Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Ich bin nicht nur Genossin. Ich bin auch seit 35 Jahren Kameradin, und zwar im Verein der Verfolgten des Naziregimes. Für viele hier – für mich war es am Anfang auch so – ist diese Anrede vielleicht ein bisschen merkwürdig. Aber sie hat einen einfachen historischen Hintergrund: Als die Nazis die Gegnerinnen und Gegner in die Lager sperrten, da trafen sich dort Sozialisten, Kommunisten, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Christen, Konservative und Liberale. Nicht alle wollten „Genossen“ genannt werden oder „Brüder“ und „Schwestern“, und auch andere Anreden schlossen nicht alle ein. So entstand die bis heute gehaltene Tradition, nach der sich die Mitglieder der VVN „Kameradinnen“ und „Kameraden“ nennen. Ich trage diese Bezeichnung mit Stolz, und mit Stolz zähle ich den Schwur der Häftlinge von Buchenwald zu meinen politischen Leitlinien:
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Leni Breymaier [SPD])
"Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel."
Dieser Schwur von Buchenwald ist immer noch aktuell. Und ich weiß auch, dass für viele von Ihnen, geschätzte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, dies ein Auftrag ist.
Warum heute dieser Antrag?
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Genau!)
Die VVN ist bedroht. Die Bedrohung kam für uns schon immer von Neonazis und Rassisten, die jede Erinnerung an den beispiellosen Mord und die beispiellosen Verbrechen der Nationalsozialisten unterdrücken wollten. Dass die Bedrohung jetzt vom Staat ausgeht, der die Gemeinnützigkeit aberkannt hat, weil ein Geheimdienst die VVN für extremistisch hält,
(Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!)
ist nicht weniger als eine Schande für die Demokratie.
(Beifall bei der LINKEN)
Unser Vorschlag, diese Schande zu heilen, ist: Streichen wir den Satz aus der Abgabenordnung, der die Geheimdienste dazu ermächtigt, der Zivilgesellschaft großen Schaden zuzufügen.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
– Ich weiß gar nicht, was dieses höhnische Lachen soll, ganz ehrlich.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Hören Sie sich doch einfach mal an, was Sie gesagt haben!)
Ich will Ihnen ein Beispiel geben für den Schaden, den die Geheimdienste der Zivilgesellschaft zufügen: In Sachsen erwähnte der dortige Geheimdienst verschiedene linke Bands in seinem Bericht.
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Zu Recht!)
– Nein, nicht zu Recht! Er wurde von einem Gericht dazu verpflichtet, diese Erwähnung zurückzunehmen und den entsprechenden Bericht einzustampfen.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da funktioniert der Rechtsstaat doch super!)
Eben nicht zu Recht!
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist willkürlich, und es ist rechtswidrig, was die Geheimdienste tun.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Pauschalisieren wollen wir jetzt mal nicht!)
Aus diesem Grund muss für uns der Entzug der Gemeinnützigkeit immer nachvollziehbar sein. Er muss immer rechtsstaatlich erfolgen, und das kann nur ohne die Beteiligung der Geheimdienste stattfinden.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Überlebende und VVN-Ehrenvorsitzende Esther Bejarano brachte es in einem offenen Brief an den SPD-Finanzminister Scholz auf den Punkt. Sie schrieb:
"Wir Überlebenden haben einen Auftrag zu erfüllen, der uns von den Millionen in den Konzentrationslagern und NS-Gefängnissen Ermordeten und Gequälten erteilt wurde."
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, ich denke, dieses Vermächtnis, dieser Auftrag gilt auch für uns.
Vielen Dank.