man mit dieser falschen Konzeption des Einzeltäters weitermacht, wird man zukünftigen Terror nicht verhindern können. Die Fiktion des alleine in einem Vakuum agierenden Terroristen gefährdet im Vorfeld des Anschlages dessen Verhinderung und im Nachgang die vollständige und erfolgreiche Aufklärung. Die falsche Vorstellung des spontan radikalisierten Einzeltäters muss ersetzt werden durch ein Verständnis für die teilweise sogar europäisch vernetzten und agierenden Strukturen, für die Wege der Waffenbeschaffung und dafür, wie sich innerhalb der Szene unterstützt wird und Anschläge vorbereitet werden. Solange die Sicherheitsbehörden nicht bereit sind, diese veränderte Perspektive auf terroristische Strukturen einzunehmen, wird die Gefahr nicht gebannt.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dies lässt sich meiner Meinung nach gut am Beispiel der Geheimdienste erklären, quasi wie unter einem Brennglas. Formal ist der Geheimdienst eine Behörde oder eine Abteilung eines Innenministeriums und müsste all sein Handeln auch der parlamentarischen Kontrolle unterwerfen. Aber vom Selbstverständnis und der Arbeitskultur her wird sich dieser parlamentarischen und demokratischen Kontrolle permanent widersetzt. Dabei – das haben wir leider auch sehr schmerzhaft im Untersuchungsausschuss feststellen können – wird der Geheimdienst manchmal auch von Teilen des Parlamentes aktiv unterstützt. Das war auch Realität in unserer Aufklärungsarbeit.

Ich frage mich manchmal – das geht an einige Kollegen und Kolleginnen hier –: Auf welcher Seite steht ihr als Abgeordnete? – Ich hatte manchmal das Gefühl, dass ihr nicht aufseiten des Parlamentes steht. Dennoch – auch gegen diese Widerstände aus der Bundesregierung und auch aus Teilen der Großen Koalition – konnten wir aufklären, dass bei den Geheimdiensten viel mehr Informationen über den Attentäter vorlagen, als diese zuerst zugegeben haben. Diese Hinweise sind teilweise illegal und vorsätzlich nicht an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet worden.

Ein weiteres Problem: Der Attentäter war quasi umstellt von Spitzeln. Hier haben wir ganz klar die Problematik bestätigt gesehen, die wir auch aus rechtsterroristischen Komplexen kennen: Das V-Leute-System ist nach unserer Meinung, nach Meinung der Linksfraktion, nicht reformierbar und muss als erster Baustein auf dem Weg zu einem Verfassungsschutz ohne geheimdienstliche Befugnisse abgeschafft werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, das grundsätzliche Problem des Verhältnisses der Regierung zum Parlament im Zusammenhang mit Untersuchungsausschüssen hat sich meiner Meinung nach in den letzten Jahren verschärft. Von rückhaltloser Aufklärung kann nicht die Rede sein. Akten sind zurückgehalten worden, Zeugen und Zeuginnen sind zurückgehalten worden. Hier wird oft mit dem Staatswohl argumentiert. Ich meine: Was kann eigentlich mehr im Interesse der Demokratie und der Gesellschaft und damit auch des Staates liegen, als alles dafür zu tun, Fehler von Behörden aufzuarbeiten und Terrorabwehr zu verbessern?

(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Würdiges Gedenken meint immer auch, Aufklärung nie abzuschließen, Mittäter entschieden zu ermitteln und den Erwartungen von Opfern und Hinterbliebenen gerecht zu werden. Nach drei Jahren gilt mein Mitgefühl den heute hier teilweise auch anwesenden Angehörigen der Getöteten und den vielen Verletzten des Anschlages vom Breitscheidplatz.

Die Aufgabe des Parlamentes in der nächsten, in der 20. Legislatur, wird es sein, auch in Erinnerung an diese Menschen, mithilfe einer besseren parlamentarischen Kontrolle der Sicherheitsbehörden den Weg zu einer besseren, allgemein strukturellen Ausrichtung der Sicherheitsbehörden fortzusetzen.

Die Aufgabe wird sein, die Rechte der Opfer weiter zu verbessern und das Untersuchungsausschussrecht im Sinne von Rechtsdurchsetzung und Transparenz zu stärken.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)